Hamburg. 33-Jähriger wegen Volksverhetzung angeklagt. Er sagt, er habe nicht gewusst, um welchen besonderen Ort es sich handele.

Da stand er und grölte. So laut, dass es ein Polizist noch aus zwanzig bis dreißig Meter Entfernung hören konnte. Der Beamte bekam auch mit, dass andere schockiert waren von dem, was da einer unverhohlen rief. Von „dreckigen Zionisten“ war die Rede – und das ausgerechnet an einem Ort von großer historischer Bedeutung.

Denn genau dort im Grindelviertel stand einst die Bornplatzsynagoge, das größte jüdische Gotteshaus Norddeutschlands, das im Zuge der November-Pogrome von 1938 von den Nazis verwüstet und später abgerissen wurde.

Wenn Frank R. (Name geändert) im Prozess vor dem Amtsgericht heute dazu Stellung bezieht, was er laut Anklage am 11. November vergangenen Jahres lauthals geäußert hat, dann kann er selber offenbar kaum fassen, was er damals gerufen hat. Er redet von einer „dämlichen Aktion. Ich sehe ein, dass ich dafür eine Strafe verdient habe“, betont der 33-Jährige, der sich wegen Volksverhetzung vor Gericht verantworten muss.

Prozess Hamburg: Antisemitische Parolen am Bornplatz – Urteil gegen Täter gefällt

Der Staatsanwaltschaft zufolge hat Frank R. am Abend des 11. November vergangenen Jahres im Grindelhof in Richtung der Ausgrabungsstätte der Bornplatzsynagoge herabwürdigende Äußerungen gegen Angehörige jüdischen Glaubens gerufen. Unter anderem soll R. gesagt haben: „Ihr dreckigen Zionisten! Wo ist die Solidarität mit den 10.000 Zivilisten, die in Gaza gestorben sind?“ Diese Parolen könnten dazu führen, dass insbesondere unter Anhängern des jüdischen Glaubens ein „Klima der Angst und Verunsicherung“ verbreitet werde und dass eine Hemmschwelle für Übergriffe sinke, heißt es in der Anklage.

Zum Prozess ist es gekommen, nachdem gegen Frank R. per Strafbefehl, also durch ein schriftliches Urteil auf dem Postwege, eine Geldstrafe verhängt wurde und er dagegen Einspruch eingelegt hat.

„Ich sehe definitiv ein, dass ich einen Fehler gemacht habe“

Er sehe „definitiv ein, dass ich da einen Fehler gemacht habe“, sagt der Angeklagte, ein großer, kräftiger Mann. Es habe sich um eine „dumme und dämliche Aktion“ gehandelt, die er ausdrücklich bereue, betont er. „Ich möchte nicht, dass ich in die Anti-Zionismus-Ecke gedrängt werde.“ Er sei nämlich „kein Antisemit“.

Insgesamt sei er durch die Geschehnisse im vergangenen Herbst „sehr aufgewühlt“ gewesen. Dies betreffe sowohl die Angriffe der Hamas auf Israel vom 7. Oktober und in der Folgezeit als auch die Reaktion Israels, die er für „unverhältnismäßig“ gehalten habe. Er selber verurteilte „jede menschenfeindliche Ideologie“, sagt der Hamburger. „Ich hege keinen Groll gegen irgendein Volk, auch nicht das jüdische.“

Angeklagter: Äußerungen auf den Nahostkonflikt bezogen

Als er an jenem Abend „Tausende Kerzen“ auf dem Platz gesehen habe, habe er das auf den aktuellen Nahostkonflikt bezogen und seinen Unmut über die Lage dort zum Ausdruck bringen wollen. Seine Bemerkungen seien nicht gegen den Staat Israel gerichtet, „sondern gegen die rechtsgerichtete Regierung“. Allerdings sei ihm bewusst, „dass man in Deutschland lebende Juden nicht für Verhältnisse in Gaza verantwortlich“ machen könne.

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Tatsächlich waren die Kerzen auf dem Bornplatz noch von einer Veranstaltung zur Erinnerung an die Reichspogromnacht vom November 1938 aufgestellt. Ein Polizist schildert als Zeuge, wie er und ein Kollege an jenem Abend Frank R. dort „ziemlich laut“ rufen gehört habe. Mehrere Menschen seien angesichts der Parolen, die der 33-Jährige äußerte, schockiert gewesen. Er habe den Mann dann darauf hingewiesen, an was für einem besonderen Ort er sich befinde.

Welche historische Bewandnis gerade die Umgebung der ehemaligen Bornplatzsynagoge habe, habe er nicht gewusst, sagt der Angeklagte Frank R. daraufhin. Den geschichtlichen Hintergrund habe er nicht gekannt. Er sei ein Mensch, der, wenn er „mitbekäme, dass ein Jude in der Öffentlichkeit angegriffen wird, der Erste wäre, der sich schützend vor ihn stellt“. Heute sei er erschüttert darüber, was er an jenem Abend gerufen habe. „Ich schäme mich.“

Angeklagter nach antisemitischem Gebrüll am Bornplatz: „Ich schäme mich“

Der Staatsanwalt sagt in seinem Plädyoer, dass er dem Angeklagten „sein Erschrecken über sich selbst“ durchaus glaube. Allerdings könne dem 33-Jährigen eigentlich kaum verborgen geblieben sein, dass genau an jenem Platz, an dem er sich antisemitisch äußerte, eine jüdische Einrichtung beheimat sei. Der mehrfach unter anderem wegen Sachbeschädigung vorbestrafte Frank R., der von Bürgergeld lebt, habe sich der Volksverhetzung schuldig gemacht und solle dafür eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 10 Euro zahlen, fordert der Ankläger.

So lautet schließlich auch das Urteil des Amtsrichters. Zwar habe Frank R. geltend gemacht, dass er sich mit seinen damaligen Bemerkungen auf die Geschehnisse in Gaza bezogen habe. Aber er hätte erkennen müssen, dass der Platz der damaligen Bornplatzsynagoge „ein besonderer Ort ist“. Es handele sich bei den Äußerungen um Volksverhetzung. Und er hoffe sehr, so der Richter, „dass das nicht wieder vorkommt“.