Hamburg. Zeugen wegen Körperverletzung an Pressefotograf mit unterschiedlichen Darstellungen. Überraschend aufgetauchtes Video zeigt Vorfall.
Im Ziviljustizgebäude in Hamburg sammelt sich Ende Oktober 2022 eine Menschenmenge in dem Flur vor dem Gerichtssaal B225. Ein Mann läuft unter Blitzlicht durch die Menge, und plötzlich wird die Lage unübersichtlich. Die Situation endet mit einem Pressefotografen auf dem Boden und einem kaputten Kamerablitz.
Knapp zwei Jahre nach dem Vorfall steht nun der Angeklagte L. (66) wegen des Vorfalls vor dem Amtsgericht Hamburg. Ihm werden vorsätzliche Körperverletzung an dem Fotografen und rechtswidrige Zerstörung einer fremden Sache vorgeworfen. Vieles jedoch ist noch unklar im Prozess, und auch die geladenen Zeugen schildern einen unterschiedlichen Hergang.
Angriff auf Pressefotograf: Filmriss und Schlafprobleme
Das Opfer in dem Prozess ist der Fotojournalist Jürgen Joost (67). Unmittelbar nach dem Vorfall litt er unter körperlichen und psychischen Schmerzen. „Das verfolgt mich auch bis heute noch“, berichtet er. Die Erinnerung an den Vorfall halte ihn nachts wach, beschreibt der Fotograf, und er habe auch zwei Jahre nach dem Ereignis noch Schlafprobleme. Auch kam es aufgrund seines Sturzes zu Schmerzen im Rücken- und Schulterbereich, die mit einer Physiotherapie behandelt werden mussten.
Das Letzte, an das sich der 67-Jährige erinnert, sei, wie der Angeklagte „mit Gewalt“ auf ihn zukomme. An den Moment, den er als Attacke beschreibt, könne er sich nicht erinnern. Sein Filmriss dauere seit dem Vorfall an, und auch heute könne er die Situation mental nicht rekonstruieren. Erst als L. von ihm abgelassen habe, setze die Erinnerung des Opfers wieder ein. Jahrelang war Jürgen Joost als Pressefotograf für „Welt“, „Welt am Sonntag“ und auch für das Hamburger Abendblatt aktiv.
Letzter Zeuge liefert überraschendes Video vom Prozess
Vor der Aussage des letzten Zeugen des Tages, hier B. genannt, wurden neben dem Opfer noch fünf weitere Zeugen vernommen. B. ist im Oktober 2022 als Zuschauer der öffentlichen Verhandlung ins Ziviljustizgebäude gekommen. Als die Situation zwischen dem Pressefotografen und dem heute angeklagten L. unübersichtlich wird, filmt er die Szene mit. Für die Anwälte und den Richter ist das neu.
Gespannt beugen sich die Anwälte des Angeklagten, der Vertreter der Staatsanwaltschaft und der Richter über den Bildschirm des Smartphones des B. Dieses Video könnte nun Licht ins Dunkel bringen – und das ist dringend nötig. Die geladenen Zeugen sind sich in vielem uneinig: Manche wollen Joost nach dem Vorfall noch herumlaufend und fotografierend gesehen haben. Andere wiederum beschreiben, wie der Fotograf nach seinem Sturz auf den Boden benommen auf einer Bank gesessen habe, seinen kaputten Kamerablitz bei sich.
Angeklagter: „Gerangel um das Blitzlichtgerät“
Der Angeklagte L. scheint sich keiner Schuld bewusst zu sein. Er selbst erzählt, von den Blitzlichtern geblendet gewesen zu sein. Damals habe er darum gebeten, nicht fotografiert zu werden. „Ich konnte nicht mehr sehen“, beschreibt der Angeklagte. „Ich war geblendet und hatte auch vorübergehend die Orientierung verloren.“ Als die Fotografen jedoch nicht aufhörten und der Fotograf ihm zu nahe gekommen sei, habe der Angeklagte laut eigener Aussage an das Blitzteil von der Kamera gegriffen. Auf Rückfrage des Richters beschreibt er den Vorfall als „Gerangel um das Blitzlichtgerät“.
Der Pressefotograf habe sich anschließend „gekonnt“ auf den Boden fallen lassen und sei in einer halb liegenden Stellung gelandet. Später erstatteten sowohl L. als auch Jürgen Joost Anzeige bei zwei Polizisten. Die Beamten waren von der Richterin in der Nachlasssache gerufen worden.
Körperverletzung an Fotografen: Schubser oder Stolperer?
Viele der Fragen an die Zeugen drehen sich um den Sturz des Fotografen. Geschlossen berichten die Befragten von einer chaotischen, unübersichtlichen Situation, die genauso schnell vorbei war, wie sie angefangen hat. Richtig gesehen, wie es zu dem Sturz auf den Boden kam, scheint niemand zu haben.
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Manche von ihnen halten es für möglich, dass der Fotograf wegen der Konfrontation durch L. nach hinten getreten und gestolpert sein könnte. Am nächsten Verhandlungstag Ende Mai sollen weitere Zeugen vernommen und Beweise gesichtet werden. Die Einstellung des Verfahrens auf Anfrage der Verteidigung lehnte die Staatsanwaltschaft bisher ab.
Fotograf geht zu Boden: Darum ging es im Prozess
Der Prozess vor dem Hamburger Landgericht, um den es am 28. Oktober 2022 eigentlich gehen sollte, drehte sich um Nachlassangelegenheiten rund um die Fabrik der Künste. Der Angeklagte L. agierte damals als Generalbevollmächtigter von Horst Werner, dem Gründer des Kulturortes. Bereits kurz nach dessen Tod ließ L. die Schlösser der Fabrik der Künste austauschen. Damals hinderte der Angeklagte L. außerdem mithilfe von vier Sicherheitsleuten Werners Patentochter daran, auf dessen Trauerfeier eine Rede zu halten.