Hamburg. 33-Jährige zu Haftstrafe verurteilt. Sie war depressiv und überfordert. Was ihre WhatsApp-Nachrichten verraten, was die Richterin sagt.

Die Verzweiflung war greifbar. Hier war eine Mutter vollkommen aufgelöst. Ihr Säugling war tot – und jetzt, als die 33-Jährige den Notruf gewählt hatte und mit den Beamten sprach, schluchzte sie und weinte. Ihr Baby liege reglos in seinem Bettchen und atme nicht mehr, sagte die Hamburgerin jammervoll. Und zunächst deutete alles darauf hin, dass der Tod des kleinen Jungen ein tragisches Unglück gewesen sein müsse.

Tatsächlich allerdings hat Anna K. (Name geändert) ihr Baby umgebracht. Sie erstickte den Jungen, der nur 23 Tage alt werden durfte. Einige Monate später griff die junge Frau auch noch ihren arglos schlafenden Partner mit einem Messer an. Für diese Verbrechen vom Mai und August vergangenen Jahres wurde die Angeklagte im Prozess vor dem Landgericht jetzt zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Das Gericht ist überzeugt davon, dass Anna K. einen Totschlag an ihrem Baby begangen und sich des versuchten Mordes sowie der gefährlichen Körperverletzung an ihrem damaligen Partner schuldig gemacht hat. Bei den Taten sei die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten zwar erheblich eingeschränkt, aber nicht aufgehoben gewesen.

Prozess Hamburg: Säugling wurde nur 23 Tage alt

„Man fragt sich, wie es so weit kommen konnte“, sagte die Vorsitzende Richterin Jessica Koerner in der Urteilsbegründung über die beiden Taten. Es handele sich um eine „Verkettung unglücklicher und tragischer Umstände“, die insbesondere zum Tod des Säuglings geführt habe. Die 33-Jährige sei „dem Traum einer Familie nicht gewachsen“ gewesen. „Rückblickend hätte sie nie eine Familie haben dürfen.“

Denn Anna K. leidet unter einer schweren Persönlichkeitsstörung mit schizoiden und dependenten Komponenten. Das heißt, sie ist nur sehr eingeschränkt überhaupt zu sozialen Bindungen fähig, reagiert passiv und unterwürfig und wurde in der Folge depressiv. Als sie Ende April vergangenen Jahres, nachdem sie bereits einen kleinen Sohn hatte, zum zweiten Mal Mutter wurde, habe sich bei der jungen Frau zunehmend ein Gefühl der Überforderung eingestellt. „Sie hatte das Gefühl, mit allem allein zu sein“, sagte die Richterin über die emotionale Verfassung der Angeklagten.

33-Jährige schrieb, sie sei „etwas geschockt“ über ihre Schwangerschaft

Wie Anna K. selber ihre Situation empfand, hatte sie seinerzeit in WhatsApp-Nachrichten an eine Bekannte formuliert. Als sie erfuhr, dass sie erneut schwanger war, sei sie „etwas geschockt“ gewesen, hatte sie geschrieben. Aber dann habe sie sich doch auf ihr zweites Kind gefreut. Im November gab sie kund, dass sie „enttäuscht“ sei, weil es wieder ein Junge werde. Und nach der Geburt ihres zweiten Kindes schrieb sie: „Geht mir beschissen. Ich bereue fast, wieder Mutter geworden zu sein.“ Ihr neugeborener Sohn schreie „schon wieder“.

Nun recherchierte sie im Internet über den Plötzlichen Kindstod und darüber, was es in Hamburg koste, Babys abzutreiben. Der Gedanke liege nahe, dass sich Anna K. schon bevor sie in der Nacht zum 22. Mai vergangenen Jahres zur Tat schritt, „mit der Tötung auseinandergesetzt hat“, meinte die Richterin. „Sie lotete die theoretische Möglichkeit aus, sich des Kindes zu entledigen, ohne dass ein Verdacht auf sie fällt.“ Zuvor habe Anna K. sich in eine „gedankliche und emotionale Negativspirale hineingesteigert“.

Schließlich habe sie den Sohn absichtlich umgebracht. Eine Obduktion ergab, dass der Säugling erstickt war, wahrscheinlich indem ihm die Nase zugehalten und auch ein Kissen auf sein Gesichtchen gedrückt wurde.

Im Notruf schluchzte sie, ihr Kind liege reglos in seinem Bettchen

Einige Zeit später betätigte Anna K. den Notruf und schluchzte, ihr Kind liege reglos in seinem Bettchen und atme nicht mehr. Die Verzweiflung der Mutter sei in dem Moment authentisch gewesen, meinte das Gericht. Denn erst im Nachheinein, nachdem sie das Kind umgebracht hatte, sei der 33-Jährigen wohl „die Tragweite ihrer Tat bewusst“ geworden. So habe sie Trauer empfunden, aber auch Angst vor den Konsequenzen für ihr eigenes Leben.

Wegen des Verdachts, ihr Kind getötet zu haben, kam sie zunächst in Untersuchungshaft, zeitweise wurde sie – nach einem Suizidversuch – auch in der Psychiatrie untergebracht. Doch am 11. August kam sie wieder auf freien Fuß. Eine Woche später beging Anna K. das nächste Verbrechen. Nach Überzeugung des Gerichts griff die junge Frau nachts ihren Partner an, während dieser schlief.

Während er schlief, griff die Frau ihren Partner mit einem Messer an

So lief die Tat laut den Feststellungen der Kammer ab: Am Abend zuvor hatte die Angeklagte schon ein Küchenmesser bereitgelegt und auf ihrer Bettseite deponiert. Dann stach sie zweimal auf den arglosen Vater ihrer Kinder ein und fügte ihm zwei Verletzungen am Hinterkopf zu. Der 37-Jährige erwachte, konnte einen weiteren Angriff abwehren, erlitt dabei aber Verletzungen am Arm und an den Händen. Schließlich gelang es dem Mann, seiner Partnerin das Messer zu entwinden und sie im Schlafzimmer einzusperren. Dann alarmierte er die Polizei.

Mit dem Messerangriff auf ihren Partner habe Anna K. seinen Tod „billigend in Kauf genommen“, urteilte das Gericht. Der Tat vorausgegangen seien insbesondere verdrängte Schuldgefühle wegen ihres toten Sohnes. „Sie hoffte, sie könne weiterleben, als sei nichts geschehen.“ Doch dies habe sich als Trugschluss erwiesen. Die 33-Jährige sei in eine depressive Grundstimmung verfallen, hinzu seien das Gefühl der Überforderung und Suizidgedanken gekommen. „Sie fühlte sich düster und hoffnungslos.“

Rechtsanwältin: „Das Verfahren kennt nur Verlierer“

Mit seinem Urteil von acht Jahren Freiheitsstrafe blieb die Kammer unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die elfeinhalb Jahre Gefängnis gefordert hatte. Die Verteidigung hatte im Plädoyer argumentiert, die Ursache für den Tod des Säuglings sei wohl eher ein „tragisches Unglück“ gewesen, und in Bezug auf Anna K.s Angriff auf ihren Partner werte er die Attacke als gefährliche Körperverletzung, sagte Verteidiger Christian Lange. Er werde Revision gegen das Urteil einlegen, kündigte er an.

Rechtsanwältin Claudia Krüger, die im Prozess den Vater des getöteten Babys vertritt, sagte: „Das Verfahren kennt nur Verlierer.“ Ein Säugling sei umgekommen, und der Vater habe „bis heute stets gehofft, dass die Mutter ihn nicht getötet hat“. Mit dem Urteil des Gerichts sei nun klar, dass diese Hoffnung enttäuscht wurde. Außerdem müsse der 37-Jährige sich jetzt weiterhin allein um den anderen, mittlerweile dreijährigen Sohn kümmern, den er zusammen mit Anna K. hat. Das getötete Kind komme „nicht zurück“, so die Anwältin.

Der Vater habe wegen des Verlusts seines Sohnes und des Messerangriffs durch seine Partnerin ein „schweres Trauma erlitten“, fasst Krüger die dramatischen Ereignisse zusammen. „Es ist alles kaputt.“

Während der Urteilsverkündung kämpft die Angeklagte mit den Tränen

Mitgenommen, geradezu zerstört: So wirkte auch die Angeklagte. Während der Urteilsverkündung kämpfte Anna K. immer wieder mit den Tränen, schaute dabei starr geradeaus, den Blick irgendwo ins Nirgendwo gerichtet. Seit dem Tod ihres Kindes war sie offenbar immer wieder unterschiedlich starken Gefühlen der Trauer, der Verzweiflung, aber vor allem dem Bedürfnis ausgesetzt, die Tat auch vor sich selber zu verleugnen und sie zu verdrängen. Genauso unterschiedlich hatte sie gegenüber anderen auf den Tod ihres Sohnes reagiert.

Erst hatte sie erzählt, dass es ein Unglück gewesen sein müsse und es sich um einen natürlichen Tod gehandelt habe. Später, als klar war, dass der winzige Leichnam obduziert werden würde, hatte sie gegenüber einer Bekannten erklärt, sie habe ihn mit einem Kissen erstickt. Und dann wieder hatte sie angedeutet, dass die Tötung des Kindes Folgen eines Albtraums seien, in dem ihr von Stimmen eingeflüstert worden sei, was sie zu tun habe. Und dass sie selber nicht mehr leben wolle, weil sie ihr Kind getötet habe.

Prozess Hamburg: „Ich sah in seinen Augen das Leben herausweichen“

Im Prozess hatte Anna K. zunächst geschwiegen. In ihrem letzten Wort hatte sie schließlich erneut von einem Unglücksfall gesprochen, als es darum ging, wie ihr Sohn zu Tode gekommen sei. In Bezug auf den Messerangriff auf ihren damaligen Partner hatte sie gesagt, sie habe ihn nicht verletzen wollen. Die Tat „tue ihr leid“. Sie habe in jener Nacht das Gefühl gehabt, sich selbst verletzen zu wollen. Im Dunkeln habe sie versehentlich ihren Partner getroffen. Doch dies nahm ihr das Gericht nicht ab und wertete die Version als „Schutzbehauptung“.

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Insbesondere, indem sie ihr Baby umbrachte, habe Anna K. „besonders schweres Unrecht begangen“, betonte Richterin Koerner in der Urteilsbegründung. Die Mutter habe einen Säugling, der auf ihren Schutz angewiesen war, getötet. Was Anna K. in jenen Momenten, als sie ihr Kind erstickte, selber wahrnahm und erlebte, hatte die 33-Jährige so formuliert: „Ich sah in seinen Augen das Leben herausweichen.“