Hamburg. „Gespenstischer Aufzug“ von „Muslim Interaktiv“. Eine prominente ZDF-Moderatorin vermasselte den Islamisten um Joe Boateng die Videos.

Die erneute Islamisten-Demonstration in Hamburg von „Muslim Interaktiv“ um den umstrittenen Joe Adade Boateng hat ein politisches Nachspiel – und wohl auch für die Anhänger des Kalifats einen unangenehmen Beigeschmack. Während sich im Hamburger Abendblatt eine Grünen-Politikerin für ein künftiges Verbot und eine Neuausrichtung der Senatspolitik aussprach, wurde den Islamisten am Sonnabend offenbar ihr Auftritt mit 2300 Anhängern dezent vermasselt.

Auch wenn sie die polizeilichen Auflagen augenscheinlich einhielten, auf Arabisch und Deutsch die auferlegten Regeln vorlasen und ein Kalifat „nur“ für den Nahen Osten forderten und nicht für die Bundesrepublik (was ihnen untersagt war), lief es für Joe Boateng und Co. nicht wie geplant. Das hat auch mit der ZDF-Journalistin Dunja Hayali zu tun. Die Moderatorin drängte sich wirkungsbewusst mit ihrem Kamerateam und Bodyguards immer wieder in die erste Reihe der rein männlich dominierten Zuschauer.

Islamisten-Demo in Hamburg: Videodreh für TikTok gesprengt?

Das dürfte den Islamisten mehrfach ihre Videodrehs gesprengt haben, die sie für ihre Plattformen in den sozialen Medien wie TikTok und YouTube nutzen. Dort kommen Frauen bestenfalls in einer verhüllten Variante vor. Am Rande des Hamburger Aufmarsches waren ebenfalls Frauen mit dem Gesichtsschleier Nikab zu sehen.

Ebenso prominent, wenn auch in ihrer Zahl deutlich kleiner, waren die Gegendemonstrantinnen und die parlamentarische Beobachterin Gudrun Schittek (Grüne) unterwegs, die als Bürgerschaftsabgeordnete den Aufmarsch genau verfolgte. Sie hatte sich zuvor mit dem Lagezentrum der Polizei abgesprochen. Sie legte Wert darauf, dass sie sich als Grüne äußert und nicht in erster Linie als Mitglied einer Fraktion. Gleichwohl sagte sie: „Es war gespenstisch. Die Demonstranten haben eine ,Meinungsdiktatur‘ angeprangert, dabei durften sie demonstrieren, obwohl der Veranstalter ,Muslim Interaktiv‘ in den sozialen Netzwerken die Einführung von Kalifat und der Scharia fordert und damit verfassungsfeindliche Forderungen stellt.“

Kalifat und Islamisches Zentrum Hamburg: Grünen-Politikerin Schittek fordert Verbote

Schittek ist auch angesichts der erneuten Demo verständnislos gegenüber der Bundespolitik. Selbst die Razzia und die Ermittlungen des Innenministeriums in der als Iran-hörig geltenden Imam-Ali-Moschee haben bislang nicht dazu geführt, dass ein Verbot ausgesprochen wurde. Schittek sagte: „Ich schließe mich der Forderung an, die Demonstrationen von ,Muslim Interaktiv‘ zu verbieten. ,Muslim Interaktiv‘ ist eine Nachfolgeorganisation von ,Hizb-ut Tahrir‘ und muss verboten werden. Ich kann nicht verstehen, warum Innenministerin Nancy Faeser das nicht verfügt.“

Demokratische Iraner demonstrieren vor Blauer Moschee
Grünen-Politikerin Gudrun Schittek, hier vor der Blauen Moschee an der Alster (Archivbild). © picture alliance/dpa | Georg Wendt

Die Hamburger Grüne-Politikerin sprach sich für eine Schließung des Islamischen Zentrums und der dazugehörigen Islamischen Akademie in Groß Borstel aus. Die Akademie gilt als radikal islamistische, nicht bloß muslimische Ausbildungsstätte. Schittek beschrieb die Szene um Kalifats-Anhänger Boateng als „starke Bewegung mit Zehntausenden Anhängern in den sozialen Netzwerken“ und sagte: „Gegen Islamismus müssten ebenso viele Menschen auf die Straße gehen wie gegen den Rechtsextremismus. Der Islamismus bedroht unsere Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Leider gibt es in Teilen der linken Szene den Vorbehalt, dass der Kampf gegen Islamismus als antimuslimischer Rassismus ausgelegt werden könnte.“

Nach Razzia: Was wird aus der Blauen Moschee an der Alster?

In Hamburg müsse es eine Zusammenarbeit mit Muslimen geben, die säkular orientiert seien. Das sei die Mehrheit. „Der Staatsvertrag mit den muslimischen Verbänden muss ausgesetzt werden. Ebenso wie das IZH nicht mehr Teil der Schura ist, dürfen auch andere Moscheeverbände, deren Mitglieder vom Verfassungsschutz beobachtet werden oder die aus dem Ausland finanziert werden, wie Ditib von der türkischen Religionsbehörde und Milli Görüs, nicht Vertragspartner der Freien und Hansestadt sein.“

Am Mittwoch wird es in der Bürgerschaft sicher noch einmal um die Islamisten-Demo sowie weitere mutmaßlich verfassungsfeindliche Tendenzen in der Gesellschaft gehen. Die rot-grüne Regierungsfraktion will einen Antrag gegen die Vollverschleierung an Hamburger Schulen einbringen. Die Linken schlagen eine „Kommission zur Prüfung demokratischer Resilienz vor“ und haben ihren Antrag überschrieben mit: „Den Kampf gegen rechts mit allen demokratischen Mitteln führen“.

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Islamisten: Polizeigewerkschaft fordert Einsatz von KI

Zu diesen Mitteln könnte nach Einschätzung der Gewerkschaft der Polizei (GdP) künstliche Intelligenz (KI) zählen. Wie der stellvertretende Hamburger GdP-Vorsitzende Lars Osburg am Sonntag erklärte, sei es an der Zeit, „auch technisch in der Gegenwart anzukommen, um mit den Gefährdern auf Augenhöhe zu bleiben“. Das Bundesverfassungsgericht habe den KI-Einsatz grundsätzlich erlaubt, wenn auch mit gesetzlichen Einschränkungen. „Wir Polizeibeamtinnen und -beamte wissen genau, dass unser Auftrag darin besteht, Gesetze und Verordnungen, wenn nötig, auch gegen den Willen der Betroffenen durchzusetzen. Die hier zur Debatte stehenden Regelungen sind teilweise massive Einschränkungen der Grundrechte. Die Polizei ist zwingend darauf angewiesen, dass diese Beschränkungen rechtssicher sind“, sagte Osburg.

Der Verfassungsschutz hat beispielsweise „Muslim Interaktiv“ seit vier Jahren unter Beobachtung. Dennoch ist das Bundesverfassungsgericht der Auffassung, dass eine Meinung, die dem Grundgesetz widerspricht, geäußert werden darf. Verfassungswidrig dagegen wären tatsächliche Bestrebungen, eine „politische“ Ordnung wie ein Kalifat gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung auch durchzusetzen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte gegenüber der Funke Mediengruppe erklärt, zu der auch das Abendblatt gehört: Die Sicherheitsbehörden hätten die islamistische Szene in Deutschland fest im Visier: „Wir setzen alle Instrumente ein: von der nachrichtendienstlichen Beobachtung bis hin zu intensiven Ermittlungen.“ In den vergangenen Monaten seien mehrfach Anschlagspläne vereitelt worden.

Hamburg: One-Man-Show von Joe Boateng

Die Hamburger Demonstration war eine auf Boateng zugeschnittene One-Man-Show. Der 25-Jährige, der sich gern „Raheem Boateng“ nennt, trat lässig gekleidet auf, trug Nike-Sneakers, eine modisch geschnittene Hose und ein grünliches T-Shirt. Darauf waren die Umrisse der Kaaba in einem Tropfen zu erkennen, das Heiligtum im Islam. Es erinnerte an das Logo von „Muslim Interaktiv“. Boateng war am Sonnabend der einzige Redner.

Abseits der Islamisten-Demo in Hamburg stehen verschleierte Frauen.
Abseits der Islamisten-Demo in Hamburg stehen verschleierte Frauen. © Michael Arning | Michael Arning

Seine Rede war einerseits der Versuch, Muslime generell als Opfer und missliebige Gruppe darzustellen, der Deutschland seine Staatsräson aufzwingen wolle, andererseits aber auch eine Kampfansage an die offene Gesellschaft und viele ihrer Werte. Frauen waren vereinzelt gekommen. Sie hielten sich am Rande der Demonstration in kleineren Gruppen auf. Damit waren sie kein Bestandteil der Kundgebung. Damit hatten die Veranstalter eine Auflage ausgehebelt.

Schulterschluss mit gemäßigten Muslimen während des Ramadans?

Wie gut die Veranstaltung vorbereitet war, sah man an den „uniformen“ Plakaten, aber auch an der Folgsamkeit der Teilnehmer. Dieses „Gehorsamsprinzip“ bei Demonstrationen kennt man unter anderem von rechtsextremen Kundgebungen.

„Muslim Interaktiv“ sei „zunächst überwiegend in sozialen Netzwerken unterwegs“ gewesen, so Torsten Voß, Leiter des Verfassungsschutzes in Hamburg. Spätestens seit dem Februar vergangenen Jahres, als es zu Koran-Verbrennungen in Schweden gekommen ist, und nach dem Überfall der Hamas auf Israel im Oktober, versucht die Gruppierung offenbar einen Schulterschluss mit bürgerlichen, nicht extremistischen Muslimen. Das habe sich bereits bei Veranstaltungen zum gemeinsamen Fastenbrechen während des Ramadans gezeigt.