Hamburg. Der neue Fernbahnhof in Diebsteich beginnt wohl als Provisorium. Auf die Politik kommt nun eine schwierige Entscheidung zu.
Schaut man in das Online-Projekttagebuch der Deutschen Bahn zum Umzug des Fernbahnhofs nach Hamburg-Diebsteich, kommt das Projekt pünktlich ins Ziel: Vom „nächsten Meilenstein“ ist da die Rede: „Die Hauptbaumaßnahmen für den ersten Fernbahnsteig am neuen Bahnhof Hamburg-Altona haben planmäßig Anfang April begonnen. In Vorbereitung auf die Baumaßnahmen wurden in den Märzferien am Diebsteich umfangreiche Tiefbau- und Spundwandarbeiten sowie Oberleitungs- und Gleisbauarbeiten erfolgreich durchgeführt.“
Also alles in der Spur? Mitnichten.
Hamburg-Altona: Fernbahnhof ohne Empfangsgebäude? Möglich scheint es
Zwar kommen die Arbeiten am Bahnsteig voran. Doch das, was den Bahnhof erst dazu macht – das Empfangsgebäude –, kann derzeit nach Informationen des Abendblatts noch nicht gebaut werden. Man muss die Aussagen genau lesen: „Der neue Bahnhof Hamburg-Altona geht wie geplant Mitte 2027 in Betrieb“, sagte eine Bahn-Sprecherin nun dem Abendblatt. Nur wie er aussieht, ist fraglich. „Sollten sich durch den VET Verzögerungen beim Bau des Mehrzweckgebäudes nebst der DB-Gebäudeteile und der DB-Empfangshalle ergeben, wird der Bahnhofsbetrieb trotzdem durchgängig sichergestellt.“
Verzögerungen? Hinter dem Buchstabenkürzel VET verbirgt sich der Verbindungsbahnentlastungstunnel. 2019 hatte Enak Ferlemann (CDU), der damalige Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, bei der Eröffnung der S-Bahn-Station Elbbrücken überraschend angekündigt, dass Hamburg einen neuen S-Bahn-Tunnel unter dem Hauptbahnhof erhalten soll, der bis Altona verläuft.
Neuer Bahnhof Hamburg-Altona: Lösung für Hauptbahnhof erschwert Start in Diebsteich
Das komplizierte Projekt ergibt Sinn: Es wäre ein Befreiungsschlag für den notorisch überlasteten Hauptbahnhof, wenn man den S-Bahn-Verkehr herausbekäme. „Dann hätten wir einen weiteren Bahnsteig frei für den Regional- und Fernverkehr. Damit schafft man mehr Kapazitäten im Bahnhof“, hatte Ferlemann erklärt.
Tatsächlich gingen die Planungen für den VET danach los: Eine Machbarkeitsstudie sah die Idee im vergangenen Jahr positiv, nun sind zwei Trassen in den Vorplanungen. Die Basistrasse Mitte verläuft weitgehend unter der bestehenden Verbindungsbahn über die Haltestellen Sternschanze und Holstenstraße nach Diebsteich. Die Basistrasse Süd verläuft entlang der Feldstraße und der Max-Brauer-Allee. Die finale Entscheidung soll auf Basis der Vorplanungen Ende des Jahres fallen.
Entlastungstunnel VET wichtig für Deutschlandtakt der Deutschen Bahn
Für die Bahn ist der VET zwingend: „Wir begrüßen die Entscheidung des Senats für die zwei Streckenvarianten, mit denen die Planung jetzt konkretisiert wird“, sagte Frank Limprecht, Leiter Infrastrukturprojekte Nord der DB Netz AG. „Der Knotenpunkt Hamburg ist entscheidend für den Deutschlandtakt, deshalb brauchen wir mehr Züge und ein größeres Angebot für Fahrgäste. Dafür ist der Verbindungsbahnentlastungstunnel zwingend notwendig.“
Doch 2019, als die Idee des VET aufkam, waren die Planungen für den Umzug weit gediehen. Schon 2014 hatte die Deutsche Bahn verkündet, den Fern- und Regionalbahnhof Altona um 1,9 Kilometer nach Norden verlegen zu wollen. Hatte sich der Verkehrskonzern 1997 und 2004 nach Widerständen noch vom Großprojekt verabschiedet, soll es dieses Mal klappen. Mit der Stadt, die nach weiteren Bauflächen suchte, wurde eine Einigung erzielt. Denn auf dem frei werdenden Gleisfeld des Kopfbahnhofs soll ab 2030 der zweite Bauabschnitt der Mitte Altona mit 1900 Wohnungen entstehen.
Bahnhof Diebsteich: Ursprüngliche Zeitplanungen sind längst hinfällig
Damals sollte der neue Bahnhof in Diebsteich 2023 fertig sein. 2017 hatte die Stadt mit der ProHa Altona GmbH & Co. KG, einem Joint-Venture aus dem Hamburger Unternehmen Procom und der Haspa, einen Investor gefunden.
Ein Jahr darauf gewann das dänische Büro C.F. Møller Architects den Wettbewerb. Der Entwurf sieht ein dreigeschossiges Sockelgebäude mit Parkhaus für 600 Fahrräder sowie Gastronomie, Gewerbe- und Einzelhandelsnutzungen vor. Die Bahnhofshalle überragen zwei Hochhäuser: Im nördlichen Bau mit bis zu 16 Geschossen ist ein Hotel geplant, im südlichen Hochhaus mit seinen bis zu 21 Geschossen entstehen moderne Büroflächen. Unter dem Bahnhofsgebäude entsteht eine Tiefgarage.
Tunnel unter dem neuen Bahnhof Diebsteich könnte das Problem lösen
In diese Planungen schneite der VET herein. Und dieses Großvorhaben bremst den Bau des Bahnhofs Diebsteich aus – es wurde nicht mitbedacht, die beiden Projekte liefen zunächst unabhängig voneinander. Das Problem taucht in einer Drucksache vom 26. September 2023 am Rande auf. Nötig wird nun der Bau einer Tunnelstation: „Aufgrund der oberflächen- und gleichzeitig bahnsteignahen Lage, der geringen Beeinträchtigung des Bahnverkehrs und denkmalgeschützter Bereiche sowie der im Vergleich geringen Beeinträchtigung der städtebaulichen Konversion des nahen ThyssenKrupp-Areals wird die Stationsvariante direkt unterhalb des vorgesehenen Investorengebäudes weiterverfolgt“, heißt es da.
Das Projekt Diebsteich umfasst neben dem neuen Bahnhof ein neues Stadtteilzentrum mit Musikhalle und neuem Stadion. Die sollen wie geplant gebaut werden: „Die Planungen für die Musikhalle und für das Regionalligastadion auf dem ehemaligen ThyssenKrupp-Areal können unabhängig vom Projekt VET weitergeführt werden“, sagte ein Sprecher der Stadtentwicklungsbehörde auf Anfrage.
Unterirdische Tunnelstation erfordert Umplanungen
Für den Bahnhofsbau gilt das nicht, wie auch die Drucksache vom September formuliert: „Infolge dieser Stationslage ergeben sich umfangreiche Abstimmungserfordernisse der bisher dort vorgesehenen Planungen. Im Konkreten geht es darum, die unterirdische Tunnelstation mit dem geplanten Empfangsgebäude sowie der vorgesehenen Bürobebauung auf dem westlichen Baufeld des ThyssenKrupp-Areals abzustimmen und sie dergestalt anzupassen, dass die bauliche Machbarkeit der unterirdischen Tunnelstation auch nach der Inbetriebnahme des Bahnhofs Hamburg-Altona (Neu) 2027 gewährleistet bleibt.“
Auch auf die Politik kommt eine schwierige Entscheidung zu. Da die Fertigstellung des Verbindungsentlastungstunnels noch in den Sternen steht, bleibt immer ein Restrisiko.
Eine Geister-Tunnelhaltestelle zu errichten, die über Jahre ungenutzt bleibt, ist politisch nicht ohne Risiko. Aber mit den Tiefbauarbeiten zu beginnen und den Anschluss des VET zu ignorieren, wäre ein politischer Schildbürgerstreich. So laufen die Planungen dem Vernehmen nach in diese Richtung und könnten den Bau um weitere 100 bis 200 Millionen Euro verteuern.
Tunnel oder nicht? Planer und Politik stecken in einem Dilemma
Der Investor äußert sich auf Anfrage des Abendblatts zurückhaltend: „Wir befinden uns zur Anbindung des VET an den neuen Bahnhof sowie möglichen Auswirkungen auf die Planung der Gebäude in enger Abstimmung mit der Deutschen Bahn und der Stadt“, sagt Dennis Barth, Geschäftsführer des Hamburger Investors und Projektentwicklers ProHa Altona.
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Klar ist: Der VET wird nicht so schnell kommen: „Es ist absehbar, dass mit dem Bau des Verbindungsbahnentlastungstunnels erst begonnen werden wird, nachdem der neue Bahnhof bereits in Betrieb gegangen sein wird“, heißt es in der Drucksache.
Wie dieser Bahnhof bei der Eröffnung aussieht, steht in den Sternen – zumal die derzeitige Krise am Immobilienmarkt den Neubau von Büro- und Hotelflächen nicht unbedingt zu erfordern scheint.
Diebsteich: Oberbaudirektor Walter hatte immer vor „Hundehütte“ gewarnt
Es wäre eine bittere Ironie der Geschichte, wenn der große Bahnhofsumzug mit einem Provisorium begänne. Ursprünglich hatte die Bahn dort einen unspektakulären dreigeschossigen Bau geplant – zur Empörung des damaligen Oberbaudirektors Jörn Walter. Der Zweckbau sei ein „verhungerter Bahnhof“, er sehe aus wie eine „Sparkasse in den Siebzigerjahren“, sagte der Oberbaudirektor 2014. „Altona ist kein Kuhkaff irgendwo auf dem Lande“, sagte er. „Der neue Bahnhof muss ein Zeichen in Richtung Zukunft sein. So muss man das angehen.“
So ging aus dem Architektenwettbewerb das markante Doppel-Hochhaus als Sieger hervor. „Weg von der Hundehütte, hin zum sichtbaren Zeichen“, hatte Walter 2014 gesagt. Nun könnte es doch erst einmal eine Hundehütte werden.