Hamburg. Senat und Bahn setzen große Hoffnungen in den Tunnel vom Hauptbahnhof nach Altona. Jetzt haben sie sich auf zwei Korridore festgelegt.
Es ist eine Vorentscheidung für Hamburgs ambitioniertestes Verkehrsprojekt neben der U5: Der „Verbindungsbahnentlastungstunnel“ (VET) für die S-Bahn soll entweder unterhalb der jetzigen Verbindungsbahn verlaufen oder auf der „Basistrasse Süd“ über Feldstraße und Max-Brauer-Allee. Wie Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) und die Deutsche Bahn am Dienstag erklärten, sind die drei weiteren Varianten, unter anderem in einem nördlichen Bogen über den Schlump, damit aus dem Rennen.
„Der neue S-Bahn-Tunnel ist ein weiteres wichtiges Infrastrukturprojekt, mit dem wir den Bahnverkehr der Zukunft in Hamburg gestalten und verbessern können“, sagte Tjarks. Nun gehe man in die konkrete Vorplanung. Bis Ende kommenden Jahres solle „die bestmögliche Variante für unsere Stadt“ ausgewählt werden.
Hamburgs neuer S-Bahn-Tunnel im HVV: Diese zwei Trassen sind jetzt die Favoriten
„Wir wollen die Mobilitätswende, und dazu gehört, dass man mehr Züge fahren lässt“, sagte Tjarks. Zudem sei es auf dem bestehenden Hamburger Schienennetz „praktisch unmöglich“, alle Züge pünktlich fahren zu lassen. Der neue Tunnel sei nun „die große Lösung“ für den Schienenknoten Hamburg, mit dem man drei Ziele erreichen wolle: „Mehr Pünktlichkeit, mehr Zuverlässigkeit und mehr Kapazitäten“, so der Verkehrssenator. Die Hamburgerinnen und Hamburger sollten wie im bisherigen Dialogverfahren auch weiter an der Trassenfindung beteiligt werden.
Wie berichtet, soll der knapp sechs Kilometer lange Tunnel grob der Verbindungsbahn folgen – vom Hauptbahnhof über Dammtor zum neuen Altonaer Fernbahnhof am Diebsteich. Die Idee dahinter: Wenn die täglich 645 S-Bahnen auf diesem Abschnitt unter der Erde fahren würden, könnte der oberirdische Fern- und Regionalverkehr vier statt zwei Gleise nutzen – daher der Name „Verbindungsbahnentlastungstunnel“.
Neuer S-Bahn-Tunnel soll 150 zusätzliche Züge täglich auf Verbindungsbahn ermöglichen
Die Bahn sieht durch die zusätzliche Infrastruktur ein Potenzial für täglich etwa 150 Züge mehr auf der Verbindungsbahn, davon 70 Nahverkehrszüge – das sei eine Verdoppelung der Kapazitäten und entspreche zusätzlichen 55.000 Sitzplätzen pro Tag. Der Tunnel würde aber auch dem Hamburger Hauptbahnhof, mit rund 550.000 Fahrgästen pro Tag schon jetzt überlastet, etwas Luft verschaffen. Denn wenn die S-Bahnen in einem zweiten Tunnel außerhalb des Bahnhofs fahren würden (einer liegt bereits unterhalb des Hachmannplatzes, der zweite würde direkt daneben entstehen), wären innerhalb des Gebäudes die Gleise 3 und 4 für den Fern- und Regionalverkehr frei.
Angestoßen hatte die Planung 2019 das Bundesverkehrsministerium. Bund, Bahn und Hamburger Senat sehen im VET „ein Schlüsselprojekt zur Umsetzung des Deutschlandtakts“, mit dem die Kapazitäten auf der Schiene verdoppelt werden sollen. Die Bahn hatte im Frühjahr eine Machbarkeitsstudie vorgestellt, wonach das Projekt technisch machbar ist. Darin wurden fünf alternative Trassen beschrieben.
Eine eigene S-Bahn-Station für den Dom und den FC St. Pauli?
Für den Verlauf unter der heutigen Verbindungsbahn spricht, dass es die kürzeste Strecke wäre und die jetzigen S-Bahn-Haltepunkte Sternschanze und Holstenstraße bestehen bleiben könnten – wenn auch neu gebaut unter der Erde. In allen anderen Szenarien müssten diese Haltestellen zu Regionalbahnhöfen umgebaut werden, damit die Menschen im Umfeld weiter Zugang zum Nahverkehr haben.
Die südliche Trasse über die Max-Brauer-Allee hätte hingegen das größte Potenzial, neue Gebiete zu erschließen, und die besten Umsteigeverknüpfungen. Auch die „Anbindung wichtiger Publikumsmagnete“ sei ein Aspekt, so der Senat. Unter anderem bekämen so das Heiligengeistfeld mit dem Hamburger Dom und das Millerntor-Stadion des FC St. Pauli quasi eine eigene S-Bahn-Station.
Deutsche Bahn: Neuer S-Bahn-Tunnel ist „zwingend notwendig“ für den Deutschlandtakt
„Wir begrüßen die Entscheidung des Senats für die zwei Streckenvarianten, mit denen die Planung jetzt konkretisiert wird“, sagte Frank Limprecht, Leiter Infrastrukturprojekte Nord der DB Netz AG. „Der Knotenpunkt Hamburg ist entscheidend für den Deutschlandtakt, deshalb brauchen wir mehr Züge und ein größeres Angebot für Fahrgäste. Dafür ist der Verbindungsbahnentlastungstunnel zwingend notwendig.“
Gemein seien allen untersuchten Varianten der Start- und der Endpunkt des Tunnels, so die Bahn. Los geht es in jedem Fall am Hauptbahnhof (genauer gesagt: unter dem Museum für Kunst und Gewerbe) und von dort weiter zum Dammtor. Erst dort gabeln sich die Varianten, bevor sie westlich der Station Holstenstraße so oder so in einem gigantischen Abzweigbauwerk am Kaltenkircher Platz münden. Von dort geht es weiter zu den Bahnhöfen Altona und Diebsteich. Für diese „variantenunabhängigen Abschnitte der Strecke“ wolle man schon in diesem Jahr mit der konkreten Planung beginnen, so die Bahn.
Prellbock schätzt die Kosten auf bis zu 14 Milliarden und spricht von „Monstertunnel“
Über die Kosten wurde bislang nicht viel bekannt. Während 2020 von gut drei Milliarden Euro die Rede war, schätzt die Bürgerinitiative Prellbock, die gegen die Verlagerung des Fernbahnhofs von Altona nach Diebsteich kämpft, diese eher auf zwölf bis 14 Milliarden Euro. Die Initiative hält den Tunnel für überflüssig, da dieser nur den aus ihrer Sicht verkorksten Bau des neuen Fernbahnhofs heilen solle. Eine westliche Elbquerung würde Hamburg mehr helfen.
Die Kosten seien für alle Varianten ungefähr gleich, beziffern werde man sie aber erst, wenn man konkret geplant habe, sagte Tjarks. Klar sei, dass der Bund mindestens 75 Prozent der Kosten übernehmen werde, so der Verkehrssenator: „Unsere Haltung ist: Das ist zu wenig.“ Schließlich handele es sich um ein Projekt des Bundes. Dieser werde am Ende aber auch nicht 100 Prozent übernehmen, da der Tunnel auch einen regionalen Nutzen für Hamburg habe.
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Laut Machbarkeitsstudie sind für den Bau der Haltestellen fünf offene Baugruben von 220 Meter Länge, 50 Meter Breite und 20 bis 40 Meter Tiefe nötig. Allein der Hachmannplatz vor dem Hauptbahnhof wird auf Jahre eine große Baustelle sein. Wie berichtet, wurde dem Museum für Kunst und Gewerbe und dem Ohnsorg-Theater bereits mitgeteilt, dass sie ab etwa 2028 für mindestens fünf Jahre ausziehen müssten, da der Tunnel quasi durch ihre Keller führt.
CDU und FDP geht es zu langsam, die Linke kritisiert den „Tunnelblick“ des Senats
Richard Seelmaecker, verkehrspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, stellte mit Blick auf die Vorstellung der fünf machbaren Varianten im März fest, dass der VET seitdem „nur minimal vorangekommen“ sei: „Was fehlt, ist ein Gesamtbild – und natürlich die Kosten, die auf die Stadt zukommen. Schon die Realisierung der U5 ist eine enorme finanzielle Herausforderung, und die des VET dürfte kaum geringer ausfallen.“ Wie berichtet, soll die neue U5 bis zu 16,5 Milliarden Euro kosten.
„Gut, aber zu langsam“, befand auch die FDP-Abgeordnete Anna v. Treuenfels-Frowein zum neuen S-Bahn-Tunnel. „Für eine gelingende Mobilitätswende braucht es in der Tat dringend einen Ausbau der überlasteten Hamburger S-Bahn.“ Das Tempo beim Entlastungstunnel sei aber „eindeutig zu langsam“.
Hamburgs neuer S-Bahn-Tunnel: Gibt es günstigere Alternative?
„Senat und Bahn haben nur noch den Tunnelblick“, kritisierte dagegen Heike Sudmann, Verkehrsexpertin der Linkspartei. „Dadurch erkennen sie nicht, dass der Engpass zwischen dem Hauptbahnhof und Altona nicht die zweigleisige Strecke ist. Das Nadelöhr ist der Bahnhof Dammtor.“ Dort stehe je Richtung nur ein Gleis zur Verfügung, weswegen Regional- und Fernzüge sich gegenseitig blockierten. Sudmann fordert daher zwei weitere Gleise am Dammtor: „Diese Lösung geht schneller und kostengünstiger, als einen Tunnel quer durch die Stadt zu buddeln.“