Bad Oldesloe. Report der Pflegeaufsicht im Kreis Stormarn offenbart alarmierende Zahlen. Wo die größten Defizite und Mängel bestehen.

Der Pflegenotstand ist längst auch im wirtschaftlich starken Stormarn angekommen. Das belegen aktuelle Zahlen der Wohnpflegeaufsicht, für die die Kreisverwaltung in Bad Oldesloe zuständig ist. „Die Anzahl der Beschwerden aus Altenpflegeheimen und Einrichtungen der Eingliederungshilfe nehmen kontinuierlich zu“, sagt Christina Möller vom Fachdienst Öffentliche Sicherheit. Waren es 2019 nur 74, so wurden 2020 bereits 116 registriert. Im Vorjahr gab es dann mit 150 einen neuen Höchstwert und damit eine Verdoppelung innerhalb von nur drei Jahren. Das Spektrum der Kritik reicht von Qualitätseinbußen in der Pflege über Fehldosierungen von Medikamenten und Unterernährung bis zu gewaltsamen Übergriffen.

Pflegenotstand: Zu wenig Pfleger für zu viele Hilfebedürftige

Der gravierende Fachkräftemangel bringt offenbar immer mehr Betreiber von Pflegeeinrichtungen in Bedrängnis, ihren vertraglichen und medizinischen Verpflichtungen in vollem Umfang nachkommen zu können. „Die Qualität der Betreuung nimmt gefühlt mit jedem Monat ab“, sagte der Bewohner einer großen Pflegeeinrichtung in Ahrensburg unserer Redaktion. Weil er Nachteile befürchtet, will er seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen.

Was er moniert, dürfte unterdessen symptomatisch für viele Einrichtungen der Altenpflege im gesamten Kreisgebiet sein. „Die Pflegerinnen und Pfleger wirken oft gehetzt. Weil sich zu wenige von ihnen um zu viele Hilfebedürftige kümmern müssen, werden nicht mehr alle notwendigen Leistungen erbracht“, so der hochbetagte Mann. Trost, Zuspruch und liebvolle Zuwendung kämen unter diesen Umständen erst recht zu kurz.

Pflegenotstand: Hälfte aller Heime erfüllt Fachkraftquote nicht

Laut Erhebungen der Wohnpflegeaufsicht des Kreises haben im vergangenen Jahr 16 von 34 geprüften Pflegeeinrichtungen die geforderte Fachkraftquote von 50 Prozent nicht erfüllt, drei lagen sogar unter 40 Prozent. Hinzu komme eine hohe Personalfluktuation, während die Nachbesetzung sehr häufig mit langen Wartezeiten verbunden sei.

Der permanente Zeitdruck hat unterdessen zunehmend gravierendere Auswirkungen. Das geht aus dem jüngsten Bericht der Wohnpflegeaufsicht des Kreises hervor. Danach haben unzureichende Schichtbesetzungen in den Wohnbereichen nicht nur zu Mängeln in der Umsetzung ärztlicher Verordnungen geführt, sondern auch im Umgang mit Medikamenten und Betäubungsmitteln. „Das allerdings betrifft bei Weitem nicht alle Einrichtungen, während einzelne immer wieder in der Kritik stehen“, betont Christina Möller.

20 Druckgeschwüre sind aktenkundig geworden

Deutlich gestiegen sei auch die Zahl von Druckgeschwüren, von denen im Vorjahr 20 aktenkundig geworden sind. Zur sogenannten Dekubitusprophylaxe zählen unter anderem eine tägliche Hautkontrolle, die Hautreinigung mit wundhemmenden Mitteln, ein frühzeitiger Wechsel von Inkontinenzmaterial und eine ausreichende Versorgung mit Flüssigkeit.

Vermehrte Defizite wurden darüber hinaus bei der Umsetzung der gängigen Expertenstandards für die Sturzprophylaxe und für die Pflege von Menschen mit chronischen Wunden festgestellt, aber auch im Ernährungsmanagement und im Bereich der allgemeinen Hygiene.

Elf ordnungsrechtliche Verfügungen erlassen

Gravierende Mängel und Verstöße haben allein im vergangenen Jahr zu elf ordnungsrechtlichen Verfügungen geführt. Dazu zählten drei Belegungsstopps, drei Verlängerungen eines Belegungsstopps, drei Anordnungsbescheide mit Zwangsgeldandrohung und eine Zwangsgeldfestsetzung von milden 200 Euro. In diesem Jahr kamen bereits zwei weitere Anordnungsbescheide mit Zwangsgeldandrohung hinzu.

Um der Personalmisere zu begegnen, soll ab 1. Juli dieses Jahres ein neues Personalbemessungssystem greifen. Danach sollen 700 bis 1000 Pflegehilfskräfte eine Weiterbildung durchlaufen. Ziel ist ein neuer Qualifikationsmix aus 40 Prozent an Fachkräften, 30 Prozent an Assistenzkräften und 30 Prozent an sonstigen Hilfskräften.

Zu viele strukturelle Fehler im Pflegesystem

In der Kreispolitik gibt es aber schon jetzt erhebliche Zweifel, dass der Pflegenotstand so nachhaltig bekämpft werden kann. „Es wird zwar alles irgendwie geregelt, aber nichts funktioniert wirklich“, monierte etwa Birgit Reichardt-Mewes (CDU). Sie sehe eine bedenkliche Entwicklung, die vor allem zu Lasten der kleineren Einrichtungen gehe.

Der Linke Hendrik Holtz, der selbst Erfahrungen als Pfleger sammelte, sieht derweil katastrophale Verhältnisse heraufdämmern. „Durch die vielen strukturellen Fehler im Pflegesystem werden Menschen sehenden Auges verheizt. Ohne eine bessere Bezahlung und verlässliche Arbeitszeiten können die Probleme nicht gelöst werden“, so Holtz.

In 45 Pflegeheimen sind 3670 Plätze verfügbar

Ähnlich beurteilt die Lage auch Thomas Bellizzi (FDP). „Pflege kostet Geld, gute Pflege kostet viel Geld“, sagt der Freidemokrat aus Ahrensburg. Es könne allerdings nicht sein, dass der Eigenanteil der Bewohner immer weiter steige, die Qualität der Pflege aber spürbar sinke. „Dass immer mehr Bewohner von Altenpflegeeinrichtungen auf Sozialhilfe angewiesen sind, ist nicht hinnehmbar“, kritisiert Bellizzi.

Derzeit gibt es in Stormarn 81 stationäre Einrichtungen. Davon sind 45 Pflegeheime mit 3670 Plätzen und 36 Standorte der Eingliederungshilfe. Hinzu kommen vier Altenwohnheime ohne Pflege mit 886 Plätzen, ein Hospiz mit zwölf, elf Tagespflegeeinrichtungen mit 238 und eine WG der Intensivpflege mit sieben Plätzen. Das Alten- und Pflegeheim Rönnerhof in Braak hat im vergangenen Jahr ebenso den Betrieb eingestellt, wie die Therapeutische Wohngemeinschaft Salinenstraße in Bad Oldesloe.

Von der Insolvenz des großen Trägers Convivo aus Bremen, zu dem etwa 100 Pflegeeinrichtungen gehören, waren auch drei Häuser im Kreis Stormarn betroffen. Zwei konnten noch vor dem Insolvenzverfahren veräußert werden. „Die dritte Einrichtung in Reinbek wird jetzt von der Wohnpflegeaufsicht engmaschig begleitet, um die Versorgung der verbliebenen Bewohner gewährleisten zu können“, so Christina Möller.

Insolvenzverfahren würden immer mit der Gefahr einhergehen, dass das Personal wegen der finanziellen Unsicherheit abwandere. In Reinbek sind die Januar-Gehälter erst am 10. Februar gezahlt worden. Trotz der finanziellen Belastung sind aber alle Pflegekräfte geblieben. Laut Auskunft des Insolvenzverwalters soll es mehrere Interessenten geben, die die Einrichtung übernehmen und weiterführen wollen. Eine Entscheidung stehe aber noch aus.