Hamburg. Unternehmer fordert mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz und eine Strategie zur Nachhaltigkeit. Nun holt er eine große Umweltkonferenz nach Hamburg.
Es ist ein wenig wie bei der Frage nach der Henne und dem Ei – war es die Stadt Hamburg, die das Umweltbewusstsein von Michael Otto geschärft hat? Oder war es der Ehrenbürger, der die Metropole für die Belange des Natur- und Klimaschutzes sensibilisieren konnte?
Fakt ist: Noch vor einem halben Jahrhundert glich Hamburg mancherorts einem ökologischen Notstandsgebiet: Die Elbe war eine Kloake, die Luft mit Schwermetallen belastet – und beim Spielen starb 1979 ein kleiner Junge, weil auf einem alten Fabrikgelände in Eidelstedt Giftstoffe und Waffen offen herumlagen. Dieser sogenannte Stoltzenberg-Skandal bewegte die Republik – und am Ende die Umweltpolitik.
Klimaschutz: Michael Otto nimmt Hamburg in die Pflicht
Michael Otto hatte zu diesem Zeitpunkt das Thema schon für sich entdeckt: „Mich hat der Bericht des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums sehr bewegt. Das war mein Schlüsselerlebnis“, erinnert sich der Unternehmer. Als das Buch, das die Welt verändern sollte, 1972 erschien, war Michael Otto noch keine 30 Jahre alt und gerade in den Vorstand des Versandhauskonzerns eingezogen.
„Das Buch hat das Bewusstsein für die Endlichkeit der Ressourcen geweckt. Wichtiger noch fand ich die Aufforderung zu handeln: Ich wollte nicht auf die Politik oder die Industrie warten, bis die in Bewegung kommen. Jeder Bürger und jeder Unternehmer muss bei sich selbst anfangen.“
Der Vater zweier Kinder und Großvater zahlreicher Enkel begann mit Einzelmaßnahmen im Unternehmen wie die Umstellung auf Kartonagen aus Altpapier und baute das Engagement von Jahr zu Jahr aus. 1986 erklärte er das Thema Umweltschutz zum Unternehmensziel und baute ein Umweltmanagement auf, das systematisch die Standorte unter die Lupe nahm. „Anfang der 90er-Jahre haben wir dann begonnen, unser gesamtes Sortiment im Hinblick auf Umweltfreundlichkeit zu überarbeiten“, sagt Otto. „Das war ein Prozess, der viele Jahre braucht und permanent weitergeht.“
Michael Otto: „Jeder muss bei sich und in seinem Unternehmen anfangen“
Als der gebürtige Westpreuße mit seinem Umweltengagement begann, schüttelten viele Manager noch den Kopf über den „Öko-Kram“. „Sie hielten mich für einen Exoten und schmunzelten über mich. Heute ist das eine Selbstverständlichkeit für alle Unternehmen“, sagt der Öko-Manager des Jahres 1991. Es brauchte seine Zeit. „Ein richtiges Thema wurde Nachhaltigkeit erst im neuen Jahrtausend.“
Da hatte Michael Otto längst seine Umweltstiftung gegründet. „Jeder muss bei sich und in seinem Unternehmen anfangen. Wenn man die Möglichkeit hat, darüber hinaus etwas zu bewegen, muss man es versuchen.“ Bis heute ist Michael Otto Kuratoriumsvorsitzender der nach ihm benannten Stiftung.
Seine letzte Stiftung gründete Otto erst 2023
„Heute geht ein Großteil meiner Zeit in dieses Engagement.“ Als Initiator und Präsident der Stiftung KlimaWirtschaft befasst er sich beispielsweise mit der Frage, wie die Wirtschaft bis 2045 klimaneutral werden kann. „Wir sind in Gesprächen mit Vorständen und der Politik und machen konkrete Vorschläge aus der unternehmerischen Praxis.“
Zudem ist Otto der Ehrenvorsitzende des Stiftungsrats der Umweltstiftung WWF Deutschland und Ehrenratsmitglied des Weltzukunftsrats sowie Mitglied des Internationalen Club of Rome. Der 81-Jährige engagiert sich auch im Bereich der Musik mit The Young ClassX. „Mich treibt zudem um, wie man die Demokratie stärken kann“ – zu diesem Zweck hat er im vergangenen Jahr eine weitere Stiftung gegründet.
Otto engagiert sich für das neue Naturkundemuseum in der HafenCity
Intensiv engagiert sich der Ehrenbürger für die Einrichtung eines Naturkundemuseums. Der Standort in der HafenCity steht inzwischen fest, er wird im Elbtorquartier zwischen der Übersee-, der Shanghaiallee und der Hongkongstraße liegen. „Ich bin mit dem Stand zufrieden“, sagt Otto. „Es wird derzeit an der Architektur und den Inhalten gearbeitet – denn es soll Forschung und Präsentation verbinden.“ Das neue „Evolutioneum“ werde ein attraktives Ziel für die Bürger in Hamburg, aber auch für Touristen.
Zugleich kann die wertvolle naturkundliche Sammlung, die seit der Zerstörung des alten Museums in der Operation Gomorrha heimatlos ist, endlich besser geschützt werden. „Ich habe mir vieles angeschaut, was derzeit in Kellern und Depots lagert. Da müssen wir aufpassen, dass uns nichts kaputtgeht“, warnt er.
Deutschlandweit gibt es viele Naturkundemuseen und Wissenschaftsschauen. Otto sieht die Berliner Einrichtung als Vorbild. „Das Museum für Naturkunde ist sehr attraktiv und hat auch eine hohe Frequenz.“ Auf einen Eröffnungszeitpunkt will er sich nicht festlegen – nur so viel: In diesem Jahrzehnt soll es noch klappen. Ursprünglich war das Jahr 2027 angepeilt worden – aufgrund der Größe des Projektes und der Probleme in der Bauwirtschaft spricht davon niemand mehr.
Für den Elbtower fordert Otto eine schnelle Lösung
Ein Kilometer weit flussaufwärts steht derzeit Hamburgs bekanntester Torso, der von den 247 Metern bislang nur 100 Meter geschafft hat: der Elbtower. „Es ist tragisch, dass die Stadt einem Investor vertraut hat, der vielleicht dieses Vertrauen nicht verdient hat“, sagt der Milliardär. „Jetzt müssen schnelle Lösungen gefunden werden. Die Insolvenz könnte es sogar erleichtern.“ Wer den bestehenden Rohbau für einen sehr günstigen Preis bekomme, für den könne sich das Engagement rechnen. Otto selbst schließt ein Investment aus: „Ich habe kein Interesse an einem Wolkenkratzer.“
Seine Interessen liegen in der Umweltbildung und dem Naturschutz – und wie die ökologische Wende gelingen kann. „Wir werden unsere Ziele nur erreichen können, wenn Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und die Gesellschaft an einem Strang ziehen. Das bedeutet, die Menschen mitzunehmen und nicht zu überrumpeln. Umwelt-, Natur- und Artenschutz kann man nicht gegen die Menschen machen, immer nur mit den Menschen.“
Seine Stiftung unterstützt eine große Schau zum Thema Wasser Im MKG
Die Umweltstiftung Michael Otto unterstützt die aktuelle Ausstellung „Water Pressure“ im Museum für Kunst und Gewerbe, die weltweite Probleme wie Wasserknappheit, Überflutung, Verschmutzung und gestörte Wasserkreisläufe veranschaulicht. Viel Raum nimmt dort auch die Hafenstadt Hamburg ein mit ihren Herausforderungen – von Überschwemmungen bis hin zum Wassermangel.
„Wasser spielt in Hamburg seit jeher eine zentrale Rolle. Wasser ist Leben“, sagt Otto. Er kennt noch die Zeiten, in denen die Elbe ein dreckiger, fast toter Fluss war. „Ich erinnere mich noch gut an ein Gespräch mit Bürgermeister Henning Voscherau. Hamburg hat damals geholfen, in Dresden ein Klärwerk zu bauen. Das war notwendig, um auch hier sauberes Flusswasser zu bekommen.“ Als Volksschüler habe er in den 50er-Jahren in der Elbe gebadet, bevor der Fluss weiter verdreckte. „Wir haben viel erreicht, inzwischen hat die Elbe wieder Badequalität.“ Das Beispiel zeige, was möglich ist.
In Hamburg sieht der Ehrenbürger bei der Nachhaltigkeit „Luft nach oben“
So wünscht sich der Ehrenbürger heute mehr Engagement für Nachhaltigkeit in Hamburg. „Es gibt gute Ansätze in Hamburg, aber wir sind bei Weitem noch nicht dort, wo wir hinmüssen.“ Er verweist auf das Nachhaltigkeitsranking der „Wirtschaftswoche“, das die Hansestadt auf einer Liste der 71 deutschen Großstädte mit Platz 44 nur im unteren Mittelfeld sieht.
„Da muss Hamburg deutlich nachlegen. Wir brauchen endlich die Nachhaltigkeitsstrategie für Hamburg. Auch der Nachhaltigkeitscheck, den andere Länder längst haben und den die Bürgerschaft schon 2018 verabschiedet hat, ist noch nicht umgesetzt. Es bliebt einiges zu tun.“ Solche Fragen hätten für die Stadt eine hohe Relevanz: „Wir müssen uns beispielsweise Gedanken machen, wie wir die Flächenversiegelung reduzieren können oder die Erhitzung des Stadtkerns im Sommer drosseln.“
Michael Otto lobt die Initiative der Handelskammer
Der Aufsichtsratsvorsitzende der Otto Group lobt, dass die Unternehmer der Hansestadt inzwischen vorangehen: „Durch die Initiative der Handelskammer wollen wir bereits 2040 klimaneutral werden. Diese Zielsetzung aus der Wirtschaft sollte sich auch die Politik zutrauen. Was Bayern und Baden-Württemberg können, würde auch Hamburg gut zu Gesicht stehen.“ Bislang strebt der Senat die Klimaneutralität für 2045 an.
Er hält das Ziel für erreichbar, „Wenn man es gemeinsam anpackt und die Menschen mitziehen, ist vieles möglich. Dafür benötigen wir die Hilfe der Wissenschaft.“ Entscheidend seien regelmäßige Überprüfungen, wie weit man bei der Zielerreichung ist. Otto nennt ein Beispiel: Sein Unternehmen arbeite seit Langem am klimaneutralen Verkehr. „Wir haben die Paketzustellung unserer Gesellschaft Hermes Ende letzten Jahres in Hamburg komplett auf Elektromobilität umgestellt, also auf Elektrofahrzeuge und Elektrofahrräder. Jetzt benötigen wir ausreichend grünen Strom. Vieles ist machbar, wir müssen es nur anpacken.“
Die Stadt beherbergt im Oktober die „Hamburg Sustainability Conference“
Ein ökologisches Wirtschaftswunder, das Olaf Scholz vor einigen Monaten den Deutschen versprach, erwartet Otto indes nicht. „Das scheint mir ein bisschen übertrieben. Ich bin aber überzeugt, dass wir durch das Klimaziel viele Investments auslösen, die Arbeitsplätze schaffen und die Wirtschaft beleben.“
Derzeit laufen die Vorbereitungen für eine große internationale „Hamburg Sustainability Conference“, die Anfang Oktober im Rathaus und der Handelskammer stattfinden wird. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das UNO-Entwicklungsprogramm UNDP, die Hansestadt und die Michael Otto Stiftung haben das hochrangige Treffen initiiert. „Das soll sich nach dem Vorbild der Sicherheitskonferenz in München dem Thema Nachhaltigkeit widmen.“ Erwartet werden hochkarätige Staatschefs, sagt Otto, der Kanzler und Bundesminister, aber auch NGOs, Unternehmensvertreter und Wissenschaftler. „Wir haben den globalen Süden gleichberechtigt eingebunden. Wir wollen hier Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft zusammenführen.“
Ziel ist eine regelmäßige „Sicherheitskonferenz der Nachhaltigkeit“
Otto hegt hohe Erwartungen an diese „Sicherheitskonferenz der Nachhaltigkeit“. „Es soll keine Konferenz nach dem Motto werden: ‚schön, dass wir darüber gesprochen haben‘. Nein, wir wollen konkret aufzeigen, wie sich Probleme lösen lassen, welche Modelle es gibt. Wir wollen den Bezug zum konkreten Handeln betonen.“ Zwischen der in Zukunft jährlich geplanten „Hamburg Sustainability Conference“ sollen Folgetermine die Themen voranbringen.
Zwar wird diese Konferenz nur Eingeladenen offenstehen, aber parallel soll in Hamburg eine Woche zum Thema der 17 globalen Nachhaltigkeitsziele veranstaltet werden. Im Jahr 2015 hatten die Vereinten Nationen die sogenannte Agenda 2030 mit diesen 17 Zielen für eine sozial, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltige Entwicklung verabschiedet. „Da geht es um eine Bestandsaufnahme, wo wir stehen. Leider sind wir nicht sehr weit gekommen. Wir wollen alle Hamburger einladen, sich zu beteiligen.“
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Sein Interesse beschreibt Otto so: „Wir brauchen mehr Geschwindigkeit, alle reden immer, aber es wird zu wenig gehandelt. Das wollen wir ändern. So vieles ist längst möglich – aber zu wenig passiert. Ich wünsche mir, dass wir darüber reden, was uns hindert und warum man nicht Dinge übernimmt, die anderswo funktionieren.“
Da nimmt er seine Heimatstadt noch einmal in die Pflicht: „Es gibt einen Verbund von über 130 Städten, die wollen sogar bis 2030 klimaneutral sein. Das ist ein anderes Kaliber, Hamburg hat sich das Ziel 2045 gesetzt. Ich wäre schon froh, wenn wir es bis 2040 schaffen.“
Fünf Fragen an Michael Otto
Meine Lieblingsstadt ist Hamburg – sie ist weltoffen und wunderschön: Ich mag das viele Grün, das Wasser, Elbe und Alster, aber auch das geistige Klima in der Stadt, die Debatten und das kulturelle Angebot.
Mein Lieblingsstadtteil ist das Treppenviertel von Blankenese.
Mein Lieblingsort ist der Elbstrand: Mitten in der Großstadt das Gefühl von Nord- oder Ostsee zu bekommen ist wunderschön. Am liebsten mag ich die Strände Richtung Wittenberge, wo es ruhiger wird und kaum noch jemand unterwegs ist.
Mein Lieblingsgebäude ist die Elbphilharmonie – das ist gar keine Frage.
Einmal mit der Abrissbirne... mir gefallen die Türme an der Mundsburg nicht – das ist nicht gerade eine Schönheit für Hamburg.