Hamburg. Ein Gespräch mit Hamburgs Ehrenbürger Michael Otto zu seinem 80. Geburtstag: Was die Politik tun muss, um den Klimawandel aufzuhalten.

Michael Otto wird an diesem Mittwoch 80 Jahre alt. Der Hamburger Unternehmer und Ehrenbürger hat nicht nur die Otto Group groß gemacht, deren Aufsichtsratschef er weiterhin ist, er engagiert sich auch schon seit Jahrzehnten für den Klima- und Umweltschutz. Ein Abendblatt-Gespräch über die „Letzte Generation“, individuelle CO2-Konten, Flugverbote und Belastungen durch den Klimaschutz für die Bevölkerung.

Hamburger Abendblatt: Diese Frage muss vorweg erlaubt sein: Geht es Ihnen gesundheitlich gut?

Michael Otto: Ja, Gott sei Dank. Ich bin fit und fühle mich sehr gut.

Was planen Sie an Ihrem 80. Geburtstag?

An dem Tag selbst werde ich vormittags in der Unternehmenszentrale sein und mit den Kolleginnen und Kollegen ein Stück Torte essen, am Nachmittag feiere ich dann im Familienkreis mit den Kindern und Enkeln. Am Wochenende darauf gibt es ein größeres Fest im Schuppen 52 mit geladenen Gästen – Familie, Freunde und Wegbegleiter.

Sie sind im Jahr 1943 geboren, haben viel erlebt: Flucht, Wiederaufbau, Konjunkturaufschwünge, Rezessionen: Wie würden Sie im Rückblick auf die acht Jahrzehnte die vergangene Dekade einordnen – eine besonders schwierige?

Es gab immer Phasen mit Krisen. Zum Beispiel als Anfang der 1960er-Jahre die Berliner Mauer gebaut wurde, sich dort US-amerikanische und sowjetische Panzer gegenüberstanden; oder erinnern wir uns an die Kuba-Krise. Wir hatten auch großartige Momente – hier muss man vor allem die Wiedervereinigung nennen. Es gab in den letzten 80 Jahren viele Hochs und Tiefs.

Aber an die gerade begonnene Dekade mit der Corona-Pandemie, dem Ukraine-Krieg, den Lieferketten-Problemen, den Energieengpässen und der hohen Inflation – an so eine Phase kann ich mich nicht erinnern. Das war und ist schon sehr herausfordernd.

Michael Otto: Letzte Generation ist schädlich für den Klimaschutz

Welches der aktuellen Problemfelder müssen wir mit der größten Dringlichkeit angehen?

Am wichtigsten ist aus meiner Sicht, dass der Krieg in der Ukraine beendet wird. Dass nicht länger Menschen sterben, Frauen vergewaltigt und Kinder verschleppt werden. Aber über allem steht der Klimaschutz. Denn der Klimawandel wird weltweit noch viel größere Probleme und menschliches Leid mit sich bringen. Denken wir nur an die Dürren, Überschwemmungen und weitere Extremwetterereignisse, die drohen.

Handelt die deutsche Politik mit Blick auf den Klimaschutz entschlossen genug?

Ich sehe Schritte in die richtige Richtung, aber Deutschland muss schneller werden im Kampf gegen den Klimawandel. Wichtig ist, dass wir beim Ausbau von Windkraft- und Solaranlagen das Tempo deutlich erhöhen. Die Genehmigungen müssen viel zügiger erfolgen. Dafür benötigen die zuständigen Behörden mehr Personal.

Und die Digitalisierung muss in diesem Bereich voranschreiten. Es kann nicht sein, dass man für den Antrag zum Bau eines Windparks mehr als ein Dutzend Aktenordner voll mit Papier benötigt. Zudem sollten Anträge nach einer gewissen Zeit automatisch als genehmigt gelten, wenn bis dahin kein Bescheid erfolgt ist.

Was heißt das? Wollen Sie das Klagerecht gegen Windräder einschränken?

Nein, das Recht sollte auf jeden Fall bestehen bleiben. Aber es müsste eine Deadline geben, bis wann Einsprüche und Klagen eingereicht werden können. Es darf nicht weiter so sein, dass man durch Folgeklagen Projekte unendlich verzögern kann. Auch wenn ich weiß, dass die Umsetzung einer solchen Regel rechtlich anspruchsvoll ist.

Darüber hinaus benötigt die Wirtschaft in der Zeit des Ausbaus der erneuerbaren Energien einen langfristig festen, verlässlichen und bezahlbaren Energiepreis, beispielsweise mit Contract of Difference. Dabei kann der Preis schwanken und wird je nachdem durch Subvention oder Zahlungen des Abnehmers stabil gehalten. Sonst wird vor allem die energieintensive Wirtschaft abwandern oder zumindest hierzulande nicht mehr investieren. Den Energiepreis könnte man dann sicherlich alle zwei, drei Jahre senken, weil das grüne Stromangebot deutlich steigen wird.

Notwendigen Weg zum Klimaschutz müssen alle mitgehen

Andererseits wird die Nachfrage nach Strom auch stark zunehmen, wenn man Öl- und Gasheizungen durch Wärmepumpen und Verbrenner-Autos durch Elektrofahrzeuge ersetzt. Dann drohen doch deutlich steigende Strompreise.

Deshalb müssen wir mit Nachdruck die regenerativen Energien ausbauen. Dabei geht es nicht nur um Windräder und die Flächenbereitstellung durch die Bundesländer. Auf möglichst viele Hausdächer müssen Solarmodule. Hier sollte die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen und – wo es technisch machbar ist – auf alle ihre Gebäude solche Panels installieren. Aber auch auf landwirtschaftliche Flächen kann man Solarpanels stellen, beispielsweise auf Stelzen, und unter oder neben ihnen weiter Agrarwirtschaft betreiben.

Neben der Wirtschaft kommt auch auf Privathaushalte mit Blick auf die von der Politik geplanten Klimaschutzmaßnahmen viel zu. Heizungen, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden, sollen zeitnah verschwinden. Autos mit Verbrenner-Motoren sollen durch Elektroautos ersetzt werden. Haben Sie nicht die Befürchtung, dass viele Bundesbürger mit diesen Veränderungen finanziell und mental überfordert werden?

Wir sollten uns beim Heizen nicht nur auf Wärmepumpen konzentrieren. Geothermie, Solarthermie, Wasserstoff – auch hier gibt es spannende Entwicklungen. Zudem arbeitet die Politik daran, dass es für soziale Härtefälle eine finanzielle Unterstützung vom Staat gibt. Das ist ein sehr komplexes Projekt, aber der Staat muss helfen, sonst werden wir die Menschen tatsächlich überfordern. Wir müssen auf diesem notwendigen Weg hin zum Klimaschutz alle mitnehmen.

Ist Klimaschutz für Sie ein Thema, das die Generationen womöglich dauerhaft spalten wird? Auf der einen Seite die Älteren, die um ihren erreichten Wohlstand bangen, auf der anderen Seite die Jüngeren, die um ihre Zukunft fürchten.

Es ist richtig, dass sich die jüngere Generation sehr viel stärker für den Klimaschutz engagiert, schließlich geht es vor allem um ihre Zukunft. Und es ist auch richtig, dass einige ältere Menschen eher denken: Die noch extremeren Folgen des Klimawandels erlebe ich ohnehin nicht mehr.

Aber ich habe den Eindruck, dass auch die breite Mehrheit der Älteren sich bewusst ist, dass mehr für den Klimaschutz getan werden muss. Schließlich haben auch die meisten Älteren Kinder und Enkel. Und sie schauen deshalb mit großer Sorge auf die Welt von morgen.

Haben Sie Verständnis für Aktivisten der sogenannten „Letzten Generation“, die sich auf Straßen festkleben, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen?

Nein, diese Radikalisierung führt vom eigentlichen Thema weg. Sie ist sogar schädlich für den Klimaschutz. Denn die Menschen sprechen nur noch über die Aktionen, regen sich als betroffene Autofahrer darüber auf. Sie verbinden den Klimaschutz dann mit den sogenannten Klimaklebern und wenden sich ab. Das darf nicht sein. Die „Letzte Generation“ erweist dem Klimaschutz so einen Bärendienst.

Müssen die Klimaaktivisten aber nicht zu drastischeren Aktionen als Demonstrationen greifen, um überhaupt noch öffentlich wahrgenommen zu werden?

Nein. Diese Straßenkleber können sogar Leben gefährden, wenn durch ihre Aktionen Rettungswagen verspätet zu Unfallopfern kommen, weil die Straße versperrt ist. Im Gegensatz dazu unterstütze ich die Fridays-for-Future-Bewegung sehr. Sie hat viel getan, um das Thema Klimaschutz stärker in den Köpfen der Bevölkerung zu verankern und voranzubringen. Es braucht keine gewalttätige Eskalation.

Michael Otto: Flugverbote sind keine Lösung für Klimaschutz

Wo ziehen Sie eine Grenze für die Proteste? Ist es noch in Ordnung, wenn in Museen Kunstwerke mit Essen beschmiert werden?

Auch das finde ich nicht akzeptabel. Sobald Sach- oder Personenschaden entsteht, wird eine Grenze überschritten.

Was halten Sie von Verboten, um den Klimaschutz voranzubringen – zum Beispiel Flugverbote?

Ich bin gegen solche generellen Verbote. Der Staat hat aus meiner Sicht die wichtige Aufgabe, den Rahmen vorzugeben und etwa über Steuern und Abgaben zu lenken. So haben wir zum Beispiel eine CO2-Bepreisung.

Zudem besteht die Möglichkeit über Steuererleichterungen oder Zuschüsse Klimaschutzmaßnahmen zu fördern, wie zum Beispiel den Austausch einer Heizung. Man könnte auch darüber nachdenken, Kerosin künftig zu besteuern, dazu müsste man sich aber international abstimmen. Sonst tankt eine Fluggesellschaft steuerfrei in den Niederlanden und fliegt später mit dem Billigkerosin quer durch Deutschland.

Und klimaschädliche Aktivitäten können sich wegen der höheren Besteuerung dann nur noch Reiche leisten?

Das Problem haben Sie bei allen Dingen, die mit Abgaben belegt werden. Aber wir sind noch weit davon entfernt, dass Flüge so teuer sind, dass nur noch Reiche sie sich leisten können.

Was halten Sie von einem individuellen CO2-Konto? Jeder Bürger bekommt das Recht, eine bestimmte Menge CO2 auszustoßen. Überschreitet er diese Menge, muss er eine Strafe zahlen, deren Höhe sich nach seinem Einkommen richtet.

Die Grundidee hat sicherlich Charme, ist aber aus meiner Sicht nicht umsetzbar. Das würde zu einer riesengroßen Bürokratie führen und wäre nicht mehr zu kontrollieren. Vom Datenschutz ganz zu schweigen.

Michael Otto beim Jahresempfang des World Future Council (WFC) in Hamburg, zusammen mit seinem Bruder Frank Otto (l.) und WFC-Chefin Alexandra Wandel.
Michael Otto beim Jahresempfang des World Future Council (WFC) in Hamburg, zusammen mit seinem Bruder Frank Otto (l.) und WFC-Chefin Alexandra Wandel. © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Was bringt Klimaschutz hierzulande, wenn in Ländern wie China weiterhin unzählige Kohlekraftwerke gebaut werden? Deutschland allein wird das Klima nicht retten können.

Die westlichen Industrienationen tragen eine besondere Verantwortung für den Klimaschutz, schließlich verbrennen sie seit mehr als 150 Jahren fossile Energieträger. Zudem kann Deutschland Vorbild für die Welt sein. Gelingt uns der Umstieg, werden andere Länder folgen, davon bin ich überzeugt.

Es ist richtig, dass es am Ende um die großen Industrieländer wie China, Indien und die USA geht. Aber auch hier bewegt sich mehr, als man denkt. In China werden aktuell noch viele Kohlekraftwerke gebaut. Aber ich weiß aus meinen Gesprächen mit chinesischen Entscheidern, dass Kohle dort nur noch als Übergangslösung gesehen wird. China investiert bereits viel Geld in große Windparks und Solaranlagen.

Denn die Chinesen spüren den Klimawandel bereits sehr deutlich im eigenen Land. Wenn man zum Beispiel in Peking unterwegs ist, bemerkt man in der Luft häufig Wüstenstaub aus den benachbarten, großen und wachsenden Dürregebieten.

Ist die Marktwirtschaft eigentlich das richtige System, um den Klimawandel schnell aufhalten zu können? Oder müsste der Staat sich nicht viel stärker einmischen als es das System der Marktwirtschaft erlaubt?

Ich denke, man kann auch in einer Marktwirtschaft mit entsprechender Steuerung viel gegen den Klimawandel unternehmen. Ordnungsrecht ist nur dann angebracht, wenn es anders nicht geht. Wir haben bereits eine Soziale Marktwirtschaft, also Orientierung im Sinne einer sozialen Ausrichtung. Nun brauchen wir die Weiterentwicklung zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft.

Sind Sie dafür, den Klimaschutz im Grundgesetz zu verankern?

Darüber sollte man sich zumindest ernsthaft Gedanken machen.

Hamburger Otto Group will Waren bis 2025 emissionsfrei zustellen

Kommen wir zum Klimaschutz und der Otto Group. Wie hat sich in den vergangenen Jahrzehnten Ihr ökologisches Denken als Unternehmer verändert?

Für mich war 1972 der Bericht „Grenzen des Wachstums“ vom Club of Rome Anstoß zum Handeln. Ich war damals Vorstand bei Otto. Da habe ich mir vorgenommen, etwas in unserem Unternehmen zu verändern. Die Kartonage haben wir dann auf recyceltes Material umgestellt. Die Kataloge wurden auf chlorfreiem Papier gedruckt – und vieles mehr.

1986 haben wir dann Umweltschutz zu einem unserer Unternehmensziele erklärt. Anfang der 1990er-Jahre haben wir uns die Sortimente genauer angeschaut und reduzieren seitdem die negativen Umweltwirkungen der von uns verwendeten Materialien. Bei unseren Eigen- und Lizenzmarken nutzen wir beispielsweise zu fast 100 Prozent nachhaltige Baumwolle. Wir haben den CO2-Ausstoß in der eigenen Geschäftstätigkeit auf Basis von 2006 um mehr als 50 Prozent reduziert.

Nun planen wir an unseren Standorten, bei den eingehenden Frachten, der Mitarbeitermobilität und den Rechenzentren bis 2030 klimaneutral zu werden. Bei der Warenauslieferung gilt zudem: Bis 2025 wollen wir mit Hermes in den 80 größten deutschen Städten emissionsfrei mit Elektrofahrzeugen zustellen. In Hamburg ist das bereits Ende 2023 der Fall.

In den gesamten Stadtgrenzen?

Ja.

Dauert Ihnen die gesamte Umstellung nicht selbst zu lange?

Wir haben schon vor Jahren mit der Umstellung auf Elektromobilität begonnen. Aber manches braucht seine Zeit. So haben wir lange auf elektrisch betriebene Fahrzeuge für unsere Logistik warten müssen.

Die Umwelt wird auch durch die große Zahl an Kunden-Retouren bei Versandhändlern belastet. Dennoch will Otto keine Retouren-Gebühren einführen. Warum nicht?

Kunden sollen bei uns weiterhin das Vertrauen haben, dass sie ein Produkt bekommen, das ihnen gefällt und das passt. Und wenn das nicht der Fall sein sollte, dass sie es ohne Zusatzkosten zurückgeben können. Sie zahlen auch in einem Geschäft kein Geld, wenn sie einen Pullover in der Umkleidekabine anziehen und diesen danach wieder ins Regal legen.

Michael Otto: Klimaschutz ist in zehn Jahren großen Schritt weiter

Sie haben als Kunde aber die Kosten der Hin- und Rückfahrt, wenn Sie den Pullover aus dem Geschäft mit nach Hause nehmen und er Ihnen dann nicht mehr gefällt, Sie ihn deshalb umtauschen müssen.

Wir gehen bei Otto andere Wege, um die Zahl der Retouren zu reduzieren. So versuchen wir diese durch optimale Produktinformation im Vorfeld zu vermeiden. Und wenn die Retouren dann doch anfallen, holen wir sie zu 80 Prozent über Paketshops ab, in die wir ohnehin gerade andere Pakete liefern. So kommt es zu keinen Zusatzfahrten und wenig zusätzlichem CO2-Ausstoß.

Zum Schluss: Wenn wir uns in zehn Jahren kurz vor Ihrem 90. Geburtstag wieder hier treffen, wo werden wir dann aus Ihrer Sicht beim Klimaschutz in Deutschland stehen?

Ich bin davon überzeugt, dass wir 2033 einen sehr großen Schritt weiter sind. Mir macht vor allem Mut, dass bereits so viele Unternehmen in Klimaschutzmaßnahmen investieren. Und wenn in den kommenden Jahren – wie geplant – auch noch der Wohnungsbestand und die Autoflotte modernisiert werden: Dann haben wir sehr viel erreicht.