Hamburg. Der Architekt Marc Ewers möchte die Innenstadt aufwerten und schlägt eine außergewöhnliche Verbindung zur Speicherstadt vor.

Matthias Iken

Hamburg ist das Venedig des Nordens, erklären die Kapitäne bei Hafenrundfahrten so stolz wie viele Reiseführer. Sie verweisen darauf, dass die Hansestadt 2500 Brücken zählt und damit weit vor Wien und Amsterdam rangiert; Venedig übrigens folgt erst auf Platz fünf. Aber während jeder Europäer die holländische oder die italienische Schönheit sofort mit Wasser verbindet, ist das bei Hamburg etwas anders. Natürlich kennt jeder Elbe und Alster. Aber wer denkt an die Bille? Wer an die Fleete und Kanäle? Wer an die Wasserseiten im Süden der Stadt?

Einer von ihnen ist der Hamburger Architekt und Bauingenieur Marc Ewers. Der 53-Jährige sagt: „Wir müssen mit dem, was wir vor der Haustür haben, wuchern – wir müssen das Wasser in den Mittelpunkt rücken.“ Er plädiert für die Wiederentdeckung des Wassers und wünscht sich ein „Grachtengefühl“ für Hamburg.

Hamburg entdeckt das Wasser wieder – mit spektakulärem Steg

„Touristen erkennen die besondere Lage oft besser als Einheimische. Sie lieben die Landungsbrücken, die Pontons, die mit der Tide hoch- und niedergehen. Aber wer hat verinnerlicht, dass es das in der Hamburger Innenstadt auch gibt?“ Eine gute Frage – es dauerte lange, bis die Wege entlang der Alster und der Elbe der Stadtgesellschaft geöffnet wurden. Nach dem Krieg schütteten die Stadtväter manche Fleete kurzerhand zu. „Auch die Speicherstadt musste Hamburg wiederentdecken – sie ist erst als Scharnier zur HafenCity stärker ins Bewusstsein gerutscht.“

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Der gebürtige Hannoveraner vergleicht: „Wir fahren in andere Städte und staunen dort über das Wasser. Den Canal Grande in Venedig finden alle toll – aber was machen wir aus unseren Wasserlagen?“ Ewers fordert eine Wiederentdeckung des Wassers und verweist konkret auf das Nikolaifleet, wo er seit 2006 mit seinem Büro Euroterra beheimatet ist. „Seitdem brenne ich für diesen Ort, der leider etwas vergessen ist. Wir sollten ihn in den Mittelpunkt rücken, ihn erlebbar machen“, sagt der Marienthaler.

Von der Neß bis in die Speicherstadt – zu Fuß auf dem Wasser

Sein Büro initiierte einen Stegreifwettbewerb für Studenten, um verrückte Ideen zu sammeln. „Das Wasser dort ist das Spannende. Wir müssen es nur anders inszenieren.“ Bislang zerschneide die Willy-Brandt-Straße die Stadt. „Meine Idee, für die ich seit 17 Jahren kämpfe, ist der Bau von Stegen und Pontons.“ Der Einstieg könnte am Neß erfolgen, wo das alte Commerzbank-Gebäude stand. „Die Zugangstreppe gibt es sogar noch, sie führt nur ins Leere. Das wäre der Einstieg in den Weg rüber zur HafenCity.“

Das breite Nikolaifleet beginnt unweit der Handelskammer am Großen Burstah und führt bis zur Alstermündung im Binnenhafen. Schon seit Jahren schwebt Ewers vor, diese Verbindungsachse zwischen Elbe und Innenstadt neu zu gestalten. „Sie wäre die gesuchte Verbindung aus der Innenstadt in die Speicherstadt“, sagt der Vater von zwei Söhnen. „Dieser Wasserweg schafft zugleich eine neue Verortung der Altstadt, des alten Herzens Hamburgs.“

Ein Geschichtspfad quer durch die Stadt

Und sie erzählt Hamburger Geschichte – viele Sehenswürdigkeiten sind wie Perlen an einer Kette aufgereiht: Die Zollenbrücke aus dem Jahr 1633 ist die älteste erhaltene Brücke der Innenstadt und steht dort, wo das Gröningerfleet einst in das Nikolaifleet mündete. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Wasserweg mit Trümmern zugeschüttet und später mit dem Bau der Ost-West-Straße und der Domstraße asphaltiert.

Am Nikolaifleet liegt das Gebäude der Patriotischen Gesellschaft, dort, wo bis zum großen Brand 1842 das alte Rathaus stand. Unweit davon lockt der spektakuläre Laeiszhof. Das Fleet führt am Mahnmal St. Nikolai mit dem Hopfenmarkt vorbei und entlang der historischen Deichstraße, deren Wasserseite ein besonderer Hingucker ist. „Die Deichstraße zeigt, dass die von vorne verputzten Häuser in Wahrheit Fachwerkgebäude sind. Das ließe sich in Zukunft fußläufig entdecken.“ Zugleich existieren hier schon Pontons mit Restaurants. „Die würden wir gerne als ersten Baustein für den Steg anschließen.“

Der Steg könnte St. Katharinen und St. Nikolai verbinden

Auch die Hauptkirche St. Katharinen könnte über den Steg angebunden werden – und die trennende Willy-Brandt-Straße geschickt unterlaufen werden. Eine weitere Sehenswürdigkeit ist der älteste Hafen der Stadt, der am Unterlauf der Alster lag. „Hier könnte man viel über die Versorgung der Stadt etwa aus den Vier- und Marschlanden zum Hopfenmarkt mit Ewern erzählen.“ Dieser Ort passt zum geplanten Hafenmuseum auf dem Grasbrook, das in wenigen Jahren eröffnen soll. „Es gibt die Idee, Gäste dort mit elektrischen Ewern abzuholen und sie dann zum Museum zu bringen.“

Der Bauingenieur und Architekt Marc Ewers von der Euroterra GmbH plädiert für die Wiederentdeckung des Wassers.
Der Bauingenieur und Architekt Marc Ewers von der Euroterra GmbH plädiert für die Wiederentdeckung des Wassers. © FUNKE Foto Services | Thorsten Ahlf

Dem begeisterten Segler geht es nicht nur um eine Verbindung, sondern um das Erlebnis Wasser: Die Stege sollen zugleich Orte der Kultur und der Gastronomie werden. „Hier ist der Tide-Einfluss sichtbar, man bekommt mitten in der Innenstadt ein Gefühl wie am Meer. Das Wasser läuft ab und wieder auf, es erinnert an eine Wattwanderung. Und manchmal ist es auch ein bisschen geruchsintensiv. Aber das gehört dazu.“

Hamburgs Chance liegt im Schlick

Der Architekt sieht eine historische Chance im Schlick liegen. „Die Möglichkeit zu haben, über das Wasser zu gehen, zeichnet Hamburg aus. Wir wollen eine besondere Verbindung schaffen.“ Er kann auch dem Vorschlag des SPD-Fraktionschefs Dirk Kienscherf, eine Art High Line von der Innenstadt zur HafenCity zu bauen, viel abgewinnen. „Eine oberirdische Verbindung muss gut sein, die blaue Brücke war keine gelungene Querung. Es ist wichtig, diese Wege vernünftig zu pflegen.“ Gleiches gilt für den möglichen Nikolaifleet-Steg: „Heute liegen manchmal Einkaufswagen oder Fahrräder im Schlick. Das darf so nicht bleiben – aber wenn wir erkennen, welches Kleinod das ist, werden wir es besser pflegen.“

Probleme für sein Vorhaben sieht er kaum: Unter den Brücken sei genug Platz, sodass sich bei normalem Hochwasser niemand den Kopf stoßen müsse. Der Tidenhub beträgt in diesem Bereich ungefähr drei Meter. „Das wird erst bei sehr hohen Wasserständen zu einem Problem – und dürfte mit dem Nikolai-Sperrwerk zu regulieren sein.“ Dort könnte man eine Flutklappe schaffen, damit das Wasser nur bis zu einem bestimmen Punkt steigt. „Mit den Gezeiten auf dem Steg auf und ab zu wandern, das ist die Idee.“

Die Kosten für eine Steganlage hält Ewers für überschaubar

Die Frage ist nur, wie teuer ein solcher Fußweg vom Rathaus zur Elbe wäre. „Das hängt stark davon ab, welche Strecken unseres Vorschlags man umsetzen würde. Ein laufender Meter Ponton beziehungsweise Steganlage ist nicht unendlich teuer. Das macht jeder Segelverein. Natürlich müsste der Steg auf dem Nikolaifleet deutlich stabiler sein, aber an den Kosten wird es sicher nicht scheitern.“

Ewers ist zuversichtlich: „Ich hoffe, dass ich eines Tages mal über diese Stege Richtung HafenCity und Elbphilharmonie gehen kann.“ Insgesamt würden fünf zusätzliche Auf- und Abgänge benötigt, vier an den Ecken der Willy-Brandt-Brücke und einer in der Nähe der Katharinenkirche, sagt er. Ursprünglich wollte der Hamburger Musik studieren und entschied sich dann doch für die Architektur. „Architektur und Musik haben viel gemeinsam, weil es immer um gute Komposition geht und der Mensch im Mittelpunkt steht.“

Alles so wie früher: Probleme mit dem Denkmalschutz erwartet er nicht

Ob aber das Denkmalschutzamt das Belegen der Fleete mit Stegen gutheißen wird? „Da gibt es eine Skepsis“, sagt Ewers. „Aber alte Fotos zeigen, was dort früher los war: Die Fleete waren voll mit Wasserfahrzeugen, mit Stegen zum Löschen der Ladung, mit Menschen.“

Die Politik hatte sich diesen Vorschlägen schon offen gezeigt, die auch von der Initiative „Altstadt für Alle“ vorangetrieben wurden. 2019 wurde sogar ein ähnlich lautender Antrag in der Bezirksversammlung diskutiert. „Doch dann kam Corona“, sagt Ewers. „Vielleicht hilft ja dieser Podcast. Ich habe die Idee oft präsentiert und bin auf viel Begeisterung gestoßen; allein an der Umsetzung hapert es.“

Ein historisches Bild zeigt das Leben auf Hamburgs Fleeten.
Ein historisches Bild zeigt das Leben auf Hamburgs Fleeten. © Archiv | Archiv

Unweit vom Nikolaifleet gibt es bereits einen Weg am Wasser, entlang der Kleinen Alster. Allerdings ist diese tiefergelegte Wegstrecke, die am Steigenberger Hotel entlangführt, keine Visitenkarte der Stadt: dunkel, derbe, dreckig. „Deswegen ist es wichtig, dass der Nikolaisteg mit Informationstafeln zum Lehrpfad der Geschichte wird.“

Ewers hält die Wasserlagen der Stadt für zu wenig genutzt

Die Wasserlagen in der Stadt hält Ewers für untergenutzt – mitunter auch in der HafenCity. „Es gibt dort schöne Beispiele für gelungene Architektur, etwa der Museumshafen oder der Brooktorkai am Maritimen Museum, an dem wir mitbauen durften. Aber nicht überall haben wir die Potenziale des Wassers genutzt.“ Auch hier würde sich Ewers mehr Stege für den Publikumsverkehr und als Verbindung wünschen.

Eine Karte von Marc Ewers zeigt, wo die Stege auf dem Nikolaifleet entlanglaufen könnten.
Eine Karte von Marc Ewers zeigt, wo die Stege auf dem Nikolaifleet entlanglaufen könnten. © Archiv | Archiv

Weitere Chancen sieht der Marienthaler im Osten: „Ich bin oft im Bereich des Billebeckens. Da haben wir noch viele alte Backsteinbauten, aber es ist ein vergessenes Gebiet.“ Tatsächlich verfügen manche Autohändler und Gewerbebetriebe über einen direkten Wasserzugang, den sie nicht nutzen. Wege, die entlang des Wassers führen, gibt es hingegen kaum. „Da muss man sich mit allen Beteiligten zusammensetzen und nach einer guten Lösung suchen, wie sich diese Potenziale zum Wohle aller erschließen lassen.“ Ein solcher Prozess benötige Zeit – daher sollte man sich schnell zusammensetzen.

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Immerhin: Es passiert einiges, immer mehr Studenten ziehen in den Osten, beleben die Quartiere. Damit wächst die Bereitschaft, dort zu investieren. „Übrigens gibt es dort noch reichlich Flächen, die wir etwa mit Wohnungen verdichten können – anders als in anderen Quartieren“, sagt Ewers. „Menschen in der Stadt benötigen Freiräume, sie müssen mal den Himmel sehen. Deswegen ist mir die Idee mit dem Fleet so wichtig. Das kann ein Ort werden, an dem ich mich frei bewegen, wo ich den Himmel sehen kann, wo der menschliche Maßstab funktioniert.“

Wie lange würde diese Wiederentdeckung des Wassers sich hinziehen? „Ich hatte schon mal mehr Hoffnung. Schließlich bin ich seit 2007 an dem Thema dran“, sagt Ewers. „Aber wenn der Wille sich durchsetzt, könnte es schnell gehen.“

Fünf Fragen an Marc Ewers

Meine Lieblingsstadt ist, auch wenn es langweilig klingt, Hamburg. Hier lebt meine Familie, hier ist meine Heimat. Und mit dieser Heimat im Herzen kann man die Welt umfassen – wie ja auch jeden Tag im Abendblatt-Kopf steht. Hamburg ist allein wegen der Wasserlagen schön, hat sehr unterschiedliche und vielfältige Stadtteile und wirkt mancherorts fast dörflich.

Mein Lieblingsstadtteil ist Marienthal, wo wir wohnen. Das ist eine sehr schöne Ecke, sehr grün und nah an der Innenstadt. Die Infrastruktur mag ausbaufähig sein, aber man ist von dort schnell im Grünen, etwa den Vier- und Marschlanden.

Mein Lieblingsplatz ist das Naturschutzgebiet Reit in den Marschlanden zwischen der Dove und der Gose-Elbe. Das kennen viele nicht. Und ich mag natürlich die Speicherstadt, funktionale Architektur, die schön und zu Recht Weltkulturerbe ist.

Mein Lieblingsgebäude ist die Laeiszhalle. Da war ich als Kind oft und habe später dort im Landesjugendorchester Bratsche gespielt. Mich hat schon damals die Lichtdecke fasziniert.

Was würde ich mit der Abrissbirne tun? Manches ist zu Recht gefallen, wie das Allianz-Gebäude am Großen Burstah. Es hat Platz gemacht für die Bohnenstraße, die es hier früher gab. Auch einige Gebäude entlang der Wandsbeker Chaussee halte ich für entbehrlich. Da würde ich mir mehr Marktcharakter entlang dieser Straße wünschen.