Hamburg. Wegen „erhöhter Gefährdungslage“ sind Zeugenschützer im Gerichtssaal. Frau berichtet, wie der Anschlag auf Hells-Angels-Boss geplant wurde.
Fünf Schüsse peitschten durch die Nacht. Der Mann am Steuer eines Bentley sank in seinem Auto zusammen. Die Kugeln hatten ihn im Kopf und am Oberkörper getroffen. Seitdem ist der Rockerboss, hochrangiges Mitglied der Hells Angels, an den Rollstuhl gefesselt.
Tina L. (Name geändert) weiß offenbar, wie es zu diesem Anschlag kam, der am 27. August 2018 auf dem Kiez verübt wurde. Die Hamburgerin wurde wegen des Attentats bereits rechtskräftig zu einer zwölfeinhalbjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Hintergrund der Tat war eine Fehde im Rockermilieu zwischen den Hells Angels und den damals rivalisierenden Mongols. Nun sitzt die 29-Jährige als Kronzeugin im Prozess gegen drei Frauen, denen die Staatsanwaltschaft eine Beteiligung an dem Mordanschlag vorwirft. Und Tina L. belastet die jetzt angeklagte Mutter und die beiden Schwestern des damaligen Auftraggebers des Verbrechens schwer.
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Ihre Bereitschaft, in diesem Verfahren auszusagen, in dem den drei Frauen Beihilfe zum versuchten Mord vorgeworfen wird, macht die Zeugin zu einem potenziellen Racheopfer. Sie ist im Zeugenschutzprogramm, weil davon ausgegangen wird, dass es für sie eine „erhöhte Gefährdungslage“ gebe. „Mit einem Anschlag ist zu rechnen“, heißt es im Vorfeld. Deshalb sitzen während des Auftritts der Hamburgerin im Gerichtssaal zwei Zeugenschützer schräg hinter ihr, getarnt mit schwarzen Masken und Basecaps. Sie scannen mit Blicken immer wieder den Saal inklusive des abgetrennten Zuschauerbereichs, ob womöglich Gefahr droht.
Ursprünglich hatte Tina L. die alleinige Verantwortung für den Mordanschlag auf den Hells Angels auf sich genommen. Das war zu der Zeit, als sie noch mit Mongols-Mitglied Arasch R. liiert war. Dieser ist im Jahr 2020 als Auftraggeber für das Verbrechen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Gegen seinen Vater wurde später in einem weiteren Prozess neuneinhalb Haft verhängt. Der eigentliche Schütze, ein Mann, der für den Auftragsjob 10.000 Euro hatte bekommen sollen, erhielt sechs Jahre und neun Monate Haft.
Mongols-Mitglied wegen des Mordanschlags zu „lebenslang“ verurteilt
Es mag die damalige Liebe zu Arasch R. gewesen sein, die Tina L. einst dazu bewogen hat, den ehemaligen Mongol zu schützen. Ihr sei aber auch seinerzeit von dessen Familie mitgeteilt worden, was sie aussagen solle, erzählt die 29-Jährige jetzt. Inzwischen sind sie und der Drahtzieher des Mordanschlags auf den Hells Angels getrennt. Und so packt sie darüber aus, wie das Verbrechen geplant wurde und wie die drei angeklagten Frauen im Alter von 56, 36 und 35 Jahren daran beteiligt gewesen seien.
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Die drei Frauen hätten damals dabei geholfen, den Aufenthaltsort des Hells-Angels-Boss auszuspähen, schildert Tina L. als Zeugin. Ziel sei gewesen, ihn ausfindig zu machen und so weit in seine Nähe zu kommen, dass ein angeheuerter Killer auf ihn schießen konnte. Zuvor habe Arasch R. ihr, als sie ihn Gefängnis besucht hatte, einen Zettel übergeben. Auf diesem habe die Telefonnummer des Auftragskillers gestanden. Diesen Zettel habe sie den Eltern von Arasch R. geben sollen. Zudem sei sie beauftragt worden, Bilder des späteren Opfers aus dem Internet herauszusuchen und Orte, wo er sich aufhalten könnte. Der Vater habe ihr schließlich die Waffe gegeben, mit der die Tat ausgeführt werden sollte, und ihr erklärt, dass damit fünf Schuss abgegeben werden könnten.
Aus dem Knast übergab Drahtzieher die Telefonnummer eines Auftragkillers
Einer der angeklagten Frauen habe sie per Handy Fotos vom späteren Opfer geschickt, erzählt die Zeugin weiter. Gemeinsam mit ihr habe sie einige Orte abgefahren, von denen sie gehofft hätten, dass sie dort den Hells Angel finden würden. Auch eine weitere der angeklagten Frauen sei an der Suche beteiligt gewesen. Und mit einer dritten habe sie in Kontakt gestanden, um nach dem Attentat ihr Auto zu verstecken. Mehrere Mitglieder der Familie seien schon im Vorfeld der Planung „sehr aufgeregt und neugierig“ auf den Schützen gewesen, „was für ein Mensch das ist“.
Bei dem Verbrechen vom August 2018 handelt es sich der Anklage zufolge um einen Racheakt für einen Anschlag auf Arasch R. und dessen Freundin Tina L. Das Paar war am 15. Juni 2016 in einer Wohnung in Hamburg-Schnelsen angegriffen und durch Schüsse schwer verletzt worden. Nach Überzeugung von Arasch R. und dessen Vater war Rockerboss Dariusch F. für diese Tat verantwortlich. Um sich zu rächen und seine Ehre wiederherzustellen, so die Anklage, habe Arasch R. entschieden, dass der Hells Angel sterben müsse. Der Prozess wird fortgesetzt.