Hamburg. Werden Betriebszeiten bei 116 117 wie in Schleswig-Holstein eingeschränkt? Kassenärzte können Millionen Sozialabgaben nicht zahlen.

In Berlin warten die Patientinnen und Patienten bereits erheblich länger vor den Notfallpraxen. Jeder zehnte Ärzte-Dienst fällt aus. In Schleswig-Holstein hat die Kassenärztliche Vereinigung (KV) rund 450 Poolärzten gekündigt, die im Notdienst gearbeitet haben. Montags, dienstags und donnerstags sperren neun von 32 Notfallpraxen im Land die Türen zu. Darunter sind die Einrichtungen in Eckernförde, Westerland auf Sylt, Neustadt und Kappeln. An den letzten beiden soll in der Touristiksaison wieder durchgehend geöffnet sein.

KV-Chefin Monika Schliffke sagte: „Wir schließen ausschließlich an Standorten, wo im Verlauf des ganzen letzten Jahres an diesen Wochentagen weniger als vier Patienten in zwei Stunden behandelt wurden.“ Es kneift im Land zwischen den Meeren. Hausärzte müssen Notdienste übernehmen. Als Folge reduzieren sich die Sprechstundenzeiten bei ihnen. Was sollen Patienten tun? Im Zweifel 116 117 anwählen, heißt es bei den Ärztevereinigungen.

Notfallpraxen in Hamburg: Werden die Öffnungszeiten eingeschränkt?

Dasselbe Szenario droht in Hamburg. Der Grund für eine drohende Einschränkung des medizinischen Angebots ist ein Urteil des Bundessozialgerichts (Aktenzeichen B 12 R 9/21 R). Demnach sind Poolärzte im Notdienst sozialversicherungspflichtig. Für sie müssen die „Arbeitgeber“ in die Sozialkassen einzahlen, in diesem Fall die KVen. Das gilt sogar für vier Jahre rückwirkend. Die KV Schleswig-Holstein bezeichnete das als „nicht tragbar“, wenn sie für ihre Poolärzte nachträglich etwa 15 Millionen Euro zahlen müsste.

In Hamburg wären das nach KV-Angaben etwa zwei Millionen Euro mehr pro Jahr (plus zehn Prozent). Das kann und will die niedergelassene Ärzteschaft der Stadt nicht stemmen. Die Praxismediziner haben eine Resolution an Arbeitsminister Hubertus Heil und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (beide SPD) verfasst. Darin heißt es: Die Vertreterversammlung der KV (das Ärzteparlament) fordere die Bundesregierung auf, Ärztinnen und Ärzte im Bereitschaftsdienst von der Sozialversicherungspflicht zu befreien. Sie sollen durch eine Gesetzesänderung mit den Ärzten gleichgestellt werden, die im Rettungsdienst etwa bei der Feuerwehr im Einsatz sind.

Hamburger Marienkrankenhaus: Kassenärzte ziehen sich zurück

Bisherige Briefe, Aktionen und Appelle sind verhallt. Nun machen die Ärzte klar: „Andernfalls wird es zu erheblichen Einschränkungen des Umfangs des ärztlichen Bereitschaftsdienstes in Hamburg kommen.“ Um die Schichten zu besetzen, müsse man deutlich mehr Geld aufwenden – und habe viel mehr Verwaltungsaufwand.

Dabei muss man drei Arten der Notdienste unterscheiden: Im Krankenhaus gibt es die Notaufnahmen, die sich zum Beispiel um die Patienten aus den Rettungswagen der Feuerwehr kümmern. Hier gibt es aber auch mehrere Notfallpraxen an Hamburger Kliniken, die wiederum von den Kassenärzten betrieben und größtenteils finanziert werden. Zusätzlich gibt es außerhalb der Praxis-Sprechzeiten die Notfallpraxis an der Stresemannstraße und den fahrenden Notdienst der KV (116 117), der bundesweit als einer der bestorganisierten gilt.

Arztruf 116 117: Kostengünstiger als der Rettungswagen

Die Praxisärzte sind zur Übernahme von Notdiensten vor allem am Wochenende verpflichtet. Viele fahren auch auf den weißen KV-Wagen, die im Akutfall Hausbesuche machen und vor Ort entscheiden: Reicht eine schnelle Behandlung oder muss der Patient zum Beispiel ins Krankenhaus? Diese Einsätze, auch in Heimen, sind erheblich günstiger, als wenn ein Rettungswagen käme. In diesen Notdiensten der Niedergelassenen arbeiten neben den Praxisärzten auch angestellte Mediziner, Teilzeit-Ärzte sowie Rentner. Im fahrenden Notdienst gibt es zurzeit noch ausreichend Personal.

Nach Abendblatt-Informationen schreibt dagegen keine der KV-Notfallpraxen schwarze Zahlen. Das war auch der Grund dafür, dass sich die KV aus dem hochgelobten Integrierten Notfallzentrum am Marienkrankenhaus und in Reinbek zurückgezogen hat. Es kamen zu wenige Patienten für zu viel Aufwand. Insider sagen nun, dass dadurch aber auch wiederum Kapazitäten frei werden für andere Notdienste in Hamburg. Die KV hatte bereits angeboten, der Feuerwehr die „leichteren“ Fälle abzunehmen. Die beharrte jedoch darauf, dasselbe Geld von den Krankenkassen zu bekommen wie bislang – Idee vorerst gescheitert.

Ärztlicher Notdienst: Auch Rentner im Einsatz

600 Ärztinnen und Ärzte arbeiten in den Notdienstpraxen der Hamburger KV, fast alle sind sogenannte Vertragsärzte, arbeiten also in KV-Praxen. Zehn Prozent sind andere, also auch die Medizin-Rentner. Die KV teilte dem Abendblatt mit: „Wir gehen derzeit davon aus, dass es für die Sozialversicherungspflicht unerheblich ist, ob es sich bei dem diensthabenden Arzt um einen Vertragsarzt oder einen Nicht-Vertragsarzt handelt.“ Die KV müsste also für alle die Abgaben entrichten.

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Theoretisch könnten sich vermutlich viele Ärzte von einer Sozialversicherungspflicht befreien lassen. Doch praktisch weiß keiner genau, was die kommenden Monate bringen. Die KV erklärte: „Die Sozialversicherungspflicht wird sich voraussichtlich vor allem auf die notdienstärztliche Tätigkeit in Notfallpraxen erstrecken. Ob und inwieweit auch der fahrende Notdienst betroffen sein könnte, wird derzeit im Rahmen von Statusfeststellungsverfahren geprüft.“ Mit anderen Worten: Der See der Unsicherheit ist tief.

Müssen Öffnungszeiten der Notfallpraxen in Hamburg wie weiter östlich, nördlich und südlich eingeschränkt werden? Noch nicht absehbar, sagt die KV. Patienten sind das Warten gewohnt. Dass es mal entspannter wird, zeichnet sich kaum ab. Dazu trägt auch ein Ärztemangel bei, der in den kommenden Jahren eine wachsende ältere Bevölkerung trifft.