Hamburg. Familie bekommt in Hamburg keinen Termin und startet Odyssee. Auch reiche Quartiere betroffen. „Botox-Behandlung leichter zu kriegen.“
- Auch in Eppendorf und anderen wohlhabenden Quartieren ist Kinderarzt-Mangel ein Problem
- Arztruf 116 117 verweist Hamburger Familie an Allgemeinmediziner für ihr Kind
- Was eine Expertin Familien bei ihrer Suche empfiehlt
Die Stadt Hamburg ist mit Ärztinnen und Ärzten überversorgt. Es gibt mehr als ausreichend Praxen aller Fachrichtungen für die Zahl an hiesigen Patienten und ihre Leiden, heißt es bei den Statistikern des deutschen Gesundheitswesens. Mit solchen „Fakten“ kann Victoria Weber wenig anfangen. Seit sie im Oktober von Berlin mit der Familie nach Eppendorf zog, sucht sie einen Kinderarzt für Sohn (5) und Tochter (2). Sie hat zahllose Praxen abtelefoniert: Aufnahmestopp!
Sie ist bereit, innerhalb Hamburgs einen weiteren Weg als erhofft zurückzulegen, auch wenn das mit kranken, oft fiebernden Kindern belastend ist. Keine Chance. Wer bis dato dachte, nur in Billstedt und im Hamburger Osten sei die Lage für verzweifelte Eltern extrem angespannt, sollte den Blick alsterwärts richten. Auch in wohlhabenderen Quartieren ist der Kinderarzt-Mangel ein großes Thema.
Kinderarzt in Hamburg: Aufnahmestopp und Termin-Probleme
Victoria Weber gehört zu den aufgeklärteren Müttern, die versuchen abzuwägen: Reicht ein Hausmittel fürs Kind? Sollte eine Kinderärztin besser draufschauen? Bloß nicht gleich in die Notaufnahme eines Krankenhauses laufen. Wegen des fehlenden Kinderarztes hat sie jedoch „gemischte“ Erfahrungen in der gerade auslaufenden Infektsaison gemacht. Beim Terminservice der Krankenkasse sagte man ihr: „Sie haben Pech in Ihrer Region, mit Ihrer Postleitzahl.“
Beim Arztruf 116 117 hat sie Termine für einen Allgemeinmediziner bekommen (der dann ein Kind untersucht hat), nicht für einen Kinderarzt. In Lüneburg wäre aktuell noch einer möglich gewesen. Für eine der regelmäßigen U-Untersuchungen, bei denen es um die Entwicklungsfortschritte der Kleinen geht, ist die Familie nach Berlin gefahren. Ein Besuch in der alten Heimat war ohnehin vorgesehen, der Praxisbesuch beim bisherigen Kinderarzt gut planbar. Doch so kann es für die Familie auf Dauer nicht laufen. „Ich weiß wirklich nicht mehr weiter“, sagt Victoria Weber. „Wir zahlen hohe Krankenkassen-Beiträge und unfassbar viel für unsere Wohnung in diesem Stadtteil – und niemand ist dazu in der Lage, zwei Minuten einen Blick auf ein krankes Kind zu werfen?“
Billstedter Kinderarzt-Praxis vor dem Aus
In Billstedt hat zuletzt eine Kinderarztpraxis angekündigt, den Betrieb einzustellen. Wirtschaftlich sei das nicht mehr zu stemmen mit den Honoraren, die die Krankenkassen überwiesen. Es könnten aufgrund der Patientenstruktur nicht so viele Kinder versorgt werden wie in anderen Stadtteilen, hieß es. Die Kassenärztliche Vereinigung und der Bezirk Mitte haben sich zuletzt allerdings um eine Ausweitung des medizinischen Angebots bemüht. Vier neue Kinderarztsitze sind extra ausgeschrieben, die Gründung von Praxen wird gefördert.
In Rahlstedt hat die KV Anfang des Jahres eine eigene Praxis mit angestellten Ärztinnen eröffnet. Der bevölkerungsreiche Stadtteil hat besonders viele Kinder, auch aus dem angrenzenden Schleswig-Holstein. Die KV verweist Eltern darauf, dass sie die Terminservicestelle kontaktieren sollen.
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Kinderärztin Dr. Charlotte Schulz vom Verband der Kinder- und Jugendärzte rät Eltern von Neugeborenen oder Zugezogenen, immer mal wieder in den Praxen der Umgebung anzurufen und sich nach dem Stand der Patientenaufnahme zu erkundigen. Für akute Erkrankungen blieben die 116 117 und im schlimmen Fall eine Notfallpraxis. Wer über die Terminservicestelle eine Praxis genannt bekomme, habe möglicherweise die Chance, dort weiterbehandelt zu werden.
Hamburger Ärzte: Botox-Behandlungen schneller als Termin beim Kinderarzt?
Schwierig haben es häufig Kinder aus Zuwandererfamilien, denen das deutsche System mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten nicht geläufig ist. Hier heißt es allerdings aus vielen Praxen, dass Sprachbarrieren gar nicht die große Rolle spielen, die ihnen oft beigemessen wird. Victoria Weber versteht am Gesundheitswesen auch einiges nicht. Dass es nicht ausreichend Kinderärzte gebe, zum Beispiel.
Viele arbeiten jedoch angestellt „nur“ in Teilzeit. Manch einer hat sich spezialisiert auf ein Fachgebiet und fällt damit für die „gewöhnliche“ Versorgung der Kleinen aus. Das gibt es ebenso in anderen medizinischen Fachdisziplinen. Manch Hautarzt fokussiert beispielsweise den Blick auf Teile seiner Patienten. Neu-Eppendorferin Victoria Weber sagt: „Erstaunlicherweise läuft alles viel, viel einfacher, wenn man sich mit ein bisschen Botox die Stirn oder die Lippen auffüllen lassen möchte. Das geht ganz schnell und unabhängig von der Postleitzahl.“