Hamburg. Rente, Rüstung und Pommesbuden: Der Vorsitzende Lars Klingbeil war zu Besuch bei der SPD-Basis in Hamburg. Ein Auftritt mit Nachhall.

Die SPD kümmert sich um die Menschen im Land. Um die Dachdecker, die die Rente mit 63 herbeisehnen, und um die Fernsehmoderatoren wie Markus Lanz. Die SPD kümmert sich um die Menschen in der Stadt. Um die, die mit dem Zug von Hamburg nach Hannover fahren wollen, pünktlich, schnell und baustellenfrei.

Wer dem SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil bei seinem – man muss es so nennen – Auftritt in der holzgetäfelten Halle des Altrahlstedter Männerturnvereins von 1893 zuhörte, der gewann schnell den Eindruck: Der Co-Top-Sozialdemokrat neben Saskia Esken vollführt pflichtgemäße rhetorische Verbiege-Übungen, um nicht bei der eigenen Klientel anzuecken und doch klare Kante zu zeigen gegen all die Rechtsextremen, die Verstrahlten (auch im Publikum) und alle Fake-News-Gläubigen im Land.

SPD-Chef Lars Klingbeil: „Markus Lanz kann auch mit 63 noch arbeiten“

Das ist eigentlich ein unmögliches Unterfangen. Allerdings gehört es seit 1863 zur Jobbeschreibung eines Vorsitzenden der sozialdemokratischen Partei. Ein bisschen so zerrissen und überfordert wie das Land von den komplexen Krisen auf der Welt ist auch die SPD.

Sie steht in fester Treue zu Israel und dem Lebensrecht des jüdischen Staates, will aber das Leid der Palästinenser im Gazastreifen hören. Daran ist nichts zu kritisieren. Klingbeil jedoch muss sich in Rahlstedt gegen Behauptungen stemmen, er oder Bundeskanzler Olaf Scholz oder die Ampel-Regierung blendeten einen Teil der Realität aus.

Lars Klingbeil in Hamburg: Das „Prinzip Stammtisch“

Das macht er ganz smart. Ob es bei denen verfängt, die die SPD umgarnen muss, die Jungen, die Skeptischen, das muss sich zeigen. „Klingbeil im Gespräch“ heißt seine kleine Tour. Für ihn ist das „das Prinzip Stammtisch“, wie er sagt. „Man hört einander zu und lernt voneinander.“ Ob CDU-Kollege Friedrich Merz diese Definition teilt? Für den Christdemokraten heißt das eher: „Öfter mal einen raushauen.“

Klingbeil sagt, in diesen Tagen sei es so: „Kaum hat man eine Krise abgearbeitet, kommen zwei oben drauf.“ Kriege, Energieknappheit, Inflation, Erstarken der Rechtsextremisten – er blicke fast mit Wehmut fünf Jahre zurück auf die Zeit, als man drei Monate über die Praxisgebühr von zehn Euro debattiert habe. Gut, das ist mehr als zehn Jahre her. Der Berliner Politikbetrieb ist ein Hochtemperaturreaktor. Bei vielen Themen weiß man nicht, wie lange sie schon im Abklingbecken liegen.

Bayern München, Borussia Dortmund und die SPD

Und apropos Strahlemann: „Der Olaf“, der macht das gut und richtig. Sagt der Lars. „Ich bin froh, dass Olaf Scholz unser Bundeskanzler ist. In den Geschichtsbüchern wird nicht Agnes Strack-Zimmermann (von der FDP, die Red.) stehen, sondern Olaf Scholz. Putin ist der Kriegsverbrecher, er muss das Sterben beenden, er muss zur Verantwortung gezogen werden.“ Klingbeil betet die Initiativen der Ampel-Regierung herunter. Offensichtliche Witzchen über die Grünen und die FDP erspart er sich und der großen Mehrheit der Besonnenen im Saal.

Auf fast alles hat er eine Antwort. Selbst bei verworrenen Fragen und Wortbeiträgen aus dem Publikum, wenn es um vermeintliche Bitcoin-Geschäfte eines Top-Politikers geht oder einen Kugelschreiber von Borussia Dortmunds Geschäftsführer Aki Watzke (Klingbeil ist Verwaltungsbeirat beim FC Bayern) – er hört zu und kontert sicher.

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Wo steht Lars Klingbeil am vorläufigen Ende einer wechselhaften SPD-Führung über die Jahrzehnte, die einst geprägt wurde von Willy Brandt, Gerhard Schröder oder Franz Müntefering? Das Schwergewichtige von Brandt hat er nicht, das Verschlagene von Schröder geht ihm ab, knorrig-pointiert wie Münte („Opposition ist Mist“) ist nicht Instagram-tauglich. Oder doch?

Der Soldatensohn reagiert allergisch darauf, dass „die Bundeswehr in 16 Jahren unter konservativen Verteidigungsministern kaputtgespart wurde“. Und wenn man jetzt weiter die Ukraine unterstütze, brauche es erst einmal ausreichend Produktionskapazitäten: „Du kannst nicht ne Waffenfabrik aufmachen wie ne Pommesbude.“

Hamburg–Hannover mit der Bahn: Ärger um die Trasse

Klingbeil freut sich regelrecht, als das heikelste Thema zur Sprache kommt: die neue Bahntrasse Hamburg-Hannover, die durch seinen Wahlkreis führen sollte, was unter anderem er verhinderte. Die Bahn sei schuld, weil „sie nicht in die Pötte“ komme. Dabei hätten alle mit am Tisch gesessen: die Städte, die Bundesländer, die Bürgerinitiativen. Für „acht Minuten schneller zwischen Hamburg und Hannover“ gebe es „Zerstörung in meinem Wahlkreis, und wir können dem ICE nur zuwinken“. Die Bahn spricht allerdings von elf Minuten, vom Ausbau beim Güterverkehr, vom Deutschlandtakt und stabilen Verbindungen.

Klingbeil spricht vom Stadt-Land-Konflikt. „Wenn wir in der Politik nur auf die Metropolen gucken, dann verlieren wir Leute für diese Demokratie, 60 Prozent leben im ländlichen Raum. Wir bauen da die Bahnstrecken hin und stellen die Windräder auf Die Unflexibilität, die ich bei der Bahn erlebt habe, die erschreckt mich schon.“

Klingbeil räumt die Debatte mit dem Kümmerer-Blick ab: Wer denkt an die Menschen im Heidekreis? Richtig, die SPD und ihr Vorsitzender. Das ist wie bei der Rente, wenn man vorzeitig in den Ruhestand möchte. Klingbeil schaut auf seine Gastgeberin Aydan Özoğuz (Vizepräsidentin des Bundestages und Hamburger Abgeordnete). Er sagt: „Die Rente mit 63 war für die, die 45 Jahre auf dem Dach herumgeturnt sind und nicht mehr können. Die Aydan und ich und der Professor, die können länger. Und Markus Lanz, der kann auch mit 63 noch arbeiten.“