Hamburg. Das Abendblatt beantwortet elf zentrale Fragen – und zeigt mögliche Optionen für den Wolkenkratzer auf.

1) Was steckt hinter der Idee des Elbtowers?

Es sollte der Schlussakkord seiner Zeit als Bürgermeister werden: In seiner letzten Pressekonferenz präsentierte Olaf Scholz am 8. Februar 2018 den konkreten Entwurf des Elbtowers: Ein skulpturales Hochhaus, entworfen vom Büro David Chipperfield Architects, 245 Meter hoch, 64 Stockwerke, Investitonsvolumen knapp eine Milliarde Euro. Ein Wolkenkratzer für Hamburg.

Damals fiel das Echo freundlich-zurückhaltend aus. Die Medien berichteten überwiegend anerkennend, Kritik kam nun von einigen Architekten und Stadtplanern wie Dieter Läpple. Erst mit der Pandemie wurde das Projekt mehr und mehr infrage gestellt, der „Turmbau zu Hamburg“ viel kritisiert.

Die Idee eines Abschlusses der HafenCity mit einem Hochhaus indes war schon Teil des Masterplans, den Volkwin Marg im Jahr 2000 für den neuen Stadtteil erstellt hatte. „Die Elbbrücken sind und bleiben das ‚gefühlte‘ Eingangstor von Hamburg“, sagte Oberbaudirektor Jörn Walter 2017. Mit dem Elbtower wolle man diesen „magischen“ Ort im Stadtbild herausheben und in der Fernsicht markieren.

So muss man das Projekt in einem Dreiklang sehen – die Elbphilharmonie im Westen, ein möglicher Opern-Neubau auf dem Baakenhöft in der Mitte und der Elbtower im Osten. Bleibt eine Landmarke an den Elbbrücken aus, könnte die HafenCity austrudeln – ja der Schlussstein fehlen.

2) Wer könnte das Projekt nun retten?

Aktuelle Aussagen zeigen, dass das Interesse am Elbtower allen schlechten Nachrichten zum Trotz bestehen bleibt. „Wir bei der Commerz Real glauben nach wie vor fest an den Elbtower“, sagte Henning Koch, Vorstandsvorsitzender der Commerz Real, nun dem Abendblatt. Zwei Dinge stimmen ihn optimistisch: „Erstens nehmen wir wahr, dass das Interesse aller Beteiligten an einem zügigen Weiterbau hoch ist“, sagt Koch. „Zweitens wird der Elbtower eine absolute Top-Immobilie sein, die den Standort um sich herum stark aufwerten wird.“

Damit steht die Commerzbank-Tochter, die sich einst mit 25 Prozent am Elbtower beteiligt hatte, nicht allein. Mehrfach hatte Klaus-Michael Kühne deutlich gemacht, an einer Lösung interessiert zu sein, für den Versicherer Signal-Iduna gilt Ähnliches. Kühne hatte insgesamt zehn Prozent an der inzwischen insolventen Signa Prime Selction erworben, die Signal-Iduna große Kredite gewährt, die unter anderem mit dem Elbtower-Grundstück besichert sind.

Vorübergehend geschlossen: Die Baustelle des Elbtowers.
Vorübergehend geschlossen: Die Baustelle des Elbtowers. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Die drei gelten als „angefreundete Partner“, die das Projekt zu einem Erfolg führen wollen – wohl wissend, dass eine wirtschaftliche Durststrecke droht. Angesichts eines geschätzten Investitionsvolumens von rund 700 Millionen Euro ist klar, dass nicht viele Investoren in Betracht kommen.

Für den Elbtower spricht: Zwar benötigt der Markt derzeit keine weiteren rund 80.000 Quadratmeter Bürofläche. Anders als in anderen deutschen Metropolen ist die Leerstandsquote aber relativ niedrig. In Hamburg liegt diese bei 4,1 Prozent – in München beträgt sie 6,3 und in Frankfurt sogar 9,5 Prozent.

3) Gibt es für die Rettung des Elbtowers ein Vorbild?

Ja, allerdings auf einem anderen Gebiet. 2008 drohte Hamburg der Verlust der Reederei Hapag-Lloyd, für die sich damals der singapurische Staatsfonds Temasek interessierte. Daraufhin bildete sich ein Konsortium aus Politik und institutionellen Anlegern rund um das Bankhaus Warburg, organisiert vom früheren Finanzsenator Wolfgang Peiner. Der wichtigste Eigner wurde Klaus-Michael Kühne. Lange sah es danach aus, als würde die Stadt ein Verlustgeschäft machen. Inzwischen gilt der Hapag-Lloyd-Deal als einer der klügsten der Nachkriegsgeschichte. Allein aus der Dividende flossen der Stadt im vergangenen Jahr 1,5 Milliarden Euro zu. Ein solches Geschäft wird der Elbtower aber sicher nicht.

4) Was wird aus den Mietverträgen?

Die Signa Prime musste schon vor Baubeginn Mieter nachweisen – und lieferte. So wollte die Hamburg Commercial Bank (HCOB) aus dem Benko-Gebäude am Gerhart-Hauptmann-Platz in das Benko-Gebäude an den Elbbrücken ziehen. Sie schloss als erster Mieter im Dezember 2020 einen Vertrag über 11.000 Quadratmeter mit Option auf weitere 2000.

Im Februar 2021 folgte der Vertrag mit Nobu, eine von Nobu Matsuhisa, Robert De Niro und Meir Teper gegründete Lifestyle-Marke. Sie möchte auf rund 16.500 Quadratmetern ein Hotel mit 191 Zimmern und Suiten, ein Restaurant mit 200 Plätzen, eine Terrassenbar und Lounge mit Elbblick betreiben. Als weiterer Mieter stand der Versicherungsmakler Aon fest. Der Risikoberater hatte im Sommer 2022 rund 6300 m² Büroflächen in den Etagen 7 und 8 angemietet. Die International Workplace Group (IWG), Anbieter von flexiblen Arbeitsplatzlösungen, schloss Mai 2022 einen Mietvertrag über 4000 Quadratmeter in den Etagen 38 bis 40 ab. Weitere 4000 Quadratmeter hat der Medizindienstleister Eterno Health im Sockelbereich angemietet.

Mit einer Vorvermietungsquote von mehr als 30 Prozent schien der Elbtower gesichert. Nach jüngsten Meldungen versucht mit der HCOB nun der erste Mieter, abzuspringen – wie und ob das bei einer fristgerechten Übergabe des Elbtowers möglich ist, bleibt umstritten. Um aber die Verträge einzuhalten, müssten die Bauarbeiten schnell aufgenommen werden. Inzwischen fehlen vier Monate seit dem Baustopp.

5) Wie ist die Position der Stadt?

Seit der Insolvenz ist der Insolvenzverwalter die zentrale Figur. „Sämtliche Gespräche laufen über den Insolvenzverwalter und wir werden uns selbstverständlich mit allen Lösungsvorschlägen, die uns durch diesen angetragen werden auseinandersetzen“, heißt es in der Stadtentwicklungsbehörde.

Der Senat demonstriert Gelassenheit und verweist darauf, dass anders als bei der Elbphilharmonie die privaten Investoren am Zug sind. „Die Stadt wird keine offenen Rechnungen übernehmen“, sagte Tschentscher kurz vor Silvester. Die Stadt werde ihre vertraglichen Rechte sichern. Dazu gehöre ein Wiederkaufsrecht, das die Stadt aber nicht sofort vollziehen müsse. Damit bleibe ausreichend Zeit, die Lage zu prüfen. „Bei einem Rückkauf würden wir den ursprünglichen Kaufpreis in Höhe von 122 Millionen Euro ohne Zinsen und abzüglich von 5 Millionen Euro erstatten und im Gegenzug das Grundstück zurückerhalten“, so der Bürgermeister.

Klaus-Michael Kühne hat mehrfach sein Interesse am Elbtower bekundet – allerdings wünscht er sich mehr Initiative der Stadt.
Klaus-Michael Kühne hat mehrfach sein Interesse am Elbtower bekundet – allerdings wünscht er sich mehr Initiative der Stadt. © Hamburg | Kühne

Das wäre für die Stadt indes ein denkbar schlechtes Geschäft – und in Wahrheit keine Option. Denn dem Grundstückspreis liegt die Ursprungsbewertung von einer Milliarde zugrunde. Wenn sich überhaupt ein Käufer für das Grundstück fände, dann wohl für weniger als die 117 Millionen Euro – in diesem Verlust bestünde möglicherweise ein Verstoß gegen das Hamburger Haushaltsrecht. Zudem kämen massive Reputationsschäden für die Stadt, gerade auch den Senat hinzu. Denn die Idee und die Ermöglichung des Elbtowers trägt eine rot-grüne Handschrift.

Deshalb dürfte der Senat ein Interesse haben, eine Lösung etwa mit den oben genannten Investoren zu finden. Sie würden den Elbtower nicht aus Großzügigkeit weiterbauen, sondern auch mit Blick auf das bereits eingesetzte Kapital. Andererseits hätte eine Hamburger Lösung einen Vorteil: Alle Beteiligten lassen sich besser in die Pflicht nehmen – und seriöser als ein René Benko sind sie allemal. Darauf setzen die verbliebenden Interessenten. Sie sehen mit Argwohn, dass die Politik sich ziert: „Die Stadt muss ein Bekenntnis an den Tag legen. Wo ist der Wille zu gestalten?“, heißt es aus dem Kreis. „Das würde in München oder Stuttgart nicht passieren.“ Klaus-Michael Kühne hatte schon vor einem Monat beklagt, dass „sich die Stadt Hamburg wegdreht“.

6) Welche Möglichkeiten hätte die Politik?

Die Stadt hat mehrere Hebel, das Projekt zu beeinflussen. Zunächst könnte sie alle potenziellen Investoren an einen Tisch holen und Möglichkeiten einer Hamburger Lösung ausloten. Zwar spricht die Stadt mit einzelnen Interessenten, sie hat aber bislang nicht proaktiv ein mögliches Konsortium aus Kühne, Commerz Real und Signal Iduna angesprochen.

Zudem lässt sich auf der Genehmigungsseite einiges beeinflussen. Beispielsweise hat die Politik die Aussichtsplattform erst in den Vertrag hineinverhandelt. Sie macht den Elbtower für die Bürger attraktiver, aber teurer. Als Kompensation hat man dem Bauherrn weitere 10.000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche zugestanden. So wuchs der Turm im Planungsverfahren von rund 200 Meter (2017) über 235 Meter (2018) auf nun 245 Meter.

Die Stadt könnte weitere Nutzungsänderungen duchsetzen – und beispielsweise Wohnungen genehmigen. Hochpreisige Luxuswohnungen könnte die Kalkulation verbessern. Sie sind aktuell nicht vorgesehen, scheinen aber nicht unmöglich. Im März 2017 hieß es vonseiten der Senatskanzlei: „Als Nutzungen kommen Büro, Hotel, Ausstellungs- und Veranstaltungsflächen, eventuell auch Wohnen in Betracht.“

Die Baustelle, fotografiert zum Jahreswechsel.
Die Baustelle, fotografiert zum Jahreswechsel. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Noch eine dritte Option hätte die Stadt. Sie selbst könnte Büroflächen im Elbtower anmieten. Im Jahr 2026 endet der Mietvertrag für das Gebäude am Alten Steinweg mit rund 32.000 Quadratmetern. Dort haben die Behörde für Wirtschaft und Innovation (BWI) und die Behörde für Verkehr und Mobilität (BVM), die Hamburg Marketing GmbH, die Hamburg Tourismus GmbH sowie der Tourismusverband Hamburg (TVH) ihren Sitz. Sie könnten in den Elbtower ziehen.

Eine andere Möglichkeit wurde gerade vertan: Der HHLA-Partner MSC wird seine neue Deutschlandzentrale mit über 13.000 Quadratmeter Bürofläche nördlich der Stockmeyerstraße errichten; die HPA hat ihre Umzugspläne im Dezember aufgegeben und wird stattdessen in das „Unileverhaus“ in der HafenCity umziehen. Ein markantes Hochhaus der Hafenwirtschaft – so wie in Marseille von CMA/CGM – wird es in Hamburg nicht geben.

7) Warum hält sich die Politik zurück?

Der Bürgermeister möchte sich im nahenden Wahlkampf nicht mit dem Scheitern des Vorzeigeprojektes verbinden lassen – deshalb geht er auf maximale Distanz, möchte nicht einmal von Investoren darauf angesprochen werden. So landet das Thema wahlweise bei der Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein, die das Projekt von ihrer Vorgängerin Dorothee Stapelfeldt geerbt hat, oder beim Finanzsenator Andreas Dressel.

Im Kreis potenzieller Investoren sieht man das Agieren der Stadt inzwischen sehr kritisch. „Die Stadt verhält sich nicht konstruktiv, sondern besserwisserisch.“ Dort heiße es zu oft, was die Investoren nun machen müssten. Die kontern: „Wir müssen nichts.“

8) Welche Variante wäre ökologisch?

Der Bau des Elbtowers – das wurde zu Recht kritisiert – verursacht eine große Menge von Treibhausgasen. Im Betrieb hingegen soll das Hochhaus effizienter sein als alle Vergleichsgebäude. Durch sein besonderes Energiekonzept will das Hochhaus CO₂-neutral werden. Die Wärme für den Elbtower wird aus Abwasserwärme, Fernwärme und Produktionsabwärme gewonnen. Damit könnte sich die Klimabilanz schon verschoben haben.

„Die Mengen an grauer Energie, die schon im Elbtower stecken, sollten irgendwie genutzt werden, selbst wenn es eine Unternutzung ist. Auch für einen Torso gilt ein Abrisstabu“, sagt der renommierte Stadtforscher Dieter Läpple dem Abendblatt. Er rät dazu, ein alternatives Bau- und Nutzungskonzept für den Weiterbau zu entwickeln. „Nun ist noch einmal Kreativität gefragt.“ Läpple schlägt zum Beispiel ein Hybridgebäude aus Holz- und Beton mit einer stärkeren Nutzungsmischung vor.

Eine Fertigstellung in der ursprünglichen Form hält er nach wie vor für „fragwürdig“, schließt sie aber nicht aus: „Wenn genügend Kapital vernichtet und abgeschrieben ist, dann rechnet sich das Projekt irgendwann.“ Das sei beim Messeturm in Frankfurt auch so gewesen, wenngleich nicht so spektakulär. Läpple, der immer ein Kritiker des Wolkenkratzers an den Elbbrücken war, bleibt dabei: „Hochhäuser über 65 Meter rechnen sich in Deutschland nur über Kapitalvernichtung. Die entscheidende Frage ist, wer ist der Leidtragende? Die Handwerksfirmen und Baufirmen oder die internationalen Spekulanten?“

9) Wie wichtig ist der Elbtower für die Stadt?

Für den Standort Hamburg wäre ein Stopp des Elbtowers, gar ein Abriss kein gutes Symbol. Stand die HafenCity für Hamburgs Aufbruch, stünde der Abbruch zumindest in der Immobilienszene für das Ende dieser Ambitionen.

Verheerend wäre ein Rohbau, der über die Jahre vor sich hin gammelt – er könnte sämtliche Investments in der Nähe der Elbbrücken in Mitleidenschaft ziehen. Ein Abriss wiederum wäre extrem teuer und könnte Schätzungen zufolge rund 40 Millionen Euro kosten. Als dritte Möglichkeit bliebe dann nur ein neues Konzept für den Elbtower und eine Neuplanung, die weniger hoch wird – hier allerdings müssten auch die Architekten zustimmen. Und es bedarf eines Investors.

10) Welche Kosten laufen derzeit auf?

Fakt ist, dass noch immer die Kräne an der Großbaustelle stehen – die Hoffnung, dass es schnell weitergehen kann, ist noch nicht gestorben. Die Übernahme dieser Kosten erfolgt in Abstimmung mit dem Insolvenzverwalter, teilt das Bauunternehmen Adolf Lupp GmbH + Co KG aus dem hessischen Nidda mit. Welche Beträge dort auflaufen, lässt sich nur schätzen, dürfte aber angesichts eines Baustopps von vier Monaten hoch sechsstellig sein.

Geräte und Maschinen für Bauvorhaben dieser Größenordnung werden baustellenbezogen hergestellt und über die Bauphase vom Hersteller oder Vermieter monatlich als Mietkrane in Rechnung gestellt. Dieses gilt auch für besondere Pumpensysteme, Schalungsausrüstungen oder mobile Bauwegstraßen. Nach Schätzungen von Experten für das Abendblatt dürften allein die Krane in der Zusammenstellung rund 100.000 Euro pro Monat kosten.

So könnte der Stadteingang Elbbrücken/Veddel aussehen, wenn der Elbtower fertiggestellt wird.
So könnte der Stadteingang Elbbrücken/Veddel aussehen, wenn der Elbtower fertiggestellt wird. © Hamburg | SIGNA

Hinzu kommen rund 30.000 Euro für Büro- und Sanitärcontainer und 20.000 Euro für die Baustelleninfrastruktur, also Schmutzwasserpumpen, Stromversorgung, Beleuchtung. Weitere Kosten laufen auf für die Sicherheit, Absperrungen, Überwachung, die Experten auf rund 35.000 Euro pro Monat taxieren. Die mobilen Baumaschinen dürften weitere 20.000 Euro kosten, mit 30.000 bis 40.000 Euro schlagen Schalungen, Verbau, Gerüste zu Buche.

Allerdings wurden viele Maschinen, Geräte und Ausrüstungsteile abgezogen. Spezielle Finanzierungsmodalitäten erlauben aber, günstiger durch die Insolvenzmonate zu kommen uns einen schnellen Weiterbau zu ermöglichen.

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11) Warum drängt die Zeit?

Der Insolvenzverwalter muss versuchen, das Maximum aus der Masse herauszuholen. Ein Verkauf ist angesichts der Krise am Immobilienmarkt wie dem Volumen extrem schwierig, zudem könnten potenzielle Interessenten auf Zeit spielen. Sollte sich in den kommenden Wochen nichts bewegen, könnte am Ende gar eine Versteigerung des Torsos nicht ausgeschlossen werden. Zeit ist Geld. Oder wie es ein Investor auf den Punkt bringt. „Je länger man wartet, desto schwieriger wird es.“ Und fügt hinzu: „Wenn in den kommenden vier Wochen keine Initiative der Stadt mehr kommt, gibt es wohl nur noch ein Szenario: Den Abriss des Elbtowers.“