Hamburg. Bricht der Verkehr zusammen, fallen alle Hemmungen. Gleiches gilt für die Demokratie. Die Republik am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Am Mittwoch war es wieder so weit: Auf den Straßen in Hamburg ging nichts mehr. Mal sind es die Dauerbaustellen, mal ein erhöhtes Verkehrsaufkommen, mal hohl drehende Landwirte, aber immer gleichen sich die Bilder. Die Menschen verlieren rasant schnell die Nerven, sie beginnen zu hupen, ihre Aggressivität steigt, und Regeln verlieren ihre Gültigkeit. Dann fährt man stumpf auf die Kreuzung, weil man sich im Recht fühlt, und vergrößert das Chaos. Verkehrszeichen werden ignoriert. Im Stau kann keine rote Ampel den Irrsinn bremsen.

Als Radfahrer kenne ich diese Bilder und wundere mich immer wieder, warum trotz der Stauanfälligkeit die Menschen nicht von ihrem Privatwagen lassen mögen. Inzwischen aber erinnern mich die Ausnahmezustände auf Hamburgs Straßen an die politische Lage im Land. Regeln werden eigenmächtig außer Kraft gesetzt, die Aggressivität wächst, ein jeder fühlt sich im Recht, Rücksicht ist etwas für Schwächlinge, die Sitten verrohen.

Ein neuer Ungeist weht durch das Land und die Politik. Gerade die grünen Bundesminister sind inzwischen in unerträglicher Form Hass, Häme und Gewalt ausgesetzt. Politiker werden bedrängt, Demonstrationen eskalieren, Veranstaltungen müssen abgesagt werden. Die Sitten verrohen.

Ein Stau und die Gesellschaft: Der demokratische Diskurs ist in Gefahr

Nun darf man nicht übersehen, was die lange gültigen Regeln außer Kraft gesetzt hat: Das Aufkommen einer rechtspopulistischen Partei hat die Demokratie im Land beschädigt. Nicht die Gründung der AfD ist das Problem, sondern wie diese Partei sich entwickelt hat, wie sie die guten Sitten des demokratischen Diskurses in den vergangenen Jahren verletzt und die Grenzen des Sagbaren immer weiter verschoben hat.

Inzwischen ist die AfD sogar den Rechtspopulisten vom Schlage einer Marine Le Pen (Rassemblement National) zu rechts – wäre es nicht so bitter, man könnte es komisch finden. Aber lustig ist schon lange nichts mehr: Den Zivilisationsbruch der Nationalsozialisten verniedlicht Alexander Gauland zum Vogelschiss, Björn Höcke kokettiert mit dem Faschismus, und allerorten fantasieren AfDler von einem anderen Land.

Die Radikalisierung wird zunehmend zum Problem

Diese Partei hat sich in atemberaubender Geschwindigkeit radikalisiert – von der Professorenpartei, die mit der Euro-Rettungspolitik haderte, zu einer Partei, in der drei Landesverbände längst als „gesichert rechtsextrem“ gelten und sechs weitere als Verdachtsfall.

Der demokratische Diskurs, das zeigt sich, droht mancherorts zusammenzubrechen. Es gehört aber zur Wahrheit dazu, dass zwei Seiten versagt haben. Die Ausgrenzungsstrategie ist gescheitert, die Dämonisierung des politischen Gegners auch. Die politische Auseinandersetzung muss knallhart in der Sache sein, glasklar in der Argumentation, souverän im Ton. Nur so wird man Menschen zurückgewinnen.

Nun hilft nur noch Besonnenheit

So verständlich die Empörung über die AfD ist, umso mehr gilt das Gebot der Besonnenheit. Wenn der Bezirksamtschef von Nord, Michael Werner-Boelz, nach einer Debatte verbal auf die AfD losgeht, verletzt er sein Neutralitätsgebot im Amt. Und wenn das Hamburgische Verwaltungsgericht nun sein Verhalten rügt, wäre etwas mehr Demut angebracht: Werner-Boelz beklagte danach, „Feinde der Demokratie nicht als Feinde der Demokratie bezeichnen“ zu dürfen.

Doch, er darf es, aber eben nicht in der Rolle des Bezirksamtsleiters in der Bezirksversammlung. Wer unsere große demokratische Grundordnung verteidigen will, hat sich an ihre Regeln zu halten. Darin liegt ihre Stärke. Im Übrigen hat Werner-Boelz dem Kampf gegen den Rechtsradikalismus einen Bärendienst erwiesen: Nun kann sich die AfD wieder als unschuldiges Opfer inszenieren. Zu viele Menschen im Land gehen ihr dabei auf den Leim.

Wer für Vielfalt ist, muss auch Rechte ertragen können

Ebenfalls kontraproduktiv ist die Ausweitung der Kampfzone: Der inflationäre Slogan „gegen rechts“ ist so töricht wie gefährlich. Demokratie ist gelebte Vielfalt – man darf rechts sein, aber eben nicht rechtsextrem. Wer aber, wie manche im „Hamburger Bündnis gegen rechts“, alle Meinungen jenseits der eigenen als „AfD-Position“ brandmarkt, sprengt eher Löcher in die viel zitierte Brandmauer.

Den Kampf gegen den Radikalismus gewinnen wir nicht, wenn die Kämpfer selber radikal werden. „Ganz Hamburg hasst die AfD“, riefen manche bei der Demo. In Aachen trug die Antifa Plakate mit der Losung: „AfDler töten. Nazis abschieben.“ Mit Hass kann man keinen Hass bekämpfen, mit Abschiebungen keine Remigrationsfantasien beenden und mit Gewalt nicht die Demokratie verteidigen.

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Denken wir noch einmal an das Bild vom Verkehrskollaps. Er kommt schneller als gedacht. Und dieser Stau, das sind nicht nur die anderen. Das sind wir alle.