Hamburg. Große Mehrheit in Altona stimmt überraschend für Umbauverschiebung der Reventlowstraße. Doch eine Frage bleibt.

Das Thema Reventlowstraße bewegt. So sehr, dass am Montagabend mindestens 100 Betroffene den Verkehrsausschuss in Altona stürmten. In dem kleinen Sitzungsraum im Technischen Rathaus quetschen sich die Menschen auf alle verfügbaren Sitzmöglichkeiten. Grund für die Bewegung: Der geplante Umbau der Straße in Othmarschen zur Veloroute, der eine mehrmonatige Sperrung zur Folge hat, löste massiven Protest aus.

Der Frust und die Kritik an dem erneuten Bauprojekt in den Elbvororten bahnte sich am Montagabend nun seinen Weg im Verkehrsausschuss. Die Händler der nahe liegenden Waitzstraße, die enorme Folgen befürchten, hatten unter anderem für ein Erscheinen getrommelt. Unter den Teilnehmern waren auch viele betroffene Anwohner aus dem Wohngebiet sowie einige wenige Befürworter. Die Wellen schlugen hoch.

Einkaufsstraße Waitzstraße als beliebter Anlaufpunkt mit Charme in Gefahr?

Bei der hitzigen Debatte, die am Montagabend rund eine Stunde lang geführt wurde, gab es wohl nur einen Punkt, in dem man sich einig war: Die Waitzstraße ist ein beliebter Anlaufpunkt, dessen Charme Seltenheitswert hat und erhalten bleiben soll.

Vollkommen uneins waren Kritiker und Befürworter des Bauprojekts dagegen in der Bewertung der Frage, inwieweit die erneute Baustelle an der Reventlowstraße samt monatelanger Sperrung auch als Zufahrtsmöglichkeit für die Waitzstraße schwerwiegende Folgen für die Händler vor Ort haben könnte.

Waitzstraße: Händler spricht von dramatischer Lage – ganz ohne neue Baustelle

Als Vertreter der Interessengemeinschaft Waitzstraße sprach Arne Ehlers, der unter anderem eine Buchhandlung vor Ort betreibt. Er wählte sehr drastische und klare Worte.

Umbau der Reventlowstraße in Othmarschen sorgt für Protest: Für die Händler der Waitzstraße sprach Arne Ehlers. Zuvor hatte die Verwaltung eine Stadtkarte an die Wand geworfen, um einen Überblick über die zahlreichen Baustellen und Umleitungen zu ermöglichen.
Umbau der Reventlowstraße in Othmarschen sorgt für Protest: Für die Händler der Waitzstraße sprach Arne Ehlers. Zuvor hatte die Verwaltung eine Stadtkarte an die Wand geworfen, um einen Überblick über die zahlreichen Baustellen und Umleitungen zu ermöglichen. © Funke | Katy Krause

Es gebe derzeit acht Leerstände. Zudem seien zwei Filialen derzeit von Insolvenzen betroffen, zwei weitere Geschäfte stünden wegen Bauplänen leer. Das sind 12 von 75 Geschäften in der Waitzstraße: „Unter uns gibt es keinen, der sich daran erinnern kann, dass einmal so viele Läden leer waren“, so Ehlers. „Es ist dramatisch.“ Es würden auch ganz ohne eine weitere Baustelle an der Reventlowstraße weitere Geschäfte in die Schieflage geraten, erklärte der IG-Sprecher.

Baustellen-Chaos: Bewohner in den Elbvororten an der Belastungsgrenze

Doch laut Ehlers, der auch vor Ort wohnt, seien nicht nur die Händler am Limit. Auch die Bewohner der Elbvororte wären aufgrund des Baustellen-Chaos an der Belastungsgrenze. „Wir sprechen uns nicht gegen den Bau der Veloroute aus“, betonte Ehlers. „Aber wir sehen den gewählten Zeitpunkt für die Umsetzung als sehr kritisch an.“

Damit fand er viel Zustimmung, auch bei den politischen Vertretern. Denn der Protest fand erstaunlich viel Gehör. Einem FDP-Antrag, die Baumaßnahme bis auf Weiteres auszusetzen, schlossen sich fast alle Fraktionen an. Allein die Grünen hielten dagegen.

Bezirk Altona und Grüne: 3,5 Millionen Euro Mehrkosten durch Verschiebung

Stephanie Faust-Weik-Roßnagel (Grüne) wies unter anderem darauf hin, dass die Verschiebung der Baumaßnahme viel Geld kosten werde. Eine Vertreterin aus dem Bezirksamt Altona präzisierte, dass auf Grundlage von Daten des Statistischen Bundesamtes Mehrkosten von geschätzten 3,5 Millionen Euro entstünden, wenn man die Maßnahme aufs nächste mögliche Zeitfenster in 2030 verschieben würde. Das wäre fast eine Verdopplung. Der geplante Umbau der 700 Meter langen Strecke ab Höhe der Jungmannstraße bis zum Klein Flottbeker Weg war mit rund 4,5 Millionen Euro beziffert worden.

Holger Sülberg von den Grünen betonte für seine Fraktion: „Die Waitzstraße ist uns nicht egal, bei Weitem nicht.“ Man wolle mit dem Bau der Veloroute doch eine gute Verbindung zur Einkaufsstraße schaffen. Er wies darauf hin, dass es ein Bündnis für den Ausbau von Rad- und Fußwegen in Altona gebe und sich die Fraktionen für den Bau der Veloroute ausgesprochen hätten. „Erstaunlich, wie andere Fraktionen sich jetzt kurz vor der Wahl einen schlanken Fuß machen“, kritisierte er.

Bezirk Altona erklärt Umleitungsmöglichkeiten: Zuhörer verlieren Überblick

Die Vertreter der anderen Fraktionen verwiesen dagegen auf die hohe Belastung an Baustellen in den Elbvororten, die in diesem Ausmaß nicht absehbar gewesen seien. Unter anderem wäre der Bau der Fernwärmeleitung durch Verzögerungen zur ungeplanten Dauerbaustelle geworden.

Beim Versuch des Bezirksamtes darzustellen, wo die möglichen Umfahrungen bei einer Sperrung der Reventlowstraße entlangführen könnten, verloren allerdings fast alle Zuhörer den Überblick. Auch die dann an die Wand geworfene Straßenkarte machte es nicht leichter.

FDP Altona: „Wir sind keine Erfüllungsgehilfen des grünen Verkehrssenators“

Da der Deckel, dort die Elbchaussee, hier die Fernwärmeleitung und dann auch noch normale Instandhaltungsmaßnahmen: „Die vielen Baustellen sind ein Dauerstresstest für dieses Gebiet“, erklärte Katarina Blume ihren Antrag für die FDP. „Ich habe die Sorge, dass diese Maßnahme in der Reventlowstraße, das Fass zum Überlaufen bringen könnte.“

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Die Politikerin verwies zudem darauf, dass man dem Bezirk und den Bewohnern verpflichtet sei. „Wir sind keine Erfüllungsgehilfen des grünen Verkehrssenators“, schoss sie gegen die Grünen-Vertreter. Genau das könnte noch eine Rolle spielen. Denn ein Fragezeichen blieb nach der deutlichen mehrheitlichen Abstimmung für den Antrag einer Aussetzung der Baumaßnahme.

Die Bezirksverwaltung, deren Leiterin ebenfalls eine Vertreterin der Grünen ist, verwies am Ende plötzlich darauf, dass die Baumaßnahme auch eine Landesstraße tangiere und damit Senatssache sein könnte. Dann hätte die Entscheidung der Bezirkspolitiker nur empfehlenden, nicht wie jetzt bindenden Charakter. CDU-Chef Sven Hielscher kommentierte das fast drohend in Richtung Verwaltung: „Das werden wir sehen und notfalls ausfechten.“

Harte Kritik an der Bezirkspolitik kommt vom ADFC

Kritik kam unterdessen vom Hamburger Landesverband des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC): Man könne weder die Ängste der Geschäftsleute noch den Rückzieher der Bezirkspolitik nachvollziehen. „Während der Bauarbeiten an der Reventlowstraße ist diese eine Zeitlang nur in einer Richtung befahrbar“, sagte Karin Wiedey von der ADFC-Bezirksgruppe Altona. „Aber was macht es für einen Unterschied, ob man mit seinem Auto von Nord oder von Süd kommend in die Straße einbiegt? Wenn überhaupt, wird sich dies nur marginal auf die Geschäfte auswirken.“

Überdies würden Studien belegen, dass „Radfahrende die treueren, besseren Kunden sind und für deutlich mehr Umsatz im Einzelhandel sorgen als Menschen, die mit dem Auto zum Einkaufen fahren“. Wiedey: „Ich bin fassungslos und schwer enttäuscht, dass in der Reventlowstraße die kurzfristigen wirtschaftlichen Vorteile einzelner Händler*innen wichtiger sein sollen als die Interessen der zu Fuß Gehenden und Radfahrenden, deren Wege durch den Umbau deutlich an Sicherheit gewonnen hätten.“

Dabei habe der Senat schon vor rund sieben Jahren den Verlauf der Radroute 1 in der Reventlowstraße beschlossen. „Jetzt sollen weitere sieben Jahre vergehen, bis dort mit dem Bau begonnen wird“, sagt Wiedey. „15 Jahre Wartezeit für ein paar Meter Radweg und barrierefrei ausgebaute Gehwege sind ein Armutszeugnis für eine Stadt wie Hamburg, die sich gern mit dem Label Fahrradstadt schmückt.“