Hamburg. Trotz Enthüllungen um Geheimtreffen: Man muss mit den Rechten im Gespräch bleiben, sagen viele. Leichter gesagt als getan. Ein Versuch.

Der erste Bürgerdialog der Hamburger AfD nach den Enthüllungen des Rechercheverbunds „Correctiv“ rund um das Geheimtreffen in Potsdam beginnt am Montagabend mit einem großen Lob. „Danke an die Polizei, dass wir heute Abend hier sein können“, sagt Geschäftsführer Thorsten Prenzler, der mehr als 200 interessierte AfD-Sympathisanten im Festsaal des Rathauses begrüßt.

Rund 40 Demonstranten aus der Antifa-Szene sollen zuvor versucht haben, den Beginn der monatlichen AfD-Veranstaltung zu stören. Die Polizei löste die Kundgebung auf, sprach Platzverweise aus, nahm einige Teilnehmer in Gewahrsam. „Noch mal Danke an die Beamten“, sagt Prenzler – und erhält den ersten von zahlreichen Beifall-Ovationen am Abend.

AfD Hamburg: So lief der erste Bürgerdialog nach dem Potsdamer Treffen

Wer sich vor dem Bürgerdialog fragte, ob die „Correctiv“-Enthüllungen, die Remigrationspläne für Millionen Menschen aus Deutschland offenlegten, auch die AfD-Anhänger beschäftigen, der erhält am Montagabend eine sehr deutliche Antwort: Ja – und es bestärkt sie.

Noch bevor der frühere AfD-Bundestagsabgeordneten Prof. Lothar Maier als Ehrengast das Wort zum Thema „Die EU – noch im deutschen Interesse?“ ergreift, geht zunächst noch einmal der Hamburger Abgeordnete Marco Schulz ans Mikrofon. Er geht auf die Berichterstattung ein, spricht von „einer Märchenstunde“ – und erhält ebenfalls lautstarken Applaus.

Ehrengast Maier spricht über Dexit und die kriselnde EU

Dann ist Topgast Maier an der Reihe. Später signiert er sein Buch „Dexit – Zum Für und Wider eines Austritts aus der EU“. Doch zunächst spricht er eine Stunde lang über die kriselnde EU, die Forderung, den Euro abzuschaffen und über ein „Europa der Vaterländer“. Dann sind Fragen gestattet – und der vollbesetzte Raum wird munter.

Ein Mann in der vorletzten Reihe, adrett gekleidet, graue Haare, Brille, meldet sich und sagt: „Die Deutschen stehen nicht für ihr Deutschsein ein.“ Lauter Applaus. Es ist schon spät, als sich ein Mann in der ersten Reihe im Festsaal des Rathauses meldet. Johann Lorenz sei sein Name, sagt er. Geboren auf Zypern, nun schon lange in Hamburg.

Ein AfDler: „Wie lange müssen wir uns noch entschuldigen?“

„Wie lange werden sich die Deutschen denn noch verantwortlich fühlen für das, was geschehen ist“, ruft er ins Mikrofon. Donnernder Applaus, dann will der Mann noch einen draufsetzen. „Wie lange müssen wir uns noch entschuldigen?“

Es gibt an diesem langen Abend noch zahlreiche weitere Wortbeiträge. Es wird über eine „Entschuldigungskultur“ und ein „fehlendes Rückgrat der Deutschen“ lamentiert, genauso wie „die Verlogenheit des Bürgergeldes“, das doch vor allem Nicht-Deutschen zustehen würde.

Auf Kritik am Potsdamer Treffen wartet man vergeblich

Insgesamt zwei Stunden lang wird gesprochen und geklatscht. Man hört viel Nationalistisches und Verstörendes, nur kritische Untertöne über das öffentlich gewordene Potsdamer Treffen, die hört man nicht.

Das Potsdamer Treffen. Seit „Correctiv“ vor einem knappen Monat über die Geheimpläne der Ultrarechten berichtet hat, ist Deutschland in Aufruhr. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht Tausende auf die Straße gehen. In allen großen, aber auch in zahlreichen kleinen Städten. Im Westen und Osten. Im ganzen Land.

Sind die „Correctiv“-Enthüllungen ein Wendepunkt?

Viele sagen, dass das Potsdamer Treffen und die „Correctiv“-Berichterstattung darüber ein Wendepunkt gewesen sei. Der Mann in der vorletzten Reihe im Festsaal, der das Deutschsein der Deutschen vermisst, nennt es anders. Er sagt, die Berichterstattung sei „eine Schmierenkomödie“. Und er sagt: „Jetzt erst recht!“

Am Rande der Veranstaltung nimmt sich der Mann Zeit, um ausführlich mit dem Abendblatt zu sprechen. Er ist einverstanden, dass das Gespräch aufgezeichnet wird, nur seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. „Weil man für seine Meinung sozial geächtet wird“, erklärt er.

Hamburger AfDler bekennt sich klar zu Björn Höcke

Aber im vollen AfD-Saal macht der 59-Jährige keinen Hehl aus seiner Meinung. Warum er die AfD wählt? „Der Hauptgrund ist Björn Höcke!“, antwortet der frühere CDUler. „Nur er und Teile der AfD wollen den Selbsthass der Deutschen abschaffen.“ Höcke, den man laut eines Gerichtsurteils als Faschisten bezeichnen darf, würde die deutsche Seele heilen.

Kann und sollte man als Journalist mit AfD-Wählern und AfD-Politikern sprechen? Diese Frage lässt sich schon seit Jahren nur schwer mit Ja oder Nein beantworten. Am 20. Februar gibt es zu genau diesem Thema in der Kulturfabrik sogar eine Podiumsdiskussion. Man würde die AfD ungewollt größer und stärker machen, sagen die einen. Nicht alle, die die AfD wählen, sind stramm rechts, sagen die anderen.

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Nach den „Correctiv“-Veröffentlichungen und den anschließenden Großdemos in Hamburg wurde diese Frage auch in der Redaktionskonferenz beim Abendblatt diskutiert. Eine Antwort: Man muss es zumindest versuchen. Doch das ist viel einfacher gesagt als getan.

Versuch Nummer eins: Im erweiterten Bekanntenkreis mal nachhorchen, ob jemand jemanden kennt, der jemanden kennt. In der Nachbarschaft, im Sportverein und über zahlreiche WhatsApp-Gruppen. Das Ergebnis: kein Ergebnis. Trotz zuletzt 14 Prozent für die AfD in Hamburg.

Versuch Nummer zwei: Nach der Berichterstattung über die erste Demonstration am Jungfernstieg mit mehr als 50.000 Teilnehmern erreichten das Abendblatt zahlreiche Leserbriefe. Auch sehr kritische Briefe von Lesern, deren Meinung man deutlich der AfD zuordnen kann. Auf unsere Antwort mit der Frage, ob man darüber persönlich sprechen könnte, erhielt das Abendblatt keine einzige Rückmeldung.

Nur ein AfD-Instagram-Nutzer war zum Gespräch bereit

Und Versuch Nummer drei: Auch bei Instagram wurde die Berichterstattung des Abendblatts über die Anti-AfD-Demos zahlreich kommentiert. Wir haben jeden Kritiker angeschrieben, erhielten aber bei rund 30 Gesprächsangeboten nur eine einzige positive Rückmeldung von einer Nele Jansen.

Aus Nele Jansen (bei Instagram) wird Klaus Jansen (via Mail) und schließlich Lars (am Telefon). Er sei 24 Jahre alt, komme aus Brandenburg. Viel mehr Persönliches wolle er nicht preisgeben. Warum er unter der Abendblatt-Berichterstattung AfD-Kommentare mit einem Pseudonym hinterlassen habe? „Weil die Ampel muss weg.“

Was den AfD-Sympathisanten am meisten stört? „Flüchtlinge“

Auch das Telefonat mit Lars dürfen wir aufzeichnen, seine Zitate autorisiert er anschließend. Das Gespräch ist lang, auch wenn seine Antworten kurz sind. Was ihn am meisten an der aktuellen Politik stört? „Flüchtlinge. Die unkontrollierte Einwanderung. Und die Politiker.“

Ob ihn die Berichterstattung über die Potsdamer Konferenz nicht zu denken gegeben habe? „Ich habe mich darüber informiert, aber das hält mich nicht davon ab, die AfD zu wählen“, sagt Lars. „Mir sind andere Sachen wichtiger. Mir ist auch egal, ob da AfD-Mitglieder dabei waren.“

AfDler widerspricht deutschen Wirtschaftsbossen

Zahlreiche Wirtschaftschefs in Deutschland sagen, dass die AfD der Wirtschaft schaden würde. Seine Meinung? „Das sehe ich nicht so. Ich denke, dass die AfD gut für die deutsche Wirtschaft wäre.“

So geht das Gespräch weiter. 20 Minuten lang. Ja. Nein. Ist mir egal. „Alice Weidel ist eine gute Politikerin.“ Negative Beispiele von Flüchtlingen in seinem Umfeld kenne er nicht. Aber: Es seien trotzdem zu viele Flüchtlinge in Deutschland. Und natürlich: „Die meisten Medien sind gegen die AfD.“

AfD-Anhänger wollen lieber anonym bleiben

Das sei auch der Grund, warum er nicht mit seinem vollen Namen zu seiner Meinung steht. „Ich will lieber anonym bleiben.“ Er selbst sei zwar noch nie angefeindet worden. Aber: „Die AfD ist ja derzeit überall das Thema.“

Zumindest dabei ist man sich einig. Das Abendblatt hat auch eine offizielle Anfrage an die Presseabteilung der Hamburger AfD geschickt und gefragt, warum sich offensichtliche AfD-Unterstützer so schwer damit tun, zu ihrer Meinung auch öffentlich zu stehen.

Hamburger AfD kritisiert „Klima der Angst“

In einer schriftlichen Antwort ist die Rede von einem „Klima der Angst“. Wörtlich heißt es in der Antwort: „Wer sich öffentlich zur AfD bekennt, lebt in diesem Land gefährlich.“

Schuld daran hätten die Medien und die etablierten Parteien, von der AfD despektierlich meist nur „Altparteien“ genannt: „Die gegenwärtige Schmutzkampagne, die völlig ungeprüft von Medien und Politikern übernommen wurde, trägt ihr übriges zur feindseligen Stimmung bei.“

AfD wirft Nancy Faeser Dummheit vor

Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die das Potsdamer Treffen mit der Wannseekonferenz verglichen hat, wirft die Hamburger AfD „Dummheit“ vor. Und im nächsten Satz heißt es: „Dabei lebt die Demokratie von der offenen Debatte. Die AfD ist eine Partei des Rechtsstaates und der Demokratie.“

Aber ist sie auch eine Partei, mit deren Wählern und Politikern man auch nach der Potsdamer Konferenz weiterhin das Gespräch suchen sollte?

Die AfD-Bürgerschaftsabgeordnete Olga Petersen hat einen Rechtsextremisten unterstützt.
Die AfD-Bürgerschaftsabgeordnete Olga Petersen hat einen Rechtsextremisten unterstützt. © picture alliance / Eibner-Pressefoto | Eibner-Pressefoto/Marcel von Fehrn

Olga Petersen, die einzige AfD-Abgeordnete in der Hamburger Bürgerschaft, hat am Montag im Rathaus hierzu eine klare Meinung. Über sie und ihre Unterstützung für den Rechtsextremisten Martin Sellner hatte das Abendblatt erst in der vergangenen Woche groß berichtet. „Hamburger AfD-Frau unterstützt ,millionenfaches Abschieben‘“, lautete die Überschrift.

AfD fühlt sich durch Enthüllungen in Potsdam nicht geschwächt

Am späten Montagabend sucht Petersen nach dem Vortrag das Gespräch. Erst umarmt sie den Mann aus der vorletzten Reihe, der sich als großer Björn-Höcke-Fan outete. Dann bedankt sie sich für die umfangreiche Berichterstattung der vergangenen Woche. „Wenn Sie noch Fragen haben“, sagt sie grinsend, „dann rufen Sie mich jederzeit an.“

Petersen, Höcke, Remigration. Eines wird am Montagabend im Hamburger Rathaus deutlich: Die Enthüllungen über die Konferenz von Potsdam haben bei der AfD niemanden ins Wanken gebracht. Vielleicht sogar ganz im Gegenteil.