Hamburg. Rechtsextremes Potsdamer Treffen hat Schülerinnen aufgerüttelt – dabei spielte der berühmte Schriftsteller eine wichtige Rolle.
Über Heinrich Mann weiß man vieles: 1871 in Lübeck geboren, 1950 in Kalifornien gestorben. Literat, Essayist, Publizist und vor allem Antifaschist. Es gibt Ausstellungen über Mann, Bücher, Theaterstücke und Filme. Was bislang aber niemand wusste: Heinrich Mann ist quicklebendig. Mitten in Hamburg, in Eppendorf.
Es ist kurz nach 13 Uhr, als am Eppendorfer Gymnasium in der Hegestraße die Pausenglocke klingelt. In einem Klassenraum im ersten Stock sitzen Marica, Fernanda, Emma, und Greta. Sie sind Schülerinnen des elften Jahrgangs, einerseits. Und andererseits sind sie so etwas Ähnliches wie Wiedergeburtshelferinnen für den vor 73 Jahren verstorbenen Heinrich Mann.
Gymnasium Hamburg: Eppendorfer Schülerinnen münzen Heinrich Mann-Text auf AfD um
„Es ist schon verrückt, dass seine 90 Jahre alten Texte plötzlich wieder aktuell sind“, sagt Emma. „Seine Themen von damals sind heute leider wieder sehr relevant.“
Natürlich ist Heinrich Mann nicht wirklich von den Toten auferstanden. Aber im Deutsch-EA-Kurs (Erhöhtes Anforderungsprofil) von Isabell Berens kann man zumindest den Eindruck gewinnen, dass seine Gedanken und Ideen von damals auch heute noch sehr lebendig sind.
Hamburger Schülerinnen haben Manns „Der Hass“ ins Heute transferiert
„Wir haben uns in diesem Semester mit politischen Umbrüchen und den Verarbeitungen von Krisen in Kriegszeiten auseinandergesetzt“, erklärt Deutschlehrerin Berens, die stolz auf „meine Mädels“ ist, dass diese im Rahmen einer Projektarbeit Heinrich Manns „Der Hass“ in die heutige AfD-Zeit transferiert haben.
„Sehr geehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger, wir stehen heute vor Ihnen, um uns zu wehren“, heißt es zu Beginn der Protestrede, die eigentlich 90 Jahre alt ist – und die Marica, Fernanda, Emma, und Greta nun modernisiert und anschließend ihren Mitschülern vorgetragen haben.
Damals wie heute: Man muss sich gegen Populismus wehren
„Wehren gegen Antisemitismus, wehren gegen Populismus, wehren gegen Meinungsunterdrückung, wehren gegen Hass, unser eigener Hass, der geschürt wird durch Unzufriedenheit mit der Politik, die verspricht zu handeln, es jedoch nicht tut.“
„Ich hatte Lehrerinnen-Gänsehaut“, sagt Berens, die zuvor schon mit ihrem S1-Kurs den Roman „Das kunstseidene Mädchen“ von Irmgard Keun gelesen und den Film „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“ gesehen hat. Ihre Schüler und Schülerinnen haben sich mit Bertolt Brecht beschäftigt, ein fiktives Interview mit Wolfgang Borchert geführt oder eine fiktive Gerichtsverhandlung auf Video aufgenommen.
Lehrerin ist begeistert von ihren eigenen Schülerinnen
Und Marica, Fernanda, Emma, und Greta haben Heinrich Manns 90 Jahre alte Protestrede in die Gegenwart übersetzt. „Die haben das so super gemacht“, sagt Berens. „Manchmal würden wir auch gerne 16 Punkte geben.“
In der Rede heißt es: „Unsere Regierung mag aus der Sicht des Großteils von Ihnen einiges falsch machen. Aber ist dies eine Berechtigung, sich aus Protest auf die Seite der Populisten, der Autoritären, der Extremisten, der sogenannten ,Alternative für Deutschland‘ zu stellen?“
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Die Schülerinnen geben eine klare Antwort: „Nein, keinesfalls! Wir dürfen uns nicht von Hass erfüllen lassen! Eine hasserfüllte Gesellschaft vereitelt die verstandesmäßige Meinungsbildung. Lassen Sie sich nicht vom Hass überkommen, wie es Propagandaminister Goebbels laut Heinrich Mann getan habe.“
Im Klassenraum, in dem ein Projektor eine Collage von Heinrich Mann und seinem Werk an die multimediale Tafel an der Wand schmeißt, sitzen Marica, Fernanda, Emma, und Greta und sprechen nicht nur über Mann, die Weimarer Republik und Nazi-Deutschland von damals, sondern auch über die AfD, das Potsdamer Geheimtreffen und die Demonstrationen im ganzen Land heute.
Schülerin über AfD: „Potsdamer Treffen hat mich aufgerüttelt“
„Ich habe mich lange Zeit gar nicht so doll mit Politik beschäftigt. Aber das Potsdamer Treffen hat mich aufgerüttelt“, sagt Fernanda. „Das war wie ein Schritt in die Vergangenheit.“
Das finden auch Marica, die vor einer guten Woche auf der Großdemo gegen Rechtsextremismus in der Innenstadt war. Oder Greta, die in diesen Tagen beinahe überall über die AfD stolpert. Und Emma, die später mal VWL studieren und die Manns modernisierte Protestrede als „ein Appell an die Gesellschaft“ verstanden haben will.
Schulleiterin Languth: Stereotyp von Schülern ist verstaubt
Auch Maike Languth sitzt in dem Klassenraum. Seit 13 Jahren ist sie nun schon Schulleiterin am Gymnasium Eppendorf an der Hegestraße. Auch sie ist stolz auf ihre Schülerinnen, genauso wie Deutschlehrerin Berens. Aber neben dem Stolz mischt sich da auch ein bisschen Unverständnis in ihre Gefühlswelt. „Ich kann diese Stereotypen nicht verstehen. Das gesellschaftliche Bild von Schule, dass sich die Schülerinnen und Schüler nicht für Politik interessieren, ist anachronistisch. Das Bild ist verstaubt.“
Das finden natürlich auch Marica, Fernanda, Emma, und Greta. Sie würden sich gerne und viel über Politik informieren. Ganz klassisch in der „Tagesschau“, durch Pop-up-Nachrichten auf dem Handy, bei Instagram. Oder natürlich in der Schule.
Aufstieg der AfD ist in Hamburg ein Schulhofthema
Auch auf dem Schulhof sei der Aufstieg der AfD ein großes Gesprächsthema. „Es ist verwunderlich, dass eine Partei so schnell das Parteiensystem revolutionieren konnte wie die AfD“, sagt Emma. „Es gibt sie ja erst seit rund zehn Jahren. Wir können es nicht nachvollziehen, dass momentan ein Viertel der Bevölkerung sich mit AfD-Ideen arrangieren kann.“
Die vier 16 Jahre alten Schülerinnen können und wollen das nicht. Nächstes Jahr dürfen sie erstmals die Hamburger Bürgerschaft wählen. Was sie wählen, wissen sie noch nicht. Nur was sie nicht wählen, wissen sie sehr genau.
Manns Protestrede ist auch im AfD-Zeitalter sehr aktuell
Am Ende ihrer Protestrede heißt es: „Sehr geehrte Mitbürgerinnen und Mitbürger, wir bitten Sie inständig, sich an die Vergangenheit zu erinnern und aus schwerwiegenden Fehlern zu lernen!“
Ihre letzten Sätze: „Werden Sie laut gegen Faschisten! Nehmen Sie Ihre Zukunft in die eigenen Hände und handeln Sie, anstatt zu klagen! Wir fordern Sie auf: Handeln Sie gemeinsam mit uns, um Hass einzudämmen, für unsere eigene Meinung einzustehen und diese rechtmäßig repräsentieren zu lassen!“
Besser hätte es auch Heinrich Mann selbst nicht formulieren können.