Hamburg. Mancher Obdachlose in der Stadt könnte längst zur Miete wohnen. Wieso viele Betroffene aber weiterhin auf der Straße ausharren müssen.

Eigentlich sollen in Hamburg jährlich 300 Wohnungslose der sogenannten Stufe 3 in eine Wohnung vermittelt und dazu befähigt werden, selbst ein Mietverhältnis zu führen. So steht es im Koalitionsvertrag. Doch die Umsetzung des hehren Ziels läuft holprig. Fehlende Mitarbeiter in der Sozialbehörde und der Mangel an günstigem Wohnraum in der Stadt behindern das Projekt.

Zwischen Januar und September des Jahres 2023 konnten beispielsweise gerade einmal 112 Stufe-3-Wohnungslose wie geplant untergebracht werden, erklärte die Sozialbehörde auf Nachfrage des Abendblatts. In der Anbahnungs- und Unterstützungsphase hätten sich in diesem Zeitraum 263 Haushalte befunden.

Kampf gegen Obdachlosigkeit: Hamburg bringt viel weniger Wohnungslose unter als geplant

In Hamburg sind laut fördern & wohnen derzeit rund 46.000 Menschen öffentlich untergebracht. Einer Erhebung der Sozialbehörde von 2018 zufolge leben zudem rund 2000 Menschen auf Hamburgs Straßen. Sie alle gelten als wohnungslos, besitzen oder mieten also selbst keinen Wohnraum. Die Fachstellen für Wohnungsnotfälle, die in den Bezirken angesiedelt sind, kümmern sich um diese Menschen, die es am rauen Hamburger Wohnungsmarkt oft besonders schwer haben. Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit Bedrohte können dort auf unterstützende Beratungs- und Vermittlungsangebote zählen.

Dazu zählen auch die sogenannten Stufe-3-Wohnungslosen. „Stufe 3, das ist ein Fachterminus der Wohnungsnotfallhilfe für Menschen, die Schwierigkeiten am Wohnungsmarkt haben und nur schwerlich untergebracht werden können – aber denen man ein eigenes Mietverhältnis zutraut“, erklärt Jörn Sturm, Geschäftsführer des Straßenmagazins „Hinz und Kunzt“.

Noch bis Mitte 2022 war das erklärte Ziel der Stadt, jährlich 150 dieser Menschen in Mietwohnungen unterzubringen. Im Juli 2022 erhöhte der Senat die Zahl jedoch auf 300 Stufe-3-Wohnungslose, die pro Jahr mithilfe der Fachstellen für Wohnungsnotfälle in ein eigenes Mietverhältnis eintreten sollen. Allerdings: Diese ambitionierte, aufs Doppelte erhöhte Zielzahl wurde seitdem nicht erreicht.

Überforderung der Ämter: Personal für Stufe-3-Unterbringung fehlt

„Wir bei Hinz und Kunzt hören immer wieder, dass es schwierig ist, Termine bei den Fachstellen für Wohnungsnotfälle zu bekommen. Meiner Meinung nach ist das ein Ausdruck der Überforderung der Ämter“, so Sturm. Und tatsächlich herrscht in den Fachstellen Personalmangel.

Im Dezember 2023 seien von 128 entsprechenden Stellen bei den Bezirksämtern nur 114 besetzt gewesen, teilte die Sozialbehörde mit. Im September 2023 waren es noch 108. Wegen des Mitarbeitermangels nehmen die Ämter ihre Aufgaben nach Relevanz wahr, „dabei haben die Sicherung von Wohnraum sowie die Vermeidung von Obdachlosigkeit [...] höchste Priorität“, so der Sprecher der Behörde, Wolfgang Arnhold.

Um die Unterbringung einzuleiten, ist zunächst die Einstufung der Menschen in die Stufe 3 notwendig. Dazu müssen die Mitarbeiter in den Fachstellen individuelle Problemlagen der Wohnungslosen ausloten und daraus den Hilfebedarf ableiten. „In der Regel ist bei Anhaltspunkten für das Vorliegen besonderer sozialer Schwierigkeiten ein persönliches Gespräch erforderlich“, so Arnhold. „Die Zeitdauer der Einstufung von Haushalten ist dabei immer von der Komplexität der Einzelfälle abhängig.“

Stufe-3-Unterbringung als „letzte große Chance“ auf dem Hamburger Wohnungsmarkt

Nach der Einstufung geht es darum, Wohnraum für die Menschen zu finden. Hierbei arbeiten die bezirklichen Fachstellen mit Trägern der Wohnungslosenhilfe zusammen, unter anderen der Lawaetz gGmbH und Wohnen mit Begleitung. Das Problem: Sie ringen um jede Wohnung, in der die Stufe-3-Haushalte untergebracht werden können. Die freien Träger agieren nämlich ausschließlich als Vermittler. Über ein eigenes Wohnraum-Portfolio verfügen sie nicht. Stattdessen unterhält die Stadt Verträge mit der Saga und Genossenschaften.

„Bewerber haben wir im letzten Jahr genug vorgestellt bekommen, aber an Wohnungen mangelt es“, sagt Sven Langner, der bei der Lawaetz gGmbH beschäftigt ist. „Der Bedarf wird durch Angebote der Saga und Genossenschaften derzeit nicht gedeckt, wir brauchen unbedingt auch private Vermieter, an die wir vermitteln können.“ Schließlich sei es für viele dieser Menschen „die letzte große Chance, eine Wohnung zu finden“.

Private Vermieter in Hamburg gefragt, um Wohnungslose unterzubringen

Für private Vermieter erscheine es oft nicht allzu attraktiv, an Stufe-3-Haushalte zu vermieten, so Langner. Doch seien sie bestens abgesichert, erklärt er: „Zunächst schließt der Vermieter mit Lawaetz einen Mietvertrag für ein Jahr ab, und der Stufe-3-Haushalt bekommt einen Untermietvertrag von uns. Das ist das sogenannte Wohntraining.“ Währenddessen erhalten die Haushalte unterstützende und beratende Angebote, das Mietverhältnis betreffend, sowie im psychosozialen Bereich.

„Wenn alles klappt, also die Mietzahlungen pünktlich kommen und die Hausordnung eingehalten wird, dann bekommt der Stufe-3-Haushalt nach zwölf Monaten einen eigenen Mietvertrag“, so Langner. Insgesamt seien die Vermietenden für ganze zehn Jahre abgesichert, falls es zu Problemen kommen sollte. Die Miete tragen die Stufe-3-Haushalte während der ganzen Zeit selbst, das heißt, sie wird in den überwiegenden Fällen mit der Grundsicherung finanziert.

Die freien Träger, die den Wohnraum vermitteln, aber auch die Stadt werben aktiv um private Vermieter für Stufe-3-Haushalte. Vermieter werden darum gebeten, dabei zu helfen, Menschen aus Notlagen in Wohnraum zu vermitteln. Die Stadt unterstütze Interessenten mit Begleitung und Förderung. Denn „neben möglichen Personalengpässen in den Fachstellen ist der wesentliche limitierende Faktor der enge Hamburger Wohnungsmarkt, der für die Träger der Stufe 3 die Wohnungsakquise schwierig macht“, heißt es aus der Sozialbehörde.

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Unterbringung Wohnungsloser: Ziel verdoppelt, Ressourcen aber nicht

Dass es so sehr an Wohnraum für die Stufe-3-Haushalte mangelt, hat jedoch auch strukturelle Gründe. „Das Zielbild der Verdoppelung der Plätze ist nicht automatisch mit einer Verdoppelung der Wohnungsangebote der Wohnungsunternehmen verbunden, mit denen die Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen und die Sozialbehörde Kooperationsverträge abgeschlossen haben“, erklärt der Sprecher der Sozialbehörde, Arnhold.

Einfach gesagt: Die Stadt möchte nun zwar doppelt so viele Stufe-3-Haushalte unterbringen wie noch im Jahr 2021, hat die Ressourcen dafür aber nicht erhöht. Zugleich sei das politische Ziel des Senats, tatsächlich 300 Stufe-3-Wohnungslose jährlich unterzubringen, für die Sozialbehörde und die Bezirksämter gleichermaßen verbindlich, so Arnhold.

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Genau hieraus ergibt sich ein Ärgernis, von dem Anna Tekken dem Abendblatt berichtet. Sie ist Sozialarbeiterin bei Wohnen mit Begleitung. Obwohl Wohnen mit Begleitung als einer von fünf freien Trägern im Rahmen der Stufe-3-Unterbringung rein rechnerisch 60 Mietverhältnisse jährlich anbieten könnte, stellt die gGmbH derzeit nur 45 zur Verfügung. Ursächlich dafür ist, wie die Verdopplung der unterzubringenden Stufe-3-Haushalte im Jahr 2022 abgelaufen ist, sagt Tekken: „Es war absehbar, dass die Fachstellen mit der Erhöhung auf 300 Stufe-3-Haushalte, die untergebracht werden sollen, keine zusätzlichen Ressourcen erhalten. Für das umfangreiche Einstufungsverfahren haben die Fachstellen einfach nicht genug Zeit.“

Auch dauere es jetzt deutlich länger, den Wohnraum bereitzustellen, weil die Träger um jede Wohnung ringen müssen. „Wir arbeiten mit sehr belasteten Menschen, deren Vermittlungszeiten nun stark verlängert wurden. Manche Leute halten diese Wartezeiten einfach nicht durch“, sagt die Sozialarbeiterin. Die Kooperation mit den Bezirksämtern möchte sie damit keinesfalls ins falsche Licht rücken: „Die Zusammenarbeit mit den Fachstellen ist vertrauensvoll, wir ziehen ja alle an einem Strang.“ Jedoch seien die Ressourcen, allen voran der Wohnraum, einfach nicht ausreichend.

Auch für Jörn Sturm von Hinz und Kunzt ist die Situation schlichtweg unverständlich. Und das im Übrigen nicht nur aus menschlicher, sondern auch aus ökonomischer Sicht: „Eingetretene Wohnungslosigkeit ist volkswirtschaftlich natürlich viel teurer als deren Vermeidung“, mahnt er.