Hamburg. Geschäftsführer Jörn Sturm blickt in seinem Gastbeitrag fürs Abendblatt zurück und spricht über die Herausforderungen, die warten.
Ob wir uns freuen, dass wir nun 30 Jahre werden? Auf jeden Fall! Wir haben manches bewegt, tolle Menschen kennengelernt und vielen auch helfen können: durch Arbeit, durch Wohnraum, durch Zuhören – und indem wir obdachlosen und armen Menschen eine Stimme geben. Mithilfe unseres Straßenmagazins „Hinz&Kunzt“ und durch viele Gespräche.
Von Anfang an waren wir sehr dicht dran an den Menschen und ihren Schicksalen, haben Wert auf Teilhabe und Inklusion gelegt. Diese Nähe und vor allem die direkte und respektvolle Zusammenarbeit mit Obdach- und Wohnungslosen ist bis heute eine der Stärken von Hinz&Kunzt.
„Hinz&Kunzt“: Rund 7100 Verkäuferinnen und Verkäufer in Hamburg
Inzwischen umfasst unser Team 38 Menschen. 18 von ihnen haben selbst einmal auf der Straße geschlafen. Das sorgt für große Vielfalt. Dazu kommen unsere bisher rund 7100 Verkäufer:innen. So viele Ausweise haben wir im Laufe der Jahre ausgestellt. Momentan bieten rund 500 aktuell oder ehemals Obdachlose „Hinz&Kunzt“ auf der Straße an und nutzen so die Chance auf eine niedrigschwellige Beschäftigung. Sie verkaufen ca. 50.000 Exemplare pro Monat. Wir freuen uns über jedes verkaufte Magazin, das unsere professionelle Redaktion jeden Monat aufs Neue mit viel Herzblut produziert.
Der Kauf lohnt sich nicht nur wegen des Inhalts: Denn nur wenn Sie das Magazin erwerben, geben Sie unseren Verkäufern die Chance, mehr zu sein als Almosenempfänger. Übrigens: „Hinz&Kunzt“ ist ein von staatlichen Geldern komplett unabhängiges Projekt. Nicht zuletzt deshalb sind wir auf die Einnahmen aus dem Magazinverkauf angewiesen. Als Straßenmagazin sind wir mit der Idee angetreten, eine journalistische Lücke zu schließen. Und machen das seit 30 Jahren, indem wir ein spannendes Stadtmagazin für alle Hamburger und Hamburgerinnen anbieten – und die Themen und Perspektiven aufgreifen, die buchstäblich auf der Straße liegen und anderswo oft nur wenig Beachtung finden.
Die finanzielle Unabhängigkeit sichern uns auch die vielen Hamburger:innen, die unsere Arbeit schätzen und uns durch Spenden und Mitgliedsbeiträge in unserem Freundeskreis unterstützen. Das ist ein Zeichen der Solidarität, die uns sehr freut und überhaupt erst möglich macht, dass wir inzwischen sehr viel mehr sind als ein Magazin: Wir leisten hinter den Kulissen sehr viel praktische Hilfe. Es gibt in unseren Räumen kostenlose Getränke, Wasch- und Duschgelegenheiten, Angebote der Hamburger Tafel, Schlafsäcke und Kleidung für den Notfall, Freizeitangebote, Postadressen und Geldverwaltung, Einzugs- und Umzugshilfen sowie Fahrtkostenzuschüsse und Weiterbildungsangebote.
„Hinz&Kunzt“: Die Not in Hamburg ist groß
Unsere drei Sozialarbeiter:innen haben mehr denn je zu tun: Der Bedarf und die Not sind groß, denn die Vermittlung von Wohnraum ist mittlerweile nahezu unmöglich und die Kommunikation mit Behörden – nicht zuletzt durch die Digitalisierung – sehr hochschwellig für prekär lebende Menschen.
Das Thema Obdachlosigkeit ist seit 1993 nicht zuletzt dank der Brücken, die das Straßenmagazin zwischen Menschen gebaut hat, in der Gesellschaft angekommen. Aber die Zahl der Wohnungslosen steigt. Allein in Hamburg leben rund 45.000 Menschen in städtischen Unterkünften. Die Zahl der offiziell gezählten Obdachlosen lag bei der jüngsten Erhebung im Jahr 2018 bei 1910.
Europäische Union, Bundesregierung und Senat haben sich dazu bekannt, bis 2030 die Obdach- und Wohnungslosigkeit beseitigen zu wollen. Allerdings gibt es Stimmen, die dieses Ziel schon heute für nicht erreichbar halten und nach Ausflüchten suchen. „Hinz&Kunzt“ stemmt sich diesen entgegen und drängt – gemeinsam mit anderen Fachleuten aus der Wohnungslosenhilfe – darauf, dass Bundesregierung und Senat einen Plan mit konkreten überprüfbaren Zwischenzielen erarbeiten.
„Hinz&Kunzt“ ist sicher, dass es Obdachlosigkeit nicht geben muss
Wir sind davon überzeugt, dass es Obdachlosigkeit nicht geben muss. Wir haben selbst im Kleinen immer Lösungen gefunden für Menschen, die von der Gesellschaft abgeschrieben wurden oder sich selbst aufgegeben hatten. Oder gute Beispiele dargestellt, wie anderenorts Probleme gelöst werden. Wir haben Obdachlose direkt von der Straße in Wohnraum vermittelt und vor zwei Jahren 27 Menschen in sechs Wohnungen über unseren Geschäftsräumen untergebracht.
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Und wir haben Arbeitsplätze und Arbeitsprojekte wie unseren Stadtrundgang oder „Spende dein Pfand“ am Hamburger Flughafen entwickelt. Mit Gestaltungswillen und Mut kann man einiges erreichen. Das finden Sie auch? Dann feiern und diskutieren Sie mit uns. Dazu gibt es in den kommenden Tagen in unserem KunztCafé im Neuen Amt Altona und bei unserer Geburtstagsgala im Uebel & Gefährlich viele Gelegenheiten.