Hamburg. Studierende bewerben die kunterbunten Frauencontainer auf dem HAW-Gelände, in denen zehn obdachlose Frauen übernachten dürfen.

Wie schwer es ist, Spenden für einen sozialen Zweck zu sammeln, merken gerade Imke Henning und Emilie Krüger – und das schon im ersten Semester. Die beiden studieren Technische Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Marketing. Eine ihrer Aufgaben ist, die Frauencontainer auf dem HAW-Gelände am Berliner Tor zu bewerben. Hier stehen seit 1993 kunterbunte Wohncontainer, in denen zehn obdachlose Frauen übernachten dürfen.

„Wir haben schon über die Caritas einen Instagram-Account erstellt und posten viel, um Aufmerksamkeit zu bekommen“, sagt Emilie aus Lohbrügge, die sich freut, gleich in die Praxis einsteigen zu dürfen – „wobei ja eine richtige Spendensammlung auf der Straße bei der Polizei angemeldet werden müsste“, weiß die 21-Jährige noch von Aktionen aus ihrer Schulzeit an der Stadtteilschule Bergedorf (GSB).

Obdachlosigkeit: Spendensammlung für Frauencontainer in Hamburg

„Unser Budget ist klein, aber wir haben schon Flyer im St. Marien-Dom ausgelegt und wollen noch welche in Supermärkten aufhängen“, ergänzt die 18-jährige Imke aus Wentorf. Ihre Werbekampagne soll das Geld aufstocken, was außerhalb des städtischen Winternotprogramms gebraucht wird, denn die Container bleiben das ganze Jahr über stehen und werden nicht nur von der Caritas betreut: „Die Studierenden der Sozialen Arbeit öffnen täglich zweimal den Bürocontainer samt Küche. Außerdem wird donnerstagabends gekocht, gibt es am Wochenende von 10 bis 12 Uhr ein Frühstück, für das die Studierenden einkaufen gehen“, sagt Elena Saikow, die das Projekt seit fünf Jahren als Tutorin betreut und weiß: „Obdachlosigkeit ist nicht die Ursache, sondern ein Symptom von Armut.“

Die 30-Jährige kennt alle Bewohnerinnen. Schon seit fünf Jahren lebt eine Polin auf den sechseinhalb Quadratmetern, nebenan im Container versteckt sich eine Mexikanerin, die vor häuslicher Gewalt geflohen ist. Gerade ist auch eine Iranerin dabei, die zu Corona-Zeiten ihren Ausbildungsplatz verloren hat, aber noch ihr Kind in der Heimat finanzieren will. Da ist die Künstlerin, die jahrelang im Auto lebte. Und dann gibt es noch die Straßenmusikerin aus Kanada, die nachts mit Gitarre und Keyboard in Clubs auftritt. Andere bieten nachts auf dem Steindamm ihren Körper an. Doch die Sexarbeiterinnen dürfen keine Freier mitbringen, ab 19 Uhr gilt Besuchsverbot: „Es ist ein Schutzraum für Frauen, der ihnen eine Privatatmosphäre sichert“, betont Elena Saikow.

Ein eigener Schlüssel: Endlich hat Simone in Hamburg eine Bleibe gefunden, wo sie hinter sich abschließen kann.
Ein eigener Schlüssel: Endlich hat Simone in Hamburg eine Bleibe gefunden, wo sie hinter sich abschließen kann. © bgz | Anne Strickstrock

Sie fühle sich wie in einer großen Familie, sagt eine Frau, die wir Simone nennen. Mit blauem Strickpullover und grüner Jacke sitzt sie in ihrem Container, liest Bücher, raucht Pall Mall und trinkt Yogi-Tee. Die kleine Heizung bollert, dennoch liegt unterm Tisch ein Wärmebeutel, für ihre Füße. „Ich habe kaputte Venen in den Beinen“, sagt die 58-Jährige, die den Wohnplatz von der Krankenstube am Hauptbahnhof vermittelt bekam – und dafür seit August 2023 dankbar ist.

Aufgewachsenen in einem kleinen Dorf im Herzogtum Lauenburg, machte Simone zunächst eine Ausbildung zur hauswirtschaftlichen Betriebshelferin. Dann, so erzählt sie, folgten eine zwölfjährige Ehe samt drei Kindern, ein Wechsel in die Altenpflege („bis ich allergisch gegen Desinfektionsmittel wurde“), Arbeitslosigkeit, Schulden und schließlich der Verlust der Wohnung.

Simone liebt Tiere und Blumen, hat sich ihren kleinen Container gemütlich eingerichtet.
Simone liebt Tiere und Blumen, hat sich ihren kleinen Container gemütlich eingerichtet. © bgz | Anne Strickstrock

Ganze neun Jahre lang habe sie auf der Straße gelebt, in Hauseingängen und winters gern an Flughäfen. München und Düsseldorf waren dabei, Frankfurt und Berlin – „aber nie am Hauptterminal“. In Hamburg schätzt sie eher die S-Bahn zum Flughafen: „Da kennt man mich inzwischen und lässt mich schlafen“, berichtet die Frau und betont: „Ich habe ja nie Randale oder Dreck gemacht. Bloß ab und zu gehe ich in der Bahn Münzen sammeln.“

An der Containerwand hängt ein selbstgemaltes Bild mit rosafarbenen Blumen mit dem Schriftzug „Believe you can“. Ihr Vater jedoch habe den Glauben an sie aufgegeben: „Der schämt sich für mich. Aber ich bin froh, dass sie meinen Kleinsten aus dem Heim geholt haben. Der ist jetzt 17 und wächst bei meinen Eltern auf“, erzählt Simone. Auch ohne engeren Kontakt liebe sie ihre Kinder „über alles“.

Imke Henning (l.) und Emilie Krüger mit ihren Werbeflyern am Frauencontainer.
Imke Henning (l.) und Emilie Krüger mit ihren Werbeflyern am Frauencontainer. © bgz | Anne Strickstrock

Ein respektvoller Umgang wird laut Hausordnung erwartet, zudem müssen sich die Bewohnerinnen alle drei Tage melden, „damit wir sehen, dass die Container aktiv genutzt werden und nicht nur als Lagerraum“, sagt Elena Saikow, die mit den HAW-Studenten auch mal einen Filmabend organisert oder Gesang und Tanz. Im Vordergrund des Projektes steht, dass sich die Bewohnerinnen ausruhen und anonym bleiben können. „Sie müssen keinen Leistungsbezug haben und werden auch nicht in ihre Heimat abgeschoben“, sagt die Tutorin, die keine Warteliste führt: „Ein freier Platz spricht sich schnell unter Hamburgs Sozialarbeitern herum.“

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Projektleiterin Andrea Hniopek ist froh über die Ideen der Marketingstudentinnen, denn das Projekt ist auf Spenden angewiesen: „Wir brauchen im Jahr rund 60.000 Euro.“ Spenden können auf das Konto der Caritas, DE34 400 602 650 202020 800, Stichwort Containerprojekt für Frauen, überwiesen werden. „Wir sind arme Menschen und nehmen jede Kleinigkeit mit Kusshand an“, sagt Simone und denkt an Hygieneartikel, Bettwäsche, Stricksocken und Kopfkissen. Auch eine Wanduhr steht auf ihrer Wunschliste. Und sonst noch? „Ach, ich will schon noch ein bisschen leben“, so die 58-Jährige.