Hamburg. Allein die Arbeitsgerichte bilden eine Ausnahme. Die Zahl der neu eingehenden Verfahren sinkt, nur nicht bei Verwaltungsklagen.
Es ist auf den ersten Blick ein paradoxer Befund: Obwohl die Zahl der neu eingehenden Verfahren seit einigen Jahren rückläufig ist, steigt die durchschnittliche Verfahrensdauer in Hamburg bei fast allen Gerichten an – und liegt in der Regel deutlich über den bundesweiten Werten.
Für den Trend verantwortlich dürften insgesamt komplexere Verfahren sein, aber auch die zum Teil dramatische Personalsituation und ein hoher Krankenstand in den Geschäftsstellen der Gerichte sowie ein deutlicher Aufgabenzuwachs für die Rechtspfleger.
CDU Hamburg: Weniger Verfahren beim Oberlandesgericht in Hamburg
Laut der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Bürgerschaftsfraktionschefs Dennis Thering und des CDU-Rechtspolitikers Richard Seelmaecker sank die Zahl der Neuzugänge beim Hanseatischen Oberlandesgericht (OLG) von 2006 Verfahren (2020) auf 1652 Verfahren (2022) – ein Minus von 17,6 Prozent. Im gleichen Zeitraum ging die Zahl der Erledigungen um 30,6 Prozent auf 1689 Verfahren zurück. Die Zahl des Bestandes unerledigter Altfälle hat sich nur geringfügig verändert: von 2255 Verfahren (2020) auf 2154 Verfahren (2022) und 2009 Fälle am Ende des dritten Quartals 2023.
Justiz Hamburg: Beim Oberlandesgericht ist fast jede zehnte Stelle nicht besetzt
Allerdings stieg die durchschnittliche Verfahrensdauer von 14,3 auf 14,5 Monate leicht an. In den ersten drei Quartalen dieses Jahres betrug die Verfahrensdauer im Schnitt allerdings 18,4 Monate. Im bundesweiten Durchschnitt dauern Verfahren bei den Oberlandesgerichten neun (2020) bzw. zehn Monate (2022). Für das zu Ende gehende Jahr liegen noch keine Zahlen vor. Auffällig ist das Personalproblem beim OLG: Waren Anfang 2020 lediglich knapp 15 der 738 Stellen unbesetzt, so waren es Mitte 2023 knapp 67 der 720 Stellen – fast jede zehnte Stelle.
Bei den Zivilverfahren in erster Instanz am Landgericht sank die Zahl der Neuzugänge deutlich um 27,4 Prozent von 13.217 (2020) auf 9600 Verfahren (2022). Der Trend scheint anzuhalten, denn in den ersten drei Quartalen dieses Jahres wurden 7590 Neuzugänge registriert. Allerdings sank die Zahl der Erledigungen seit 2020 um 16,5 Prozent auf 10.446 Fälle Ende 2022. Die Zahl der unerledigten Altfälle ist im gleichen Zeitraum um gut zehn Prozent gesunken, beläuft sich aber immer noch auf 14.260 Verfahren. Die durchschnittliche Verfahrensdauer stieg deutlich von 11,2 (2020) auf 15,2 Monate (2022) und beläuft sich aktuell sogar auf 16,4 Monate. Zum Vergleich: Im Bundesschnitt dauern Zivilverfahren an Landgerichten 2022 nur 11,8 Monate.
Durchschnittliche Verfahrensdauer liegt deutlich über dem bundesweiten Vergleichswert
Während auch bei den Berufungen in Zivilverfahren ein Rückgang der Neuzugänge um 9,3 Prozent von 2020 bis 2022 zu verzeichnen ist, stieg der Wert bei den Strafverfahren leicht an. In der ersten Instanz von 437 (2020) auf 444 Fälle (2022), bei den Berufungsverfahren von 1303 auf 1347 Verfahren (plus 3,4 Prozent). Die durchschnittliche Verfahrensdauer kletterte in der ersten Instanz von 6,4 Monaten (2020) auf acht Monate (2022, aktuell sogar 9,1) an, liegt aber unter dem bundesweiten Wert von 8,6 Monaten. In der Berufungsinstanz sank die Verfahrensdauer sogar von 5,5 (2020) auf 4,6 Monate und unterbietet ebenfalls den Bundesschnitt mit sechs Monaten. Mit einer Vakanz von gut fünf der 529 Stellen ist die Personallage am Landgericht insgesamt praktisch ausgeglichen.
Beim größten Hamburger Gericht sind auch die Probleme am größten. Zwar verzeichnet das Amtsgericht in allen Bereichen Rückgänge bei den neu eingehenden Verfahren, aber es gelingt nicht durchgängig, den Bestand an Altfällen nennenswert abzubauen. Ein entscheidender Grund dürfte in der Zahl nicht besetzter Stellen vor allem in den Geschäftsstellen liegen, wie bereits mehrfach berichtet. Im Juli 2023 waren laut Senatsantwort gut 81 der insgesamt 1616 Stellen nicht besetzt – jeder 20. Posten. Zum Vergleich: Im Januar 2020 waren Stellen-Soll und Stellen-Ist beim Amtsgericht noch deckungsgleich.
Amtsgericht Hamburg: Zahl unerledigter Altfälle fast wieder auf Niveau von 2020
Die Zahl neuer Strafverfahren sank am Amtsgericht von 14.928 (2020) um 13,8 Prozent auf 12.865 Fälle (2022). Der Bestand unerledigter Verfahren ging im gleichen Zeitraum zwar leicht von 7818 auf 7226 Fälle zurück, kletterte aber in den ersten drei Quartalen 2023 auf 7702 und erreichte zum Stichtag 31. Oktober mit 7775 Fällen fast wieder das Niveau von 2020. Die durchschnittliche Verfahrensdauer stieg von fünf auf sechs Monate und lag damit über dem bundesweiten Durchschnitt von 5,1 Monaten (2020: 4,6).
Bei den Zivilverfahren am Amtsgericht fiel der Rückgang von Neuverfahren mit 25.661 Fällen 2022 um 22,1 Prozent gegenüber 2020 noch deutlicher aus. Der Bestand unerledigter Verfahren sank von 17.076 Fällen 2020 auf 14.137 Fälle (2022). Zum Stichtag 31. Oktober liegt die Zahl von 17.391 Fällen über dem Niveau von vor drei Jahren. Die durchschnittliche Verfahrensdauer stieg von 5,6 auf 5.9 Monate leicht an und liegt über dem bundesweiten Wert von 5,7 Monaten.
Beim Verwaltungsgericht stieg die Zahl neu eingereichter Klagen um mehr als 30 Prozent an
Gegenläufig zum Trend geringerer Zahlen von Neuzugängen ist die Entwicklung beim Verwaltungsgericht. Die Zahl der Klagen stieg von 3571 (2020) auf 4746 Fälle (2022) – ein Zuwachs um 32,9 Prozent. Einen deutlichen Anstieg verzeichnet die Statistik auch bei den unerledigten Verfahren: von 7146 auf 12.606 Fälle und Ende Oktober 2023 auf 12.562 Fälle. Die durchschnittliche Verfahrensdauer stieg von 21,1 auf 22,4 Monate und liegt damit deutlich über dem Bundesschnitt von 18,7 Monaten im Jahr 2021. Aktuellere Werte liegen vom Bund nicht vor.
Während die Zahl der neu eingegangenen Klagen beim Sozialgericht mit 8608 Fällen um 6,8 Prozent gegenüber 2020 gesunken ist, fällt der insgesamt hohe Anteil an Bestandsfällen auf. Gab es 2020 noch 16.618 unerledigte Fälle beim Sozialgericht, stieg deren Zahl 2022 auf 17.404 Fälle und sank erst im laufenden Jahr auf 15.983. Die Verfahrensdauer stieg seit 2020 von 19,8 auf 21,8 Monate an und liegt deutlich über dem Bundesschnitt von 17,9 Monaten. Bei den Berufungen arbeitet das Hamburger Sozialgericht schneller als die Gerichte bundesweit: 15,7 Monate beträgt die durchschnittliche Verfahrensdauer gegenüber 19 Monate im Bund.
Bei den Arbeitsgerichten sanken die Zahl der unerledigten Fälle und die Verfahrensdauer
Erfreulich ist die Tendenz bei der Arbeitsgerichtsbarkeit. Beim Landesarbeitsgericht sank die Zahl der Neuzugänge bei den Berufungen um 44,4 Prozent gegenüber 2020 auf 380 Fälle. Der Bestand an Altfällen nahm im gleichen Zeitraum von 465 auf 262 Verfahren ab. Schließlich konnte auch die durchschnittliche Verfahrensdauer von 9,9 auf 7,3 Monate verkürzt werden und lag damit unter dem bundesweiten Niveau von 8,5 Monaten.
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Auch die Zahl der neu eingegangen Klagen vor der ersten Instanz, dem Arbeitsgericht, waren rückläufig: von 10.906 auf 7776 Fälle – ein Minus von 28,7 Prozent. Auch die Zahl der unerledigten Fälle sank von 3538 Verfahren um 23,1 Prozent auf 2713 Verfahren. Die durchschnittliche Verfahrensdauer betrug im vergangenen Jahr 3,5 Monate (2022: 3,7) und liegt aktuell bei 3,3 Monate und erreicht damit die bundesweite Vergleichszahl von 3,4 Monaten (2022).
CDU Hamburg: Oppositionschef Thering fordert nachhaltige Verbesserung der Arbeitsbedingungen
„Ob als Kläger im Zivilverfahren, als Prozessbeteiligter vor dem Verwaltungsgericht oder auch als Opfer einer Straftat, der Wunsch nach einem zügigen Abschluss des Verfahrens ist groß! Leider brauchen Betroffene in Hamburg oftmals jedoch viel Geduld, was sie nicht nur Nerven, sondern häufig auch Geld kostet“, sagt CDU-Oppositionschef Dennis Thering. Wie katastrophal die Situation an den Amtsgerichten sei, habe deren neuer Präsident Guido Christensen gerade erst kundgetan. Christensen hatte im Abendblatt-Gespräch unter anderem gesagt, bei vier der sieben Amtsgerichte sei die Lage „momentan sehr schwierig“.
„Um das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat nicht zu erschütten, muss Hamburgs Justiz endlich gestärkt werden. Dazu muss der Senat von SPD und Grünen endlich die Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessern, um die hohe Fluktuation auf den Geschäftsstellen zu beenden“, sagte Thering.