Hamburg. Letzter Volksentscheid war 2013. Jetzt wollte Initiative große Grünflächen vor Bebauung schützen. Wie Richter argumentieren.
Erneut hat das Hamburgische Verfassungsgericht entschieden, dass ein Volksbegehren in Hamburg nicht durchgeführt werden darf. So erklärten die Richter das Volksbegehren „Rettet Hamburgs Grün – Klimaschutz jetzt!“ am Freitagvormittag für nicht zulässig. Die Initiative wollte durchsetzen, dass in großen Grün- und Landwirtschaftsflächen in Hamburg keine neuen Baugebiete ausgewiesen werden. Der rot-grüne Senat hatte das Gericht angerufen, weil er überzeugt ist, dass dieses Anliegen mit höherrangigem Recht kollidiere und zudem die Grenzen der Hamburgischen Verfassung nicht wahre.
Ausgangspunkt des Verfahrens ist die Ende 2021 mit mehr als 10.000 gültigen Unterschriften zustande gekommene Volksinitiative zum Schutz großer Grün- und Landwirtschaftsflächen vor Bebauung. Nachdem die Bürgerschaft keinen Beschluss im Sinne der Volksinitiative gefasst hatte, beantragten die Initiatoren im Mai 2022 den nächsten Schritt im Volksgesetzgebungsverfahren – ein Volksbegehren. Der Senat hatte daraufhin das Verfassungsgericht angerufen.
Verfassungsgericht Hamburg: Volksbegehren immer wieder kassiert
Auch die Verfassungsrichter kamen zu der Entscheidung, dass die Vorlage der Volksinitiative mit höherrangigem Recht nicht vereinbar sei. Das Begehren sei darauf gerichtet, die Ausweisung neuer Baugebiete auf größeren Grün- und Landwirtschaftsflächen in Hamburg und damit bestimmte Festsetzungen in Bebauungsplänen generell auszuschließen. Das sei mit Bundesrecht nicht in Einklang zu bringen, denn demnach müsse bei der Bauleitplanung eine gerechte Abwägung aller privaten und öffentlichen Belange stattfinden. Die Umsetzung der Vorlage würde demgegenüber unter Ausschluss dieser Abwägung bedeuten, dem Erhalt von Grün- und Landwirtschaftsflächen in Hamburg unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen einzuräumen, erklärte das Gericht.
Es ist mittlerweile zur regelmäßigen Praxis geworden, dass der Hamburger Senat die Zulässigkeit von Volksbegehren vor dem Verfassungsgericht infrage stellt. Zuletzt hatte das Gericht auf Antrag etwa Volksinitiativen gegen Rüstungstransporte durch den Hafen oder für die Einführung eines Grundeinkommens kassiert. Auch Initiativen für verbindliche Bürgerentscheide auf Bezirksebene, für die Streichung der Schuldenbremse oder gegen den „Pflegenotstand in Krankenhäusern“ wurden untersagt.
Seit 2013 gab es keinen Volksentscheid mehr in Hamburg
Der Senat argumentiert, er lasse Volksbegehren auf deren Verfassungsmäßigkeit. Kritiker dagegen, etwa „Mehr Demokratie“, kritisieren hingegen, erfolgreiche Volksinitiativen würden ausgebremst. Tatsache ist: Seit dem erfolgreichen Volksentscheid über den Rückkauf der Energienetze von 2013 hat es trotz immer neuer Initiativen keine weitere Volksabstimmung gegeben – und selbst die nach der Volksinitiative zweite Stufe der Volksgesetzgebung, das Volksbegehren, wurde nur ein einziges Mal erreicht.
Seit einer Änderung des Hamburger Volksabstimmungsgesetzes 2012 muss der Senat das Verfassungsgericht immer dann anrufen, wenn er „erhebliche Zweifel“ hat, dass die Initiative mit Artikel 50 der Hamburgischen Verfassung vereinbar ist. Dort heißt es u. a.: „Bundesratsinitiativen, Haushaltspläne, Abgaben, Tarife der öffentlichen Unternehmen sowie Dienst- und Versorgungsbezüge können nicht Gegenstand einer Volksinitiative sein.“ Die Folge der Senatspraxis ist allerdings, dass es in der einstigen Hochburg der Volksgesetzgebung seit dem Volksentscheid über den Rückkauf der Energienetze 2013 keine weitere Volksabstimmung gegeben hat. „Mehr Demokratie“ kritisierte, Senat und Bürgerschaft hebelten mit ihrem Vorgehen die direkte Demokratie in Hamburg aus.
Richter: Warum Initiative zur Rettung von Hamburgs Grün gegen Verfassung verstößt
Zurück zum Volksbegehren „Rettet Hamburgs Grün – Klimaschutz jetzt!“: Nach der heutigen Entscheidung des Verfassungsgerichts ist die Vorlage der Volksinitiative mit den bundesrechtlichen Vorgaben für die Bauleitplanung in den Ländern nicht in Einklang zu bringen. Diese Vorgaben seien als sonstiges höherrangiges Recht in die verfassungsgerichtliche Überprüfung der Vorlage einzubeziehen. Nach dem Baugesetzbuch sind für die Bauleitplanung bestimmte Instrumente und Verfahren für die Plangeber in den Bundesländern zwingend vorgeschrieben. Dazu gehört das sogenannte Abwägungsgebot, nach dem bei der Aufstellung von Bauleitplänen die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind, heißt es in einer Erklärung des Gerichts. Hiervon umfasst seien beispielsweise die Wohnbedürfnisse und die sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung, Belange des Umwelt- und Naturschutzes, der Wirtschaft, der Verkehrsanbindung und der Infrastruktur.
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Nach Auffassung des Gerichts stellt sich das Ziel der Vorlage, die Ausweisung neuer Baugebiete für bestimmte Flächen generell auszuschließen, als Vorabfestlegung späterer Bauleitplanung und damit als eine Vorwegnahme bebauungsplanerischer Entscheidungen über die Nichtfestsetzungen von Baugebieten in den betroffenen Bereichen dar.
Verfassungsgericht Hamburg: Es muss abgewogen werden
Anders als die Initiative geltend mache, beschränke die Vorlage sich nicht auf die Entscheidung, einen bestimmten Bebauungsplan nicht aufzustellen, da sie nicht jegliches, sondern nur ein bestimmtes bebauungsplanerisches Tätigwerden ausschließe. Von einem bloßen städtebaulichen Konzept unterscheide die Vorlage sich wegen der von ihr bezweckten Verbindlichkeit für die künftige Bebauungsplanung im Hamburger Stadtgebiet. Denn anders als von der Vorlage beabsichtigt, wäre ein städtebauliches Konzept lediglich ein abwägungsrelevanter Belang unter vielen, würde aber keine strikte Bindung für spätere Planverfahren entfalten.
Begreife man den Gegenstand der Vorlage als eine teilweise vorweggenommene Entscheidung für die Bauleitplanung, werde sie den Anforderungen des Abwägungsgebots nicht gerecht. Sie erfasse eine Vielzahl unterschiedlicher, im Wesentlichen abstrakt bestimmter Flächen im gesamten Hamburger Stadtgebiet und schließe für diese im Rahmen jedweder künftiger Bebauungsplanung mögliche Festsetzungen aus, obwohl die jeweils maßgeblichen Belange im Einzelnen noch gar nicht bekannt seien und auch gar nicht bekannt sein könnten.
„Erschwert den Klimaschutz“: Was die Kritiker sagen
Michael Heering, Mitinitiator von „Rettet Hamburgs Grün“, bedauerte die Entscheidung des Verfassungsgerichts. „Gerade im Rahmen des Klimaschutzes, den wir dringend benötigen, und dass keine Grünflächen mehr so massiv versiegelt werden dürfen, ist das jetzt natürlich eine sehr schwerwiegende Entscheidung ins Negative“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur nach Verkündung des Urteils.
Auch der umweltpolitische Sprecher der Hamburger Linksfraktion, Stephan Jersch, drückte sein Bedauern aus: „Einerseits werden entschiedene Maßnahmen für den Klimaschutz gefordert - darunter auch der Stopp der Flächenversiegelung - andererseits wird dem Senat mit diesem Urteil ein Freifahrtschein für weitere Umweltzerstörungen ausgestellt.“ Das Urteil werde die ohnehin sehr schwierige Einhaltung der Pariser Klimaziele weiter erschweren und „den Bulldozern Vorrang vor dem Naturerhalt geben“.