Hamburg. Hass und Hetze gegen Richterin und Verteidiger im Vergewaltigungsprozess. Ankläger legen keine Revision gegen Urteil ein.

Im Hinblick auf das Urteil gegen neun junge Männer wegen der Vergewaltigung einer 15-Jährigen im Stadtpark wird die Staatsanwaltschaft keine Revision einlegen. Das bestätigte eine Sprecherin der Anklagebehörde dem Abendblatt auf Anfrage. Allerdings wollen mehrere Verteidiger, die im Prozess in Hamburg jeweils Freispruch für die Anklagten vom Vorwurf der Vergewaltigung gefordert hatten, das Urteil anfechten.

Unterdessen tobt im Internet weiterhin Hass und Hetze gegen Verfahrensbeteiligte im Stadtpark-Prozess, vor allem gegen die Vorsitzende der Jugendkammer, die das Urteil gefällt hatte, aber auch gegen Verteidiger und weitere Juristen. So schreibt beispielsweise ein Teilnehmer, er „wünsche der Richterin und allen Strafverteidigern den Tod“.

Hass und Hetze: Nach Stadtpark-Urteil wird Juristen Schreckliches gewünscht

Ein anderer Absender erklärt unter dem Betreff „Pfui Teufel“, dass er das Urteil mit „Verachtung zur Kenntnis genommen“ habe und „alles erdenklich Schlechte und einen ähnlichen Fall in der eigenen Familie“ wünscht. In einer weiteren Mail heißt es: „Ganz Deutschland hasst dich.“ Andere sprechen von einem „Skandalurteil“ und hoffen, dass die Vorsitzende Richterin selber zum Opfer einer Vergewaltigung werde. Und es wird gefordert: „Schäm dich!“

Nach Stadtpark-Prozess haben Hassbotschaften eine „neue Intensität“

„Wir beobachten die Anfeindungen im Zusammenhang mit dem Verfahren und dem Urteil mit großer Sorge“, sagte dazu Gerichtssprecher Kai Wantzen. „Dabei steht die Sicherheit der Kolleginnen und Kollegen an oberster Stelle, weswegen die Behörden im engen Austausch miteinander stehen.“ Zwar habe es schon immer Fälle gegeben, „in denen Verlautbarungen über einzelne Richterinnen und Richter grenzüberschreitend waren und mit einer sachlichen Urteilskritik nichts mehr zu tun hatten“, so Wantzen. „Die aktuell verbreiteten Hassbotschaften, die den Boden einer sachlichen Auseinandersetzung bei Weitem verlassen haben und in vielen Fällen den strafrechtlich relevanten Bereich erreichen, haben allerdings in Intensität und Massenhaftigkeit ein neues, besorgniserregendes Ausmaß angenommen.“

Die Vorsitzende des Hamburgischen Richtervereins, Heike Hummelmeier, hatte die Hetze als „nicht hinnehmbar“ kritisiert. Der Richterverein als Zusammenschluss der hamburgischen Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sei „bestürzt über die unerträgliche Hetze gegen eine Kollegin, die in diesem schwierigen Fall die ihr nach dem Grundgesetz zugewiesene Aufgabe erfüllt hat“, sagte Hummelmeier. Dieses Vorgehen in den sozialen Medien sei „ein gezielter Angriff auf den Rechtsstaat“.

Hass und Hetze: Richterverein nennt dies „einen gezielten Angriff auf Rechtsstaat“

Auch die Hamburger Arbeitsgemeinschaft für Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger zeigte sich „entsetzt über die im Internet kursierenden Bedrohungen, Beleidigungen und Verunglimpfungen gegen Prozessbeteiligte“. „Wir verurteilen jegliche Angriffe auf RichterInnen und Verfahrensbeteiligte von Gerichtsverfahren“, betonte Arne Timmermann, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft.

„Wir können nicht zulassen, dass richterliches Handeln, aber auch die anwaltliche Interessenvertretung für unsere MandantInnen unter dem Druck eines rassistischen und demokratiefeindlichen Lagers steht. Ebenso wenig kann hingenommen werden, dass Angeklagte, noch dazu in einem Jugendverfahren, im Internet ,geoutet‘ werden und fortan um ihre Gesundheit fürchten müssen.“

Staatsanwaltschaft untersucht, ob Hetz-Botschaften Straftaten sind

Unterdessen wird bei der Hamburger Staatsanwaltschaft beobachtet und gesammelt, was an Hetze im Netz verbreitet wird. Die Zentralstelle Staatsschutz ist eingeschaltet. „Die Bewertung, inwieweit Straftaten vorliegen, dauert an“, sagte eine Sprecherin der Anklagebehörde dem Abendblatt.

Eine Jugendkammer des Landgerichts hatte am Dienstag nach anderthalb Jahren Prozessdauer und 68 Verhandlungstagen neun der zehn wegen Vergewaltigung angeklagten jungen Männer zu Jugendstrafen verurteilt. Dabei erhielt ein Angeklagter, der zur Tatzeit am 19. September 2020 noch 16 Jahre alt war, eine Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Gegen vier Beteiligte wurden Bewährungsstrafen zwischen 15 Monaten und zwei Jahren verhängt.

Hass und Hetze: Strafverteidiger verurteilten jegliche Angriffe auf Juristen

Vier weitere junge Männer verurteilte das Landgericht zu Jugendstrafen zwischen einem und zwei Jahren zur Vorbewährung. Das bedeutet, dass das Gericht über eine Vollstreckung der verhängten Jugendstrafe erst nach Ablauf von sechs Monaten entscheidet, um die weitere Entwicklung dieser Angeklagten abzuwarten. Alle Strafen mit Bewährung beziehungsweise Vorbewährung wurden durch Auflagen und Weisungen flankiert.

Die Staatsanwaltschaft hatte Jugendstrafen zwischen 15 Monaten und drei Jahren gefordert, teilweise zur Bewährung oder Vorbewährung.

Prozess Hamburg: Jugendstrafen zwischen einem und fast drei Jahren verhängt

Die Kammer des Landgerichts hatte es als erwiesen angesehen, dass die zur Tatzeit 16- bis 20-jährigen Beschuldigten ihr Opfer im September 2020 nahe einer Party im Stadtpark in wechselnder Zusammensetzung über einen längeren Zeitraum hinweg missbraucht hatten. Demnach führten sie die mit 1,6 Promille erheblich betrunkene und später zusätzlich auch noch in einer psychischen Ausnahmesituation befindliche Jugendliche wiederholt in ein Gebüsch, wo es zu sexuellen Übergriffen kam.

Nach Überzeugung des Landgerichts handelte es sich um eine Vergewaltigung teils unter Ausnutzung einer hilflosen Lage, wobei Drohungen oder Gewaltanwendung nicht feststellbar waren. Das stark alkoholisierte Opfer hatte die Übergriffe aus Angst und Verstörung über sich ergehen lassen.

Mehr zum Thema

Noch vor einigen Jahren wäre es unter diesen Vorzeichen im vorliegenden Fall zu keiner Verurteilung gekommen. Nach dem bis 2016 geltenden Recht handelte es sich erst dann um eine strafbare Vergewaltigung, wenn Gewalt oder Drohungen gegen das Opfer eingesetzt wurden. Seit der Reformierung des Sexualstrafrechts heißt es nicht nur „Nein heißt nein.“ Ferner gelte auch „Ja heißt Ja“ ausschließlich dann, wenn an einer Zustimmung der oder des anderen kein Zweifel besteht. Jugendrecht: Erziehungsgedanke steht im Vordergrund

Prozess Hamburg: Urteil nach Stadtpark-Tat nach Jugendstrafrecht gefällt

Weil die Angeklagten zur Tatzeit zwischen 16 und 20 Jahren waren, wurde im Prozess das Jugendrecht angewandt. Laut Gesetz kann es nach dem Jugendstrafrecht überhaupt nur dann zur Verhängung einer Jugendstrafe kommen, wenn bei dem Angeklagten eine „schädliche Neigung“ oder eine „Schwere der Schuld“ vorliegt.

Im Vordergrund des Jugendstrafrechts steht – so will es der Gesetzgeber – der Erziehungsgedanke, also die Überlegung, mit welcher Maßnahme ein Täter dazu gebracht werden kann, künftig gesetzeskonform zu handeln. Hierbei sollen auch Weisungen oder Auflagen, die von den jungen Straftätern zu erbringen sind, helfen. Diese hatte das Gericht gegen die jungen Männer aus Stadtpark-Verfahren ausdrücklich ausgesprochen.