Hamburg. Richterverein beklagt „nicht hinnehmbare persönliche Angriffe“. Im Netz wird Wunsch geäußert, sie möge selbst vergewaltigt werden.

Nach dem Urteil gegen neun junge Männer wegen Vergewaltigungen im Hamburger Stadtpark, das das Landgericht am Dienstag fällte, tobt im Netz die Hetze gegen Anne Meier-Göring, die Vorsitzende Richterin der Kammer. Die Angriffe reichen bis zur Androhung von Gewalt. Der Hamburgische Richterverein verwahrt sich in scharfen Worten gegen die „hatespeeches“, also den Hass im Netz.

„In den sozialen Medien finden derzeit nicht hinnehmbare persönliche Angriffe gegen die Vorsitzende Richterin der Kammer statt, die das sogenannte ,Stadtpark-Urteil‘ ‚gefällt hat“, erklärte Heike Hummelmeier, Vorsitzende des Richtervereins, am Mittwochmittag. Dabei werde mehr oder weniger verhüllt zur Gewalt gegen die Richterin aufgerufen und der Wunsch geäußert, sie möge selbst Opfer einer Vergewaltigung werden.

Justiz Hamburg: Richterverein sieht „gezielten Angriff auf den Rechtsstaat“

„Der Hamburgische Richterverein als Zusammenschluss der hamburgischen Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte ist bestürzt über die unerträgliche Hetze gegen eine Kollegin, die in diesem schwierigen Fall die ihr nach dem Grundgesetz zugewiesene Aufgabe erfüllt hat“, so Hummelmeier. Dieses Vorgehen in den sozialen Medien sei „ein gezielter Angriff auf den Rechtsstaat“.

Etwas mehr als drei Jahre nach den sexuellen Übergriffen zweier Gruppen von jungen Männern auf eine alkoholisierte und widerstandsunfähige 15-Jährige im Hamburger Stadtpark hatte das Landgericht der Hansestadt am Dienstag neun Beschuldigte zu Jugendstrafen zwischen einem Jahr sowie zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Vier Strafen wurden unter Auflagen und flankiert von Weisungen zur Bewährung ausgesetzt. Bei vier weiteren Strafen wird demnach erst nach einem halben Jahr über eine Vollstreckung der Haftstrafe entschieden, bis dahin wird im Rahmen einer sogenannten Vorbewährung noch die weitere Entwicklung der Beschuldigten abgewartet. Ein zehnter Angeklagter wurde von allen Vorwürfen freigesprochen.

„Einseitige Polemik ohne Kenntnisse der Hintergründe des Falls“

Die zuständige Kammer des Landgerichts habe in einem aufwendigen Verfahren eine Vielzahl von Beweisen erhoben und seit „im Ergebnis zu einem differenzierten Urteil“ gelangt, so Richtervereinsvorsitzende Hummelmeier. Demgegenüber beschränkten sich die „hatespeeches“ ohne Kenntnis der Hintergründe des Falles auf einseitige Polemik und persönliche Angriffe gegen die Richterin. Verurteilungen zu Jugendstrafen mit Bewährung, die eine der schärfsten Sanktionen des Jugendrechts darstellten, würden als Freisprüche bezeichnet.

„Gänzlich unerträglich sind die – zudem von einem migrationsfeindlichen Hintergrund geprägten – Aufrufe zur Gewalt gegen die Richterin. Wer rechtsstaatliche Entscheidungen zum Anlass für eine persönliche Bedrohung der die Entscheidung fällenden Richter nimmt, lehnt die demokratischen Strukturen und den Rechtsstaat ab und will die Herrschaft der Straße“, so Hummelmeier.

Staat soll „solchen Machenschaften“ entschlossen entgegentreten

Ein derartiger Angriff auf die Person der Richterin stell einen „perfiden und beschämenden Versuch der Einflussnahme auf richterliche Entscheidungen und zur Einschüchterung der Richterschaft insgesamt“ dar. Der Hamburgische Richterverein verurteile derartiges Verhalten auf das Schärfste und stehe solidarisch hinter seiner Kollegin. „Er erwartet von allen staatlichen Stellen, solchen Machenschaften entschlossen entgegenzutreten“, forderte Heike Hummelmeier.

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Die Kammer des Landgerichts hatte es als erwiesen angesehen, dass die zur Tatzeit 16- bis 20-jährigen Beschuldigten ihr Opfer im September 2020 nahe einer Party im Stadtpark in wechselnder Zusammensetzung über einen längeren Zeitraum hinweg missbraucht hatten. Demnach führten sie die mit 1,6 Promille erheblich betrunkene und später zusätzlich auch noch in einer psychischen Ausnahmesituation befindliche Jugendliche wiederholt in ein Gebüsch, wo es zu sexuellen Übergriffen kam.

Richterin kritisierte Angeklagte: Kein Wort des Bedauerns

Nach Angaben des Landgerichts handelte es sich um eine Vergewaltigung teils unter Ausnutzung einer hilflosen Lage, wobei Drohungen oder Gewaltanwendung nicht feststellbar waren. Demnach zeigte das Opfer aufgrund alkoholbedingter „Ausfallerscheinungen“ und später im Zuge einer akuten „Belastungsreaktion“ zum Teil „paradoxe Verhaltensweisen“. Es leistete im späteren Verlauf laut Urteil nicht ausschließbar zumindest auch keinen erkennbaren Widerstand. Die Beschuldigten hätten dies jedoch erkannt und diese Wehrlosigkeit ausgenutzt.

„Nein heißt nein. Und Ja heißt nur dann ja, wenn es keinen Zweifel an der Zustimmung des anderen gibt“, hatte die Richterin in ihrer Urteilsbegründung erklärt. Sie kritisierte zugleich das Verhalten der jungen Männer im Prozess: „Keiner der Angeklagten hat ein Wort des Bedauerns über die Lippen gebracht.“