Hamburg. Guido Christensen hatte gute Aussichten auf den wichtigen Führungsposten. Doch er erlebte schon einmal eine böse Überraschung.
Eine der Toppositionen der Hamburger Justiz ist am Mittwoch vergeben worden. Der Richterwahlausschuss musste entscheiden, wer der neue Präsident des Amtsgerichts und damit Nachfolger von Hans-Dietrich Rzadtki wird, der bereits Ende Oktober in Pension gegangen war.
Neuer Chef von rund 1600 Mitarbeitern, darunter 330 Richtern, wurde tatsächlich Guido Christensen, Vizepräsident des Oberlandesgerichts (OLG).
Amtsgericht Hamburg: Guido Christensen ist der neue Präsident
„Angesichts seiner juristischen Erfahrung und seiner Expertise im Bereich der Justizdigitalisierung gewinnen unsere Amtsgerichte nicht nur eine starke Führungskraft, sondern auch eine zukunftsweisende Persönlichkeit“, erklärte Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne). „Dr. Christensen hat an der aktuellen IT-Strategie der Hamburger Justiz mitgewirkt und die Modernisierung des Zivilprozesses vorangetrieben. Er ist mit seinen Erfahrungswerten eine hervorragende Wahl für ein starkes und zukunftsfähiges Amtsgericht Hamburg. Ich wünsche ihm viel Freude und Erfolg bei seinen neuen Herausforderungen und Aufgaben.“
Der 59 Jahre alte promovierte Richter und Diplomkaufmann galt als einer der erfahrensten und anerkanntesten Spitzenjuristen rund um den Sievekingplatz, der das juristische Zentrum der Stadt ist. Seit zehn Jahren ist Christensen Vizepräsident des höchsten ordentlichen Gerichts des Stadtstaats, zuvor war er seit 2009 Vizepräsident des Amtsgerichts. Einziger Mitbewerber für den Posten des Amtsgerichtspräsidenten war dessen aktueller Vizepräsident Lutz Wegerich. Der 51-jährige Wegerich verfügt über einen starken Rückhalt unter den Mitarbeitern des Amtsgerichts.
Neuer Amtsgerichtspräsident: Justizsenatorin Anna Gallina hat Christensen vorgeschlagen
Nach Informationen des Abendblatts hatten sich Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne), die das Vorschlagsrecht hat, und der Präsident des Oberlandesgerichts, Marc Tully, mit Blick auf den Richterwahlausschuss für Christensen ausgesprochen. Die 14 Mitglieder entscheiden mit einfacher Mehrheit – acht Stimmen sind also zur Wahl eines Richters erforderlich. Der Senat entsendet drei Mitglieder: Neben Gallina sind dies Senatskanzlei-Staatsrat Jan Pörksen und Justizstaatsrat Holger Schatz. Sechs sogenannte bürgerliche Mitglieder werden von der Bürgerschaft nach dem Fraktionsproporz gewählt. Aktuell stellen SPD und Grüne jeweils zwei, CDU und Linke jeweils ein Mitglied. Die Richterschaft benennt drei Mitglieder des Richterwahlausschusses, die Rechtsanwaltskammer zwei Mitglieder.
Vor fünf Jahren hatte Christensen bei Wahl des Landgerichtspräsidenten das Nachsehen
Die gängigen, auch grundgesetzlich geschützten Kriterien für die Beförderung von Richterinnen und Richtern sprachen für Christensen, der als OLG-Vizepräsident das höher besoldete Amt bekleidet. Seine Unterstützer unterstreichen zudem die größere Berufserfahrung und Bandbreite seiner Tätigkeiten im Justizdienst. Während Christensen seit 14 Jahren Führungspositionen bekleidet, ist Wegerich erst seit 2022 Vizepräsident des Amtsgerichts.
Nachdem Christensen zum Präsidenten des Amtsgerichts gewählt wurde, könnte bei ihm ein wenig Genugtuung mitschwingen. Vor fünf Jahren war der Jurist bei dem Versuch gescheitert, Präsident des Landgerichts zu werden. Damals setzte sich Marc Tully gegen Christensen durch, der auf seinem Posten als OLG-Vizepräsident blieb. Auch eine Konkurrentenklage Christensens sowie eines weiteren Bewerbers blieb vor dem Verwaltungsgericht ohne Erfolg.
Dass der Richterwahlausschuss ein unabhängiges, für Überraschungen gutes Gremium ist, hatte sich bei der Wahl Tullys gezeigt. Der damalige Justizsenator Till Steffen (Grüne) hatte Christensen vorgeschlagen, doch der Ausschuss hatte mit neun zu fünf Stimmen für Tully votiert.
Neuer Präsident des Amtsgerichts steht vor erheblichen Herausforderungen
Insofern ist es nicht ohne Pikanterie, spricht aber auch für gewachsenes Vertrauen und eine gute Arbeitsatmosphäre, wenn der mittlerweile zum OLG-Präsidenten aufgestiegene Tully nun seinerseits Christensen für den Spitzenposten beim Amtsgericht vorschlägt. Beobachter der Szenerie rund um den Sievekingplatz weisen darauf hin, dass die Spitzen der wichtigsten hamburgischen Gerichte ohnehin besser harmonieren als noch vor wenigen Jahren. Damals galt das Verhältnis zwischen OLG-Präsidentin Erika Andreß und Landgerichtpräsidentin Sibylle Umlauf – beide inzwischen pensioniert – als sehr belastet.
Auf den neuen Präsidenten des Amtsgerichts warten erhebliche Herausforderungen. Mehrfach waren die Personalnot vor allem in den Geschäftsstellen und die langen Verfahrensdauern Gegenstand von Berichterstattung auch des Abendblatts. Und der vor Kurzem pensionierte Amtsgerichtspräsident Hans-Dietrich Rzadtki hatte selbst kein Blatt vor den Mund genommen, wenn es um die Defizite und Mängel des Gerichts ging.
Ex-Präsident Rzadtki warnte davor, dass das Amtsgericht „zum Stillstand kommt“
„Das Amtsgericht ist der Maschinenraum der Justiz. Die Maschine stottert bereits an verschiedenen Ecken. Wir müssen verhindern, dass sie zum Stillstand kommt“, hatte Rzadtki in einem Gespräch mit dem Abendblatt zu seinem Abschied aus dem Amt gewarnt. „Wir haben es extrem schwer, weil wir weniger geworden sind. Und das, obwohl das Amtsgericht personell schon immer auf Kante genäht war. Jetzt kommt der Fachkräftemangel noch dazu. Das trifft uns besonders hart“, sagte Rzadtki.
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Weil die Bürgerinnen und Bürger mit dem Amtsgericht „von der Wiege bis zur Bahre“ zu tun haben könnten, so der damalige Präsident, wirkten sich die Probleme auf die gesamte Gesellschaft aus. Mehrere Sparrunden der jeweiligen Senate hätten dazu geführt, dass die Zahl der Mitarbeiter in den Geschäftsstellen „abgeschmolzen“ sei. Diejenigen, die den Betrieb am Laufen hielten, „arbeiten teilweise jenseits der Belastungsgrenze“.
Vor dem Rechtsausschuss der Bürgerschaft hatte Rzadtki in dramatischen Worten schon 2022 darauf hingewiesen, dass sich die Belastung einer „roten Linie“ nähere und der „Kipppunkt“ bald erreicht sei. „Es geht um das Funktionieren unseres Rechtsstaates. Das Amtsgericht hat als Bürgergericht eine enorme Multiplikationskraft. Alles, was nicht angemessen zeitnah bearbeitet wird, schafft bei jedem Einzelnen Unzufriedenheit mit dem Staat“, sagte Rzadtki.