Hamburg. Angekündigte „Handreichung“ für KI im Unterricht lässt auf sich warten. Schulbehörde sieht „Handlungssicherheit“ bei Lehrkräften.
Die Veröffentlichung von ChatGPT vor fast einem Jahr gilt als Zäsur für das Lernen und den Schulunterricht: Denn die frei zugängliche Software kann dank künstlicher Intelligenz (KI) zum Beispiel Referate und Hausaufgaben schreiben – „in zum Teil beachtlicher Qualität“, wie Hamburgs Schulbehörde schon im Januar erklärte. Sie sprach von einem „dringlichen“ Thema, die Entwicklung sei „rasant und dynamisch“.
Ob die Behörde darauf schnell und bis heute ausreichend reagiert hat, ist jedoch fraglich. Im Mai sagte Britta Kölling von der neu eingerichteten „Kompetenzstelle KI“ am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI), das LI arbeitete mit der Schulbehörde (BSB) an einem KI-Ratgeber, vergleichbar mit den im April von Bayern und Berlin für ihre Schulen veröffentlichten Anleitungen. Nun, ein halbes Jahr später, heißt es auf Anfrage, die von der Kompetenzstelle verfasste „umfassende Handreichung“ für Hamburger Schulen mit Praxisbeispielen befinde sich „zur finalen Prüfung in der BSB“. Die Behörde teilt mit, ein Termin zur Veröffentlichung stehe nicht fest; die Prüfung sei „nicht abgeschlossen“.
Hamburger Schülerkammer: „Fast alle Schüler nutzen die KI bereits regelmäßig“
Aus Sicht der Betroffenen ist das misslich. „Fast alle Schülerinnen und Schüler wissen von der KI und nutzen sie bereits regelmäßig“, schreibt die Hamburger Schülerkammer auf Anfrage. Es sei deshalb von „höchster Wichtigkeit“, dass Mädchen und Jungen in der Schule einen „kompetenten Umgang“ mit KI erlernten. Dazu gehöre auch, „dass Informationen, die generiert werden, kritisch hinterfragt werden“.
Bisher komme es auf die Lehrkräfte an, ob KI im Unterricht genutzt oder thematisiert werde. „Einige stehen ChatGPT positiv gegenüber und bringen Schülerinnen und Schülern bei, wie sie gekonnt mit ChatGPT lernen können. Andere verbieten ChatGPT und versuchen, der KI entgegenzuwirken“, so die Schülerkammer.
Hamburger Lehrervertreter: Ohne KI-Vorgaben droht „Wildwuchs“
Schulgemeinschaften sollten besprechen, wie sich KI „chancengerecht“ nutzen lasse. „Denn nicht jeder kann sich ein Laptop, Tablet oder Abos bei KI-Systemen wie ChatGPT leisten“, schreibt die Schülerkammer (ChatGPT 3.5 ist kostenlos, die Version 4 kostet 20 US-Dollar pro Monat). „Dementsprechend würden wir weitere Richtlinien bzw. einen Leitfaden begrüßen, der Lehrkräften zeigt, wie sie ChatGPT sinnvoll in ihren Unterricht einbringen und die Medienkompetenzen der Schülerinnen und Schüler weiter fördern können.“
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Christian Gefert, Vorsitzender der Vereinigung der Leitungen Hamburger Gymnasien. Jede Schule erprobe nun selbst den Umgang mit ChatGPT & Co. „Das ist ein sehr mühseliger Prozess. Wenn es keine Vorgaben gibt, läuft man Gefahr, dass es jede Hamburger Schule anders macht“, sagt Gefert. Dabei nutzten die Schüler längst KI-Werkzeuge etwa für Hausarbeiten, ohne dass dies einheitlich geregelt sei. „Wenn wir es bei diesem Wildwuchs belassen, ist das ein Riesenproblem, ein unhaltbarer Zustand.“
Schule Hamburg: Elternkammer – Regeln für Leistungsbewertung von „äußerster Bedeutung“
Nicole Zeidler, Vorstandsmitglied der Hamburger Elternkammer, lobt die Schulbehörde und das LI – ein Stück weit. Im Vergleich zum Mai dieses Jahres gebe es „erhebliche Fortschritte“ bei der Unterstützung der Lehrkräfte zum Umgang mit KI. Es sei allerdings fraglich, inwieweit die Fortbildungen tatsächlich genutzt werden, und es sei „riskant“, darauf zu warten, dass Lehrkräfte den Umgang mit ChatGPT vorantrieben. „Wir sind sicher, dass unserer Kinder sonst immer den Lehrern ein Schritt voraus sind“, sagt Zeidler. Es brauche „gebündelte, einheitliche und gut strukturierte Handlungsempfehlungen“ für Lehrkräfte.
Nach dem Verdacht auf Täuschungsversuche einiger Schüler mit KI beim schriftlichen Abitur in Hamburg hatte die Schulbehörde im Mai festgelegt, dass KI im Abi zur Vorbereitung auf mündliche Prüfungen und zur Erarbeitung von Präsentationen verwendet werden darf – unter der Bedingung, dass Schüler die verwendete KI als Quelle angeben müssen. Abgesehen davon, sagt Nicole Zeidler, seien der Elternkammer allerdings keine weiteren verbindlichen Regeln für die Leistungsbewertung bekannt. Solche Vorgaben seien jedoch von „äußerster Bedeutung“, so die Vorsitzende der Elternkammer. „Nur durch einheitliche und verbindliche Vorgaben können gerechte Bewertungen sichergestellt werden.“
Schulbehörde Hamburg sieht „Handlungssicherheit“ bei Lehrkräften
Die Schulbehörde teilt auf Anfrage mit, die Einschätzung, ob Schüler eine Leistung ohne Hilfe erbracht haben, werde durch KI-Programme „schwieriger“. Allerdings müssten Schüler „in der Regel“ schon etwa ihren Lösungsweg erläutern. Und: „Lehrkräfte verfügen in aller Regel über ein ausreichend hohes Maß an Erfahrung und Kompetenz, um den jeweils erreichten Lernstand sicher zu identifizieren.“ Die überarbeiteten Bildungspläne enthielten in ihrem C-Teil Vorgaben, die „Handlungssicherheit in Bezug auf den Umgang mit unerlaubter Verwendung von KI bei nicht unter Aufsicht angefertigten Arbeiten und deren Bewertung geben“.
Handlungssicherheit? Christian Gefert sagt, er wundere sich über diese Einschätzung. „Die Perfektion, mit der KI Aufgaben erledigt, macht es Lehrern sehr schwer, nachzuweisen, dass eine KI dahintersteckt.“
Schulen in Hamburg: Neuer Bildungsplan sieht erstmals auch „digitale Klausuren“ vor
Nötig sei eine Neuausrichtung des Unterrichts, vor allem bei der Leistungsbewertung und der Prüfungskultur. „Wir brauchen neue, KI-taugliche Prüfungsformate für Hamburgs Schulen.“ Grundsätzlich gehe es nicht darum, KI pauschal negativ als Schummel-Hilfe abzustempeln, sagt Gefert. Sondern vielmehr darum zu überlegen, wie und wo sich KI beim Lernen sinnvoll nutzen lasse – und wo Grenzen beim Einsatz von KI im Unterricht liegen.
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Zwar sieht der neue Bildungsplan vor, dass die Schulen erstmals auch Klausuren entwickeln sollen, die hauptsächlich mithilfe digitaler Medien zu absolvieren sind, wie Schulsenator Ties Rabe (SPD) im August miteilte. Das mache zumindest Hoffnung, dass es „in die richtige Richtung“ gehe, sagt Christian Gefert. Konkrete Vorgaben für die didaktische Umsetzung gebe es bisher jedoch nicht.
Schule Hamburg: Symposium zu KI im November 2023
Das Thema KI sei zwar in den Schulen angekommen, sagt Bodo Haß, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Hamburg. Für den 24. November habe die Schulbehörde ein Symposium organisiert, an dem auch die Gewerkschaft teilnehme.
„Allerdings ist die Dynamik in der Entwicklung von KI so schnell und der Bedarf an Fortbildung eigentlich so groß, dass man nicht sagen kann, dass das ausreichend ist“, sagt Haß. „Gleichzeitig ist die Belastung der Kolleginnen und Kollegen jetzt schon so groß, dass ein eigenes individuelles Fortbildungsbudget für Digitalisierung für die Lehrkräfte notwendig wäre, damit diese sich adäquat einarbeiten könnten.“