Hamburg. Nach Schummeln im Abitur will die Kammer lernen neu denken. Schulen sollten sich nämlich aus anderem Grund von KI bedroht fühlen.

Experten warnen vor den Gefahren der künstlichen Intelligenz (KI), Schulen können kaum verhindern, dass Systeme ChatGPT beim Erarbeiten von Referaten oder sogar in Prüfungen zum Schummeln eingesetzt werden – zuletzt in Hamburg womöglich sogar bei den Abiturklausuren. Die Hamburger Schülerkammer wirbt nun dafür, KI nicht etwa aus der Schule zu verbannen, sondern im Gegenteil ihre Potenziale im Unterricht und beim Lernen zu nutzen.

„Die Büchse der Pandora ist geöffnet. Verbote sind zwecklos: Wer jetzt panisch versucht, ChatGPT zu verbieten, wird scheitern“, sagt Malik Sauerbeck, Vorsitzender der Schülerinnen- und Schülerkammer Hamburg. Statt sie zu verbieten, sollte der Unterricht tiefgreifendend reformiert werden.

Sauerbeck ist überzeugt: Die Technologie werde ihren Weg finden. Gerade bei Klausuren und Frontalunterricht könne mithilfe von künstlicher Intelligenz geschummelt werden. „Wir fordern eine Debatte über die Chancen von künstlicher Intelligenz im Unterricht, um die Potenziale ideal für die Bildung aller zu nutzen“, so Sauerbeck.

Schule: In Hamburg sind Systeme wie ChatGPT längst Teil des Alltags

ChatGPT, das neue auf künstlicher Intelligenz basierende Dialogsystem, sei in den Schulen längst angekommen und aus dem Schulalltag bereits jetzt nicht mehr wegzudenken. KI werde oft als große Bedrohung dargestellt, eben weil Schummeln kaum aufzudecken sei. Von dieser neuen Entwicklung sollten sich die Schulen tatsächlich bedroht fühlen, meint Hamburgs Schülerkammer, aber in einem ganz anderen Sinne: Schließlich hinterfrage die Nutzung einer künstlichen Intelligenz implizit die Rolle von Lehrkräften und Schulen generell. Es stelle sich die Frage, wie in einer solchen Situation überhaupt noch sinnvoll unterrichtet und geprüft werden kann.

Judith Simon, Expertin zum Thema Künstliche Intelligenz, hatte vor Kurzem im Interview mit dem Abendblatt ähnlich argumentiert: „ChatGPT fordert uns aber auch heraus, über Ziele, den Wert und das Wesen von Bildung nachzudenken. Was müssen künftig Bildungsinhalte sein? Welche Kompetenzen brauchen wir noch – und welche vielleicht nicht mehr? Welches Wissen ist relevant?“, sagte die Professorin der Universität Hamburg. ChatGPT stelle das Bildungssystem vor die Herausforderung, wie künftig überhaupt noch faire und schummelresistente Prüfungen organisiert werden können.

Schummelversuche offenbar sogar im Abitur

Schummelresistent war das Abitur in Hamburg in diesem Jahr offenbar nicht: Ende Mai war bekannt geworden, dass einige Schülerinnen und Schüler bei den Abiturklausuren im Frühjahr verbotenerweise künstliche Intelligenz wie das Dialogsystem ChatGPT genutzt haben sollen. Eine Lehrkraft hatte während der schriftlichen Prüfung bei einem Schüler ein Smartphone entdeckt, auf dem ein Programm wie ChatGPT geöffnet war. Der Abiturient soll daraufhin den Betrugsversuch eingestanden haben.

Ein Einzelfall war das nicht: Etwa 20 Schulen hatten laut Schulbehörde Verdachtsfälle gemeldet und gefragt, wie sie damit umgehen sollten. Einigen Lehrkräften waren Unregelmäßigkeiten auch bei der Korrektur der Klausuren aufgefallen. Sie hätten dann die Arbeiten mithilfe von Software überprüft, die per ChatGPT erzeugte Texte offenlegen kann. Allerdings gebe das Programm nur an, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass es sich um eine per KI erzeugte Passage handele. In den aktuellen Fällen sah die Rechtsabteilung der Schulbehörde keine Möglichkeit, diese sicher nachzuweisen.

Schüler: Unterricht im Sinne moderner Bildung reformieren

Aus Sicht der Schülerinnen- und Schülerkammer zeigt dies: Gerade Klausuren und Frontalunterricht sind vor dem Schummeln mithilfe von künstlicher Intelligenz nicht sicher. Unterricht und Schule müssten tiefgreifend zugunsten moderner Bildung reformiert werden. „Wir fordern eine Debatte über die Chancen von künstlicher Intelligenz im Unterricht, um die Potenziale ideal für die Bildung aller zu nutzen”, sagt Malik Sauerbeck. Denn KI sei an Schulen längst weit verbreitet.

Jetzt schon diene ChatGPT den Schülerinnen und Schülern praktisch als persönliche Assistenz, die jeden Kontext versteht, jede historische Epoche kennt und für die keine Frage zu schwer zu beantworten ist und die zum Beispiel im Fremdsprachenunterricht wie ein Muttersprachler als Gesprächspartner fungieren kann. In Zukunft würden die Möglichkeiten der Nutzung immens zunehmen. Natürlich dürften die Ergebnisse der Programme nicht einfach übernommen werden. Die Prüfung der „von ChatGPT mit großer Selbstsicherheit präsentierten Fakten und Quellen“ sei unbedingt erforderlich.

Schüler haben eigene Vorschläge zu Umgang mit KI

Aber die Schüler haben eine Vision, wie die neuen Systeme genutzt werden sollten: Idealerweise verbinden sich künstliche und menschliche Intelligenz, indem ChatGPT Kontexte zur Verfügung stellt und die Schüler lernen, diese Vorarbeit kritisch zu hinterfragen und als Leitlinie zur Strukturierung ihrer eigenen Lernprodukte zu nutzen. Die neuen künstlichen Intelligenzen seien die idealen Sparringspartner für alle Schülerinnen und Schüler, da sie individueller auf diese eingehen können als eine Lehrkraft auf eine ganze Klasse.

Natürlich dürften von Chatbots generierte Texte nicht einfach blind kopiert werden, und Schulen müssten Wege finden, diese Fremdleistungen zu unterbinden. Dies könne beispielsweise im Unterrichtsgespräch durch gezielte Nachfragen der Lehrkräfte sichergestellt werden. Aber: Die Interaktion und das Feedback zwischen Schülern und Lehrern müsse künftig für den Lernprozess im Vordergrund stehen, nicht das reine Lernprodukt – auch über die Frage von künstlicher Intelligenz hinaus. „Der individuelle Mensch und seine Kompetenzen müssen zum Mittelpunkt von Schulbildung werden.“

Schule: In Hamburg keine eigenen Regeln zum Schummeln mit KI

KI und speziell ChatGPT sind auch in der Schulbehörde ein Thema. Lehrkräfte werden im großen Stil im Umgang damit weitergebildet. Die neuen Bildungspläne sähen erstmals einen reflektierten Umgang mit KI im Unterricht vor, so die Behörde. Neue Regeln zum Schummeln mit KI brauche es hingegen nicht, da sich Lehrkräfte ohnehin davon überzeugen müssten, dass eine Regelung tatsächlich von dem Schüler erbracht wurde.

Christian Gefert, Vorsitzender der Vereinigung der Leitungen Hamburger Gymnasien (VLHGS), hatte bereits Anfang des Jahres einen „auf die schulische Praxis abgestimmten, rechtssicheren Umgang mit diesem Thema für die ganze Stadt“ gefordert. Und: Ein neues Verständnis des Leistungsbegriffs sei noch nicht ausreichend abgebildet.