Hamburg. Neues Schuljahr startet in Hamburg mit Rekord. Wo die Zahlen besonders ansteigen – und wie der Unterricht gewährleistet werden soll.
Die Schülerschaft in Hamburg wächst weiter: Vom 24. August an werden 10.130 Mädchen und Jungen mehr als im vergangenen Schuljahr an den Schulen der Hansestadt lernen. Damit steige die Zahl der Schülerinnen und Schüler voraussichtlich auf einen neuen Rekordwert von 270.440, teilte die Schulbehörde mit, die sich damit auf die Anmeldungen aus den Monaten März bis Mai bezieht.
Neben dem Geburtenzuwachs und dem allgemeinen Zuzug nach Hamburg sei das Wachstum der Schülerzahlen erheblich auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zurückzuführen. Nach Angabe der Behörde haben Hamburgs Schulen bis zum Ende des vergangenen Schuljahres mehr als 8200 ukrainische Schülerinnen und Schüler aufgenommen.
Schulen in Hamburg müssen sich selbst um neue Lehrkräfte kümmern
Die Zahl der Lehrkräfte kann mit dem Schülerzuwachs offenbar zumindest zeitweise nicht Schritt halten: Zurzeit seien 540 Lehrerstellen in Hamburg offen, so die Behörde. Zum Vergleich: Zum Start des vorigen Schuljahres hatte es eine „strukturelle Lücke“ von 265 Lehrerstellen für die allgemeinbildenden Schulen gegeben, wie der Senat damals auf eine große schriftliche Anfrage der Linken-Fraktion erklärte.
„Im Moment ist das für mich noch kein Alarmzeichen“, sagte Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) am Dienstag im Rathaus mit Blick auf aktuellen Stellenengpass. „Es ist mehr geworden, es ist noch lange nicht bedrohlich, aber man muss da sorgfältig drauf gucken.“ Die offenen Posten machten nur rund 3,4 Prozent der insgesamt 15.773 Lehrerstellen für das kommende Schuljahr aus. Die Schulbehörde geht davon aus, dass ein Teil der Posten mit Absicht offen gehalten wird: „In der Regel werden nicht alle Stellen besetzt, um unterjährig aus Elternzeit, Auslandsaufenthalten oder Langzeiterkrankungen zurückkehrende Kolleginnen und Kollegen aufnehmen zu können.“
Behörde: Rund 500 Stellen allein für Flüchtlingsklassen
Der Behörde zufolge sollten offene Stellen von den Schulleitungen eigenverantwortlich in erster Linie mit befristet beschäftigtem Personal besetzt werden, etwa mit Pensionären, Masterstudierenden und anderen „pädagogisch und fachlich erfahrenen Personen“. Diese sollten vor allem in den Flüchtlingsklassen unterrichten, die einen Bedarf von rund 500 Stellen haben.
„Erfahrungsgemäß stellen Schulleitungen noch bis zu den Herbstferien neue Lehrkräfte ein“, so die Behörde. Ihr zufolge werden für die eigentliche Unterrichtsversorgung rund 75 Prozent der Lehrerstellen benötigt. Eine Woche vor Ferienende seien 96,6 Prozent aller Lehrerstellen in Hamburg mit verbeamteten oder fest angestellten Lehrkräften dauerhaft besetzt gewesen.
Diskrepanz zwischen staatlichen und privaten Schulen
Der Anstieg bei den Schülerinnen und Schülern in Hamburg betreffe vor allem die staatlichen Schulen: Dort werden 10.230 mehr Schülerinnen und Schüler als im vorigen Schuljahr (plus 4,8 Prozent) und insgesamt 249.540 Schülerinnen und Schüler erwartet. Dagegen sinkt die Zahl der Schülerinnen und Schüler an den privaten allgemeinbildenden Schulen um 100 gegenüber dem vorigen Schuljahr. Vier katholische Schulen schlossen zuletzt. Nun besuchen nach Angaben der Schulbehörde insgesamt 18.300 Mädchen und Jungen die privaten Schulen. Das entspreche einem Anteil von rund acht Prozent.
Größter Zuwachs an Hamburgs Grundschulen
Den größten Anstieg gibt es voraussichtlich an Hamburgs Grundschulen. Allein in den ersten Klassen steige die Zahl der Schülerinnen und Schüler gegenüber dem Rekord des Vorjahres noch einmal um 700 Mädchen und Jungen auf 17.900; insgesamt lernten an den Grundschulen der Hansestadt dann voraussichtlich 79.900 Schülerinnen und Schüler, ein Zuwachs von mehr als 4600 gegenüber dem vorigen Schuljahr (plus 6,1 Prozent), so die Schulbehörde.
89,1 Prozent aller Grundschulkinder nahmen zuletzt in der Kernzeit von 8 bis 16 Uhr am Ganztag teil – mehr als je zuvor nach Angaben der Behörde. Im Schuljahr 2021/2022 seien es 87,6 Prozent gewesen.
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Die weiterführenden Schulen rechneten in den Klassenstufen 5 bis 10 mit einem Zuwachs von 3700 Schülerinnen und Schülern (plus 4 Prozent). Insgesamt lernten im neuen Schuljahr voraussichtlich 60.500 Schülerinnen und Schüler (plus 2500 bzw. 4,3 Prozent) an den Stadtteilschulen und 57.200 (plus 1900 bzw. 3,4 Prozent) an den Gymnasien.
Gymnasien sollen Stadtteilschulen bei Unterricht von Geflüchteten entlasten
Der Sprecher der Vereinigung der Stadtteilschulen in Hamburg, Thimo Witting, hatte vor Kurzem im Gespräch mit dem Abendblatt kritisiert, dass ein großer Teil der geflüchteten Kinder in Hamburg, die eine Internationale Vorbereitungsklasse (IVK) besucht haben, anschließend an Stadtteilschulen weiterunterrichtet wird. Diese „erhebliche Ungleichverteilung“ der ehemaligen IVK-Schüler mache „den Druck auf die Stadtteilschulen neben allen anderen Integrationsleistungen größer“, sagte Witting.
Schulsenator Ties Rabe erklärte am Dienstag, um die Stadtteilschulen zu entlasten, hätten Hamburger Gymnasien erstmalig zehn Regelklassen für neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler eröffnet. Sie könnten dort in zwei Jahren ihren Ersten (ESA) oder Mittleren Schulabschluss (MSA) machen.
Schulen in Hamburg: Neuer Bildungsplan sieht erstmals auch „digitale Klausuren“ vor
Zum neuen Schuljahr tritt in der Grundschule, der gymnasialen Oberstufe und in den Fächern Deutsch, Mathematik, Englisch und Religion in der Mittelstufe ein neuer Bildungsplan in Kraft. Dieser sehe vor, dass die Schulen erstmals auch Klausuren entwickeln sollen, die hauptsächlich mithilfe digitaler Medien zu absolvieren sind, beispielsweise mit einer App für Mathematik und Recherchen im Internet.
Die Opposition ging mit Rabes Präsentation zum neuen Schuljahr hart ins Gericht. Der Schulsenator habe keine angemessene Antwort auf die Probleme und Herausforderungen in den Schulen, sagte Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus. „Wenn nicht entschieden gehandelt wird, befürchte ich, dass wir bald einen Kollaps des Schulsystems erleben.“
Der AfD-Fraktionsvizechef Alexander Wolf sprach von einer „ungeregelten Massenmigration“, die „unser Schulsystem, unsere Lehrer, aber auch unsere Schüler an die Belastungsgrenze“ bringe. So könne es nicht weitergehen.
Die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein sagte, Rabes Initiativen zur Anwerbung von mehr Lehrern und die Ausweitung der Referendariatsausbildung seien „viel zu spät“ erfolgt „angesichts des sich seit Jahren abzeichnenden Lehrermangels“. Einbeziehung von künstlicher Intelligenz könne Unterrichtsausfall kompensieren. „Der Schulsenator glaubt stattdessen, dass eine einmal im Monat auf dem Laptop geschriebene Klausur etwas mit Fortschritt und Digitalisierung zu tun habe.“