Hamburg. Frei zugängliches Programm beantwortet mithilfe künstlicher Intelligenz Fragen und kann Texte schreiben. Was Lehrer sagen.

Großes Interesse an seinen Kursen über digitalen Schulunterricht ist Tim Kantereit gewohnt. Der Ansturm auf sein jüngstes Online-Seminar hat ihn allerdings überrascht. „Wow! Das ist krass! 1000!“, twitterte der Ausbilder von Lehrkräften angesichts der vierstelligen Teilnehmerzahl. Er sei „dezent aufgeregt“. Ausrichter ist die Hamburger Firma Fobizz, nach eigenen Angaben Deutschlands größte Weiterbildungsplattform für Lehrerinnen und Lehrer. Deren Gründerin Diana Knodel ist ebenfalls perplex. „So viele Anmeldungen hatten wir noch nie für ein Thema“, sagt sie. Zuletzt hätten sich weitere 500 Teilnehmende registriert für die Veranstaltung „ChatGPT – KI als Weg in die Zukunft der Bildung?“.

ChatGPT ist eine im November 2022 veröffentlichte, frei zugängliche Software, die dank künstlicher Intelligenz (KI) mit ihren Nutzern so kommunizieren kann, als sei sie ein Mensch. Dahinter steht das US-Unternehmen OpenAI. Dessen Entwickler haben den Chatbot mit riesigen Mengen an Text trainiert. Details zu den genutzten Quellen hat die Firma bisher nicht genannt, aber erklärt, der Chatbot habe eine „begrenzte Kenntnis der Welt und der Ereignisse nach 2021“.

Schreibt Künstliche Intelligenz bald Hausaufgaben für Hamburgs Schüler?

Textbasierte Dialogsysteme gibt es schon länger. Doch ChatGPT sei „ganz einfach der beste Chatbot mit Künstlicher Intelligenz, der jemals für die Öffentlichkeit freigegeben wurde“, schrieb kürzlich ein Autor der „New York Times“. Das System sei „klüger, verrückter, vielseitiger“. Ausprobieren lässt es sich der Seite chat.openai.com nach einer Registrierung mit E-Mail-Adresse, Name und Telefonnummer. Noch ist die Nutzung kostenlos.

ChatGPT beantwortet nicht nur Fragen – von Archäologie bis Zahnmedizin –, sondern kann auch Gedichte, Rezepte, Witze, Essays und wissenschaftliche Arbeiten, Computercode und vieles mehr schreiben. Die Ergebnisse seien oft verblüffend gut, heißt es in Berichten, wobei dem Chatbot auch krasse Fehler unterliefen. OpenAI erklärt freimütig, ChatGPT liefere „manchmal plausibel klingende, aber falsche oder unsinnige Antworten“.

Was bedeutet ChatGPT für Hamburgs Schulen?

Die Debatte, ob ChatGPT ein Segen, Fluch oder beides ist, hat nun auch Deutschland erreicht. Vor allem Schulen und Hochschulen treibt die Frage um. Denn Schülerinnen und Schüler können sich bei diversen Aufgaben von der KI helfen lassen. „Schreibe eine Gliederung für ein Referat über Julius Cäsar für die achte Klasse“ – „Schreibe eine Erörterung zum Thema: Muss man immer die Wahrheit sagen?, im Stil eines Zehntklässlers“ – „Beweise den Satz des Pythagoras“ – solche Aufforderungen beantwortet ChatGPT oft innerhalb weniger Sekunden.

„Sicher werden solche Chatbots zum Beispiel bei der Erstellung von Hausaufgaben vermehrt benutzt werden“, erklärte kürzlich der Digitalbeauftragte des Bayerischen Realschullehrerverbands, Ferdinand Stipberger. Umso wichtiger sei es, den Mädchen und Jungen rasch die nötigen Kompetenzen im Umgang mit KI-basierten Plattformen zu vermitteln.

In Hamburg werden ähnliche Stimmen laut. Nach Ansicht von Fobizz-Gründerin Diana Knodel ist ChatGPT ein „Gamechanger für die Art und Weise, wie wir zukünftig lernen“. Von einem „brisanten Thema, das uns an den Schulen umtreibt“, spricht Christian Gefert, Vorsitzender der Vereinigung der Leitungen Hamburger Gymnasien (VLHGS). Er gehe zwar davon aus, dass Mädchen und Jungen an Gymnasien ChatGPT für Hausaufgaben oder andere schulische Dinge „noch nicht im großen Umfang“ nutzten. „Das wird sich aber sicherlich bald ändern.“

Wer hat die Leistung erbracht? Die Schüler oder Künstliche Intelligenz?

Wichtig sei, rasch „einen auf die schulische Praxis abgestimmten, rechtssicheren Umgang mit diesem Thema für die ganze Stadt zu entwickeln“, sagt Gefert. Er sehe die Hamburger Schulbehörde „in der Pflicht, schnell die Initiative zu ergreifen“. Bisher sei das Thema nicht mit den Schulleitungen erörtert worden.

Wie lässt sich einschätzen, welche Leistungen von Schülern erbracht werden und welche von einer KI? „Wir brauchen schnell eine völlig neue Unterrichts- und Prüfungskultur an den Schulen, um dieser Herausforderung gewachsen zu sein“, sagt Gefert. Dass Hamburg davon noch weit entfernt sei, zeigten die „rückwärtsgewandten Bildungspläne“, die Schulsenator Ties Rabe (SPD) vorgelegt hatte. Diese berücksichtigten Herausforderungen durch ChatGPT oder ähnliche digitale Tools für die Gestaltung des Unterricht allgemein und von Leistungsüberprüfungen im Besonderen überhaupt nicht.

Der Hamburger Lehrer Micha Busch, Koordinator für digitale Medien an der Stadtteilschule am Heidberg in Langenhorn, erprobt ChatGPT bei der Vorbereitung von Schulunterricht und Lehrerfortbildungen. „Es ist ein sehr faszinierendes Werkzeug“, sagt er. Für Schülerinnen und Schüler könne ChatGPT als „virtueller Tutor“ fungieren, ihnen Anregungen liefern, sie bei ihrer Kreativität unterstützen. Unabdingbar sei allerdings, dass Mädchen und Jungen lernten, die Antworten der KI kritisch zu hinterfragen und Faktenbehauptungen zu überprüfen. Ihnen müsse bewusst sein: „ChatGPT kann einen Text erzeugen, der überwiegend klug ist, in dem aber auch Quatsch drinsteht, der überzeugend wirkt“, sagt Busch. Lehrer dürften natürlich auch nicht darauf vertrauen, dass der Chatbot immer richtig liegt. „Ich sehe ChatGPT und andere KI-Plattformen als virtuelle Assistenten, die mir bestimmte Aufgaben abnehmen“, sagt Micha Busch. Die Ergebnisse kontrolliere er mit Fachwissen und Quellenkompetenz.

"Unterricht kann durch Chat GPT ungemein bereichert werden"

Christian Gefert hebt ebenfalls hervor, dass auch Hoffnungen mit dem Chatbot verbunden seinen. „Der Unterricht kann durch ChatGPT ungemein bereichert werden“, sagt der Gymnasiallehrer. „Es wäre doch etwa großartig, wenn sich Schülerinnen und Schüler der 5. Klassen zukünftig mit Hilfe einer KI wissenschaftliche Texte in eine altersgemäße Sprache übersetzen lassen könnten oder wenn Schülerinnen und Schüler der Oberstufe sich mithilfe solcher digitalen Tools schnell einen Überblick über den wissenschaftlichen Forschungsstand zu einem Thema verschaffen könnten, indem sie einer KI lediglich die relevanten Quellen nennen.“

An den öffentlichen Schulen in New York ist ChatGPT derzeit wegen möglicher negativer Auswirkungen auf das Lernen von Schülern verboten. „Das ist der falsche Weg“, sagt Fobizz-Gründerin Diana Knodel. Eine zunehmende Nutzung des Chatbots und weiterer KI-Plattformen lasse sich nicht aufhalten. „Man muss die Lehrkräfte schulen – und die Schüler müssen die Chancen und die Risiken kennen.“

Die Schulbehörde erklärte auf Anfrage, erste Gespräche zeigten, dass Hamburger Schülerinnen und Schüler gerade an den weiterführenden Schulen ChatGPT bereits kennen und „offensichtlich auch schon einsetzen“. Die Auswirkungen auf den Unterricht und die Notengebung seien „nicht zu unterschätzen“. Die Schulbehörde nehme dieses Thema „sehr ernst“ und werde es zur nächsten Kultusministerkonferenz als dringlich anmelden. „Es ist wichtig, einen rechtssicheren Umgang mit diesem Thema zu entwickeln. Das kann Hamburg allerdings nicht im Alleingang tun, sondern es braucht eine tragfähige Regelung für alle Bundesländer.“

Zudem habe die Behörde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die „zügig die Einsatzmöglichkeiten und -grenzen des Programmes sowie die möglichen Konsequenzen für Unterricht und Leistungsbewertung erörtern wird“. Gespräche mit den Schulleitungen seien in den kommenden Wochen geplant. Für Lehrkräfte habe es schon ein Fortbildungsangebot gegeben.