Hamburg. Für Unterricht und Hausaufgaben seien noch keine neuen Regelungen nötig, sagt die Schulbehörde – und erntet Widerspruch.
Beeindruckend, beängstigend oder beides? Die Veröffentlichung des Dialogsystems ChatGPT im November 2022 hat weltweit für Diskussionen gesorgt, was diese Form der künstlichen Intelligenz (KI) für das Lehren und Lernen und die Arbeitswelt bedeutet. Hamburgs Schulbehörde erklärt, in jedem Fall sei „zu erwarten, dass KI Schule enorm verändern wird“, wobei das eigentlich jetzt schon passiere. Die Meinungen gehen allerdings auseinander, ob Schulsenator Ties Rabe (SPD) und seine Behörde diesen Prozess gut begleiten und mitsteuern.
Es brauche rasch einen „auf die schulische Praxis abgestimmten, rechtssicheren Umgang mit diesem Thema für die ganze Stadt“, hatte Christian Gefert, Vorsitzender der Vereinigung der Leitungen Hamburger Gymnasien (VLHGS), im Januar gefordert. Nötig sei „schnell eine völlig neue Unterrichts- und Prüfungskultur an den Schulen, um dieser Herausforderung gewachsen zu sein“, sagte Gefert damals dem Abendblatt. Die Schulbehörde erklärte, die Auswirkungen auf den Unterricht und die Notengebung seien „nicht zu unterschätzen“. Man nehme das Thema „sehr ernst“ und werde es zur nächsten Kultusministerkonferenz als dringlich anmelden.
Schulbehörde: Zurzeit keine zusätzlichen Regeln wegen ChatGPT nötig
Heute, vier Monate später, gibt es allerdings immer noch keine verbindlichen Regeln zur Leistungsbewertung von Hausaufgaben, Referaten und Prüfungen an Hamburgs Schulen. Das begründet Behördensprecher Peter Albrecht so: „Auch jetzt schon muss sich jede Lehrkraft davon überzeugen, ob eine Leistung tatsächlich von dem Schüler oder der Schülerin erbracht wurde, zum Beispiel in Form von geeigneten inhaltlichen Nachfragen oder Transferleistungen.“ Das gelte zum Beispiel für Hausarbeiten oder Referate und selbst bei Präsentationsprüfungen des Abiturs. „Daher braucht es zurzeit keine zusätzlichen Regelungen“, sagt Albrecht.
„Schnellschüsse sind angesichts der sehr schnellen Entwicklungen im Bereich KI nicht sinnvoll.“ Es gehe jetzt darum, „Erfahrungen mit KI und den darauf basierenden Tools zu sammeln und die weiteren Entwicklungen zu beobachten“. Zudem prüfe die Schulbehörde „fortlaufend, welche Maßnahmen auf allen Ebenen des Bildungsmanagements notwendig sind, um diesen Entwicklungen angemessen Rechnung zu tragen“, sagt Albrecht. „So sehen etwa die neuen Bildungspläne – anders als die alten Bildungspläne – erstmals den reflektierten Umgang mit KI im Unterricht vor.“
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Christian Gefert: Bildungspläne müssen grundlegend überarbeitet werden
Beobachten, prüfen, reflektieren? Christian Gefert geht das nicht weit genug. Er fordert, dass die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen sowie die Bildungspläne „grundlegend überarbeitet“ werden. „In Schulen müssen zukünftig etwa stärker Lernentwicklungen von Schülerinnen und Schülern und weniger punktuelle Leistungsmessungen bei der Benotung berücksichtigt werden“, sagt Gefert. Denn es werde immer weniger nachvollziehbar sein, ob die Lösung einer Aufgabe von Schülern oder von einer KI stammt. „Überhaupt stellt sich die Frage völlig neu, was wir zukünftig im Unterricht noch bewerten können und was nicht – das betrifft auch das Thema Hausaufgaben.“
Außerdem dürfe der Erfolg in der Schule in der Zukunft nicht davon abhängig werden, ob Schüler Zugang zu KI-Software haben, die Eltern bezahlen können, oder nicht, sagt Gefert. Er spielt darauf an, dass die im November veröffentlichte ChatGPT-Version 3.5 kostenlos nutzbar ist, wohingegen die US-Entwicklerfirma Open AI für die Nutzung ihrer jüngst vorgestellten, verbesserten Version ChatGPT 4 derzeit 20 US-Dollar pro Monat verlangt. Künftig könnten auch andere KI-Dienste zumindest teilweise kostenpflichtig sein.
Elternkammer: Schüler müssen gerecht bewertet werden
Gefert sagt: „Diese grundlegenden Themen, die ein neues Verständnis des Leistungsbegriffs und die Bildungsgerechtigkeit in unserer Stadt betreffen, scheinen noch nicht im ausreichenden Maß bei den Verantwortlichen in der Behörde für Schule und Berufsbildung angekommen zu sein.“ Im Gegenteil: Die „rückwärtsgewandten Bildungspläne“ legten es Hamburger Lehrkräften derzeit bestenfalls an der einen oder anderen Stelle nahe, über die Dimensionen von KI nachzudenken. „Was es jedoch bedeutet, den Unterricht mit einer KI angemessen zu gestalten, zeigen die neuen Bildungspläne für Hamburg leider nicht auf.“
Ähnlich sieht das Nicole Zeidler, Vorstandsmitglied der Hamburger Elternkammer. Abzuwarten, wie sich KI auf den Schulunterricht auswirke, und zunächst keine verbindlichen Regeln für die Leistungsbewertung festzulegen, das halte die Elternkammer für problematisch, sagt Zeidler. „Es ist wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler sich darauf verlassen können, gerecht bewertet zu werden“, sagt sie. Es sei doch ein Unterschied, ob Schüler sich etwa zur Vorbereitung eines Referats in der Bibliothek schlau machten oder sich den Vortrag von ChatGPT schreiben ließen. Die Sorge vor Schnellschüssen hält Zeidler nur bedingt für begründet. „Alles, was man jetzt an Regeln vorgibt, ist ja nicht auf ewig festgelegt, sondern kann nach einiger Zeit bewertet und dann auch wieder geändert werden“, sagt sie.
Gewerkschaft: mehr Austausch zwischen Behörde, Wissenschaftlern und Schulen
Verständnis für die Haltung der Schulbehörde in Sachen Leistungsbewertung äußert Bodo Haß, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Hamburg. Angesichts der Dynamik, mit der sich KI-Dialogsysteme wie ChatGPT entwickelten, sei es „ganz schwierig, grundsätzliche Regeln festzulegen“, sagt Haß.
Davon abgesehen müsste die Behörde mehr tun mit Blick auf die zu erwartenden Umwälzungen des Unterrichts. „Es braucht einen großen Austausch zwischen Behörde, Wissenschaftlern und Lehrkräften an Hamburgs Schulen, welche Auswirkungen ChatGPT hat.“ Die bisherigen Angebote für Lehrende seien „nicht ausreichend, um der Größe des Themas gerecht zu werden“, sagt Haß. Auch Nicole Zeidler von der Elternkammer ist der Meinung, es müsse von der Schulbehörde „deutlich mehr Unterstützung kommen“, die über Fortbildungen am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) hinausgehe.
KI-Fortbildungen für mehr als 1000 Hamburger Lehrkräfte
Seit der Veröffentlichung von ChatGPT habe das LI 20 Fortbildungen für mehr als 1000 Hamburger Lehrerinnen und Lehrer zum Thema KI durchgeführt, sagt Britta Kölling von der neu eingerichteten „Kompetenzstelle KI“. Das Landesinstitut komme auf Wunsch auch an Schulen mit auf die jeweiligen Bedarfe zugeschnittenen KI-Fortbildungen. Zudem sei ein Termin mit der Elternkammer vereinbart, sagt Britta Kölling.
Nach den Veranstaltungen frage das LI die Interessen und Bedarfe der Teilnehmenden ab – als Grundlage für weitere Fortbildungen. Auf der Internetseite https://li.hamburg.de/ki finden Lehrkräfte einen Ende Februar veröffentlichten „Fachbrief“, in dem das Landesinstitut über „KI im Allgemeinen und ChatGPT im Speziellen“ informiert, wie es darin heißt, und einen „ersten Einblick in die Bedeutung von KI für Unterricht und Schule“ gibt. Unter dem Fachbrief lassen sich sogenannte „Taskcards“ aufrufen, die alle künftigen Fortbildungen des Landesinstituts auflisten.
Fachtagung für Hamburgs Schulleitungen im Center für künstliche Intelligenz (Aric)
Für Hamburgs Schulleitungen hat die Schulbehörde außerdem eine Fachtagung zum Thema „KI in Schule und Gesellschaft“ am 24. Mai im Hamburger Center für künstliche Intelligenz (Aric) organisiert. Dort könnten sich die Lehrkräfte mit Experten, innovativen Unternehmen und anderen Schulen zu KI austauschen und vernetzen. Diese werde dazu beitragen, „die nächsten Schritte zu gehen, um das Thema Künstliche Intelligenz in Ihrer Schule zukunftsweisend zu gestalten“, schreibt Landesschulrat Thorsten Altenburg-Hack.
Berlin hat im April zumindest schon eine „Handreichung“ für seine Schulen zum Umgang mit KI veröffentlicht, Bayern stellte einen „Orientierungsrahmen“. Britta Kölling sagt, das LI arbeitete mit der Hamburger Schulbehörde gerade an einer Handreichung für die Schulen der Hansestadt.
Künstliche Intelligenz: Hamburger Firma bietet Erprobung im virtuellen Klassenraum an
Unterdessen hat die Hamburger Firma Fobizz, nach eigenen Angaben Deutschlands größte Weiterbildungsplattform für Lehrerinnen und Lehrer, einen virtuellen Klassenraum, entwickelt, in dem Lehrer mit ihren Schülern kostenlos KI-Werkzeuge ausprobieren können, die auf ChatGPT 3.5 basieren, wie Fobizz-Gründerin Diana Knodel sagt. Dazu brauchen die Lehrer einen Fobizz-Zugang; sie laden die Schüler dann ein. Dabei laufe alles anonym ab, die Namen der Schüler müssten nicht angegeben werden, alle produzierten Inhalte sollten nach 24 Stunden gelöscht werden.