Hamburg. Mitarbeiterin unter Verdacht. Ermittlungen um möglichen Millionenbetrug mit Krebsmitteln: Senat muss Akten und E-Mails offenlegen.

Fast vier Jahre nach einer der größten Razzien der Hamburger Staatsanwaltschaft überhaupt gibt es neue Bewegung im Fall um möglichen Abrechnungsbetrug und illegale Zusammenarbeit bei hochpreisigen Krebsmitteln (Zytostatika). Allerdings kommt der Impuls nicht von der Anklagebehörde, die seit Jahren Dokumente und Datenträger aus dieser Razzia vom 17. Dezember 2019 auswertet.

Bislang gibt es weder eine Anklage noch eine Einstellung des Verfahrens. In einem ungewöhnlichen gemeinsamen Schritt verlangen jetzt die Fraktionen von CDU und Linken in der Bürgerschaft sowie die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein Aufklärung vom Senat über den brisanten Fall. Der Antrag liegt dem Abendblatt vor.

Betrug mithilfe der Hamburger Gesundheitsbehörde? „Das wäre ein Skandal“

Denn die Hamburger Gesundheitsbehörde soll die unter Verdacht stehende Alanta Health Group beim Kauf der Praxisklinik Mümmelmannsberg unterstützt haben. Erst diese Übernahme hat es Alanta ermöglicht, sich an Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) zu beteiligen. Und mit der potenziellen Zusammenarbeit zwischen Krebsmittelhersteller Alanta (über die Firma Zytoservice) und Ärzten, die diese Arzneien für Patientinnen und Patienten verschreiben, kam der Verdacht auf, das Konstrukt könne illegal sein.

Pharma-Firmen oder Apotheker dürfen im Prinzip nicht an Praxen beteiligt sein, um auszuschließen, dass sie auf die Ärzte Druck ausüben, bestimmte Präparate zu verschreiben. So könnten sie sich zulasten der Krankenkassen (und der Konkurrenten) einen erheblichen wirtschaftlichen Vorteil verschaffen.

Betrug in Millionenhöhe? Hamburger Senat muss Akten und E-Mails offenlegen

Bei Alanta vermutete die Staatsanwaltschaft nach Hinweisen einen Abrechnungsbetrug in Millionenhöhe sowie Bestechung und durchsuchte mit 480 Polizisten 2019 den Firmensitz an der Alster sowie zahlreiche weitere Objekte. Ein Lastwagen musste her, um die beschlagnahmten Unterlagen und Datenträger abzutransportieren.

Die Opposition in der Bürgerschaft argwöhnt, dass die Gesundheitsbehörde Alanta geholfen hat, die kleine Klinik zu erwerben. Eine Mitarbeiterin soll Alanta auch Formulierungshilfen bei Anträgen gegeben haben, um das Haus im Hamburger Krankenhausplan zu halten. „Es wird berichtet, dass Behördenmitarbeitende Anträge für die alanta health group textlich und zum Teil inhaltlich überarbeitet und teilweise komplett neu formuliert haben“, heißt es in dem fraktionsübergreifenden Antrag. Er fordert, dass nun Akten, Verträge und E-Mails zwischen der Gesundheitsbehörde und Alanta offengelegt werden. Senatorin war damals Cornelia Prüfer-Storcks (SPD).

Alanta organisierte das Impfzentrum in den Messehallen mit

Auf Abendblatt-Anfrage hatte die Sozialbehörde von Melanie Schlotzhauer (SPD) zuletzt darauf verwiesen, zu laufenden Verfahren nichts sagen zu können. Die Oppositionspolitiker beziehen sich nun auf einen „Stern“-Bericht, in dem von einer Unterstützung der Behörde für Alanta die Rede ist. Das Abendblatt hatte bei der Eröffnung des Corona-Impfzentrums in den Messehallen berichtet, dass es kritische Stimmen gab, die auf das laufende Verfahren gegen Alanta hinwiesen.

Der Linken-Gesundheitspolitiker Deniz Celik hatte sich verwundert gezeigt, dass Alanta gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und den Online Marketing Rockstars (OMR) das Impfzentrum managte. Alanta brachte seine Pharma-Expertise für das Vorbereiten der Impfungen ein und stellte den organisatorischen Leiter in den Messehallen. Die Sozialbehörde hatte die KV beauftragt, das Impfzentrum aufzubauen und wusste, dass Alanta mit im Boot sein würde. Allerdings, so damals die Begründung, gelte auch bei Alanta die Unschuldsvermutung.

„Senat hat Fragen nur ausweichend beantwortet“

Dass das Unternehmen in illegale Machenschaften verstrickt ist wie beispielsweise ein verurteilter Hamburger Apotheker in einem möglicherweise ähnlich gelagerten Fall, ist nicht bewiesen. Anders als bei dem überführten Apotheker, der seine faktische Beteiligung an einer Arztpraxis über einen Strohmann verschleiert hat, lagen bei Alanta die Beteiligungen und die Firmenstruktur offen. Auch deshalb ist die Firma davon überzeugt, die Vorwürfe entkräften zu können.

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Die Opposition dringt auf Aufklärung. Die vergangenen parlamentarischen Anfragen dazu seien „nur ausweichend beantwortet“ worden. In den letzten Drucksachen habe der Senat erklärt, eine Beantwortung der Fragen käme einer Aktenvorlage gleich. Deshalb könne man nicht antworten. Jetzt steht in dem gemeinsamen Oppositionsantrag: „Dies nehmen wir zum Anlass, nun auch tatsächlich die Vorlage der Akten zu beantragen, um die im Raum stehenden Vorwürfe gegen die Gesundheitsbehörde zu klären.“ Das kann die Opposition laut Artikel 30 der Hamburgischen Verfassung mit 20 Prozent der Stimmen in der Bürgerschaft verlangen.

Linken-Gesundheitspolitiker Celik sagte dem Abendblatt: „Die Vorwürfe gegen die Gesundheitsbehörde wiegen schwer. Die Vorstellung, dass sich die Behörde mit den Interessen eines Pharmaunternehmens gemein macht, gegen das wegen Betrugsverdachts mit Krebsmedikamenten ermittelt wird, ist unerträglich.“ Er forderte Aufklärung über einen politischen Einfluss beim Verkauf der Stadtteilklinik. „Eine mögliche Verstrickung des Senats wäre ein ungeheuerlicher Skandal.“