Hamburg. Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt weiter gegen Pharma-Firma. Verzögern Encrochat und Drogen-Prozesse Anklage gegen AOK-Vorstand?

Wenn in der Nähe der Außenalster Polizisten ein Haus durchsuchen, weckt das naturgemäß mehr als nur die Neugier von Nachbarn und Spaziergängern. Doch diese Razzia ist beispiellos. Sie wird als eine der größten überhaupt in die Geschichte der Hamburger Staatsanwaltschaft eingehen. So kommunizierte es die Behörde auch. 17. Dezember 2019: Rund 480 Beamte sind insgesamt im Einsatz, sechs Staatsanwälte, Experten der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit. 58 Durchsuchungsbeschlüsse werden hier und in weiteren Objekten im Hamburger Stadtgebiet und anderen Bundesländern vollstreckt.

Ein Lkw wurde benötigt zum Abtransport der am Ende rund 1000 Kartons mit Akten, PCs, Handys und sonstigem Material. Reichlich Stoff an möglichen Beweisen für schwere Vorwürfe, die im Raum stehen: Bestechung, Abrechnungsbetrug, bandenmäßige Wirtschaftskriminalität vom Feinsten. Dabei geht es unter anderem um Zytostatika, also speziell für Patientinnen und Patienten hergestellte Krebsmittel.

Razzia wegen Abrechnungsbetrugs in Hamburg

Doch was ist nach drei Jahren geblieben von dieser beeindruckenden Leistungsschau der Hamburger Strafverfolger? „Es wird weiter ermittelt“, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft in diesen Tagen dem Abendblatt. Heißt: Weder sind die Verfahren eingestellt worden noch gibt es eine Anklage. Die von der früheren Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) einst versprochene schnelle Aufklärung bei mutmaßlichem Fehlverhalten im Gesundheitswesen lahmt. Oder geben die Funde nicht den erwarteten Skandal her?

Zugegeben: Jeder der 1000 Kartons muss ausgekippt, sein Inhalt auf Beweise untersucht werden – oder auf Entlastendes. Ursprünglich waren drei Apotheker, neun Ärzte und zwei Manager unter Verdacht, über ein Firmengeflecht unrechtmäßig zusammengearbeitet zu haben.

Warum Apotheker keine Arztpraxen besitzen dürfen

Im Mittelpunkt steht die Alanta Health Group, unter deren Unternehmensdach Pharma-Firmen, Arzneispezialisten, Medizinische Versorgungszentren (MVZ) und ein Krankenhaus arbeiten. Hier argwöhnen die Ermittler illegale Praktiken. Apotheker dürfen keine MVZ besitzen – denn sonst könnten Sie ja beispielsweise die Mitarbeiter beeinflussen, nur bei ihnen die teuren, individuellen Krebsarzneien zu bestellen.

Alanta hält seine Firmenstruktur für rechtmäßig. In der letzten Bilanz des Konzerns heißt es: „In Deutschland gibt es heute über 3800 MVZ in unterschiedlichen medizinischen Disziplinen und verschiedener Trägerschaft. Alle MVZ der Alanta-Gruppe sind nach Auffassung der Geschäftsführung und ihrer Rechtsberater gemäß der gesetzlich vorgegebenen Genehmigungsverfahren bestandskräftig zugelassen worden, weswegen auch das Geschäftsmodell der Alanta-Gruppe nach unserer Auffassung und der unserer Rechtsberater in vollständigem Einklang mit geltenden Gesetzen steht.“

Abrechnungsskandal wegen eines Strohmann-Konstrukts

Die zahlreichen Tochtergesellschaften und Beteiligungen sind im Handelsregister im Detail aufgelistet. Brauchte es eine Razzia, um die Verästelungen des Konzerns offenzulegen? Dieser Fall liegt nach Einschätzung von Beobachtern gänzlich anders als der eines Großapothekers, der zu einer Haftstrafe verurteilt worden war. Er war verwickelt in einen Abrechnungsskandal, in dem das Gericht am Ende eine Strohmann-Konstruktion sah. Dort kontrollierte faktisch der Apotheker ein Medizinisches Versorgungszentrum. Zwei Ärzte, die auf dem Papier im MVZ Verantwortung trugen, waren von ihm abhängig. Das war illegal, stellte am Ende sogar der Bundesgerichtshof fest.

Wo vergleichbare Praktiken bei Alanta vermutet werden, wird vorerst das Amtsgeheimnis der Staatsanwaltschaft bleiben. Das Unternehmen selbst preiste die jahrelange Ungewissheit bereits mehrfach in seine Bilanz ein. Unter „Risiken“ heißt es zu dem juristischen Schwebezustand: „Ob sich aus dem Verfahren, das überwiegend sozialrechtliche Vorwürfe beinhaltet, am Ende Geldbußen oder sonstige Konsequenzen für den Konzern ergeben, unterliegt zum aktuellen Zeitpunkt Einschätzungsrisiken und kann noch nicht abschließend bewertet werden.“

Alanta organisierte das Hamburger Impfzentrum mit

Dass die Ermittlungen sich so lange hinziehen – das belastet Mitarbeiter und Partner. Alanta ist ein „Big Player“ auf dem Pharma-Markt. Von der Öffentlichkeit kaum beachtet, wuchs der Hersteller von Krebsmedikamenten dank Zukäufen und steigender Nachfrage auf einen Umsatz von mehr als 500 Millionen Euro mit mehr als 800 Mitarbeitern.

Passgenaue Infusionen und eine Verzahnung von Onkologen und Apothekern sorgen dafür, dass Krebspatienten in Deutschland heute häufiger erfolgreich behandelt werden können. Hamburg ist eine Hochburg für diese Spezialisten. Als der Senat Experten für das Handling der Impfstoffe im Impfzentrum in den Messehallen suchte, war Alanta die erste Wahl. Für den Senat war das kein Problem. Schließlich gilt die Unschuldsvermutung.

Gesundheitswesen: Staatsanwälte blicken kaum noch durch

Für die Staatsanwälte ist der Durchblick im Gesundheitswesen in den vergangenen Jahren nicht klarer geworden. Links haben sie das Strafgesetzbuch liegen, rechts das Sozialgesetzbuch – und immer die neuesten Entscheidungen des Bundesgerichtshofes im Blick. In einem weiteren spektakulären Fall haben sie nach jahrelangen Ermittlungen eine Anklage auf die Beine gestellt. Bloß hat das Landgericht diese Anklage nach mehr als einem Jahr noch gar nicht angenommen.

Wie ein Gerichtssprecher dem Abendblatt bestätigte, liege die Anklage gegen mehrere Vorstände der AOK Rheinland/Hamburg noch im Aktenberg. Ihnen wird vorgeworfen, sich durch nachträgliche Änderungen an Codierungen von Krankheiten bei Versicherten einen größeren finanziellen Anteil aus dem Gesundheitsfonds aller gesetzlichen Krankenversicherungen gesichert zu haben, als ihnen zustand. Die AOK weist diese Vorwürfe zurück.

AOK-Anklage stockt – wegen Encrochat?

Die Krankenkasse erklärte: Wenn Ärzte nachträglich die Diagnosen korrigieren, gebe man das weiter. „Werden von den Ärztinnen und Ärzten nachträglich gemeldete Diagnosen nicht in die Abrechnung einbezogen, benachteiligt dies systematisch Krankenkassen mit vielen leistungsintensiven Versicherten. Im Ergebnis bezahlen diese Krankenkassen die Ausgaben für plausibilisierte Leistungen, bekommen aber die adäquaten Zuweisungen nicht.“ Von einem Fehlverhalten könne keine Rede sein.

Die Staatsanwaltschaft sieht das offenbar anders. Ihre Anklage muss aber noch eine Warteschleife drehen, weil das Gericht überlastet ist mit sogenannten „Haftsachen“. Dabei geht es häufig um Kokain-Schmuggler, die dank der enthüllten Encrochat-Protokolle festgenommen wurden und denen der Prozess gemacht werden muss. Zwei Beschuldigte in dem AOK-Verfahren sind inzwischen in Rente. Ihre Anwälte haben ohnehin beim Gericht Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Anklage hinterlegt. Vermutlich gibt es das nur in Hamburg: dass der internationale Drogenhandel so eng mit der Allgemeinen Ortskrankenkasse zusammenhängt.