Hamburg. Laut Kaufmännischer Krankenkasse (KKH) gibt es auch in Hamburg viele Fälle. Vor allem ein Bereich treibt die Zahlen in die Höhe.

Die Sache mit dem Taxi war recht einfach: Genau ein Versicherter der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) war betroffen, eine Beförderungsfirma – ein klarer Fall für die Ermittler. Denn der Taxiunternehmer hatte bei der KKH Fahrten mit dem Versicherten abgerechnet, die nie stattgefunden hatten. Der Schaden belief sich auf 7500 Euro, was eine erkleckliche Summe für einen mutmaßlich „kleinen Fisch“ ist. Den Betrüger angezeigt hatte der Versicherte selbst.

So simpel ist die Beweislage selten, wenn die gesetzlichen Krankenkassen betrügerischen Pflegediensten, Ärzten und anderen „Leistungserbringern“ im Gesundheitswesen auf die Schliche kommen wollen. Die bundesweit tätige KKH hat – wie zum Beispiel auch die Techniker Krankenkasse – eine eigene Abteilung für Abrechnungsbetrug.

Abrechnungsbetrug: Erschüttertes Vertrauen in Gesundheitssystem

Deren Leiterin Dina Michels sprach am Dienstag davon, dass sie und ihr Team im vergangenen Jahr den bislang größten Schaden entdeckt hätten. Vor allem ambulante Pflegedienste (70 Prozent der Gesamtsumme) hätten dazu beigetragen, dass der Rekordwert 4,7 Millionen Euro an Schaden durch Abrechnungsbetrügereien betrage. Rechnet man diese Summe auf alle gesetzlich Versicherten hoch, wären es rund 213 Millionen. Das Dunkelfeld bei Betrug im Gesundheitswesen dürfte jedoch erheblich größer sein.

Chefermittlerin Michels sagte, das Gros der Schadenssumme sei auf die Erfolge der Staatsanwaltschaft im Raum Augsburg zurückzuführen. Dort hätten Ermittlungen gegen mehrere Pflegedienste zur Aufdeckung von Betrugs­fällen geführt. „Es sind zwar immer nur einige wenige schwarze Schafe, die kriminell agieren. Doch diese bereichern sich an Geldern, die den Versicherten für die Vorsorge und die Behandlung von Krankheiten vorbehalten sind“, sagte Michels. „Solche Betrüger erschüttern mit ihren Machenschaften das Vertrauen in das komplette Gesundheitssystem und bringen darüber hinaus die ehr­lichen Leistungserbringer ihres je­weiligen Berufsstandes in Verruf.“

Betrugsfälle in ganz Deutschland aufgedeckt

Beispiele aus dem Bundesgebiet hatte die KKH zuhauf. In Hamburg hat eine Firma Menschen angerufen und vorgegeben, das im Auftrag der Pflegekassen zu tun. So sollten illegal Verträge über Hilfsmittel abgeschlossen werden. In Schleswig-Holstein hat eine Allgemeinärztin Leistungen abgerechnet, die ein Weiter­bildungsassistent erbracht hat. In Niedersachsen standen Pflegedienste im Verdacht, einzelne Leistungen abgerechnet, aber nie erbracht zu haben. In einem Fall ging es um das Anziehen von Kompressionsstrümpfen.

Der gravierendste Fall ist der einer Apotheke aus Sachsen. Sie soll bei speziell zubereiteten Krebsmedikamenten (Zytostatika) gepanscht haben. Michels sagte, die Ermittlungen liefen noch, möglicherweise noch Jahre. Aber man habe nicht für möglich gehalten, dass es hier einen weiteren Fall gebe. Vor Jahren war ein Apotheker aus Bottrop (Nordrhein-Westfalen aufgeflogen, der zahllose Infusionsbeutel für Krebspatienten nicht vollständig oder gar nicht mit dem versprochenen – und teuren – Medikamenten-Cocktail gefüllt hatte. Der Mann wurde zu zwölf Jahren Haft verurteilt, der Schaden auf mehr als 13,6 Millionen Euro beziffert.

Hamburger tricksen bei Corona-Soforthilfen

Solche Fälle von Abrechnungsbetrug, bei denen Patienten mutmaßlich zu Schaden kommen, sind sehr selten. So ist zwar auch in Hamburg in einem Prozess ein Apotheker in Komplizenschaft mit zwei Ärzten verurteilt worden. Die korrekte Medizin ist aber offenbar abgegeben worden.

Die KKH verwies auch auf Betrügereien im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und nannte Hamburg als Beispiel für Fälle von unberechtigt erhaltenen Corona-Soforthilfen in Millionen-höhe. Doch hatte vor allem das kurzzeitig geöffnete Impfzentrum am Hauptbahnhof, dessen Praktiken das Abendblatt enthüllt hatte, Impfkandidaten in Angst versetzt. Dort arbeitete ein Arzt, gegen den die Staatsanwaltschaft noch immer wegen des Verdachts der Körperverletzung ermittelt. Die Impfstoffe sollen nicht richtig gekühlt worden, die Hygiene mangelhaft gewesen sein.

Dass die Staatsanwaltschaft nach sechs Monaten noch keine Anklage gegen den früher bereits wegen Betruges verurteilten Arzt Tammo B. erhoben hat, ärgert vor allem Impfärzte selbst. Aber dieser Zeitraum erscheint winzig im Vergleich mit der vielleicht größten Razzia, die die Hamburger Staatsanwaltschaft je wegen Abrechnungsbetrugs im Gesundheitswesen auf die Beine gestellt hat. Ende 2019 wurden die Geschäftsräume der Alanta Health Group mithilfe von 480 Polizisten und mehreren Staatsanwälten durchsucht. Vorbereitet wurde die Aktion, nachdem es den Verdacht gab, das Unternehmen für Pharma-Produkte arbeite illegal mit Ärzten zusammen.

Aus den rund 1000 Kartons an Material wird auch zweieinhalb Jahre nach der spektakulären Durchsuchung noch gearbeitet. Wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft sagte, werde die „Auswertung der Beweismittel“ noch Zeit brauchen. Ob es zu einer Anklage kommt oder die Ermittlungen eingestellt werden, ist offen. Für die Beschuldigten ist dieser Schwebezustand belastend. Sie sehen sich zu Unrecht verdächtigt.