Hamburg/Bonn. Prozess gegen früheren Warburg-Chef Christian Olearius hat begonnen. Es geht um 280 Millionen Euro – und auch um Olaf Scholz.

Christian Olearius galt als Inbegriff des honorigen hanseatischen Kaufmanns: wirtschaftlich erfolgreich, gut vernetzt, politisch und sozial engagiert. Mittlerweile verbindet sich sein Name mit dem wohl größten Steuerskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte. Durch illegale Cum-ex-Geschäfte soll der Fiskus ab Mitte der Nullerjahre um Milliarden Euro geprellt worden sein. Welche Rolle Olearius, langjähriger Chef und persönlich haftenden Gesellschafter der Hamburger Warburg-Bank dabei spielte, wird nun vor dem Landgericht Bonn geklärt.

Drei Stunden dauert es am Montagvormittag, bis die Staatsanwälte Stephanie Kerkering und David Pagenkemper abwechselnd die Anklagepunkte gegen den 81-jährigen Hamburger verlesen haben. Die Anklageschrift ist 371 Seiten stark. Und sie wirft Olearius 14 Fälle begangener oder versuchter schwerer Steuerhinterziehung zwischen 2006 und Ende 2019 vor. Der entstandene Steuerschaden soll knapp 280 Millionen Euro betragen, so die Ankläger von der Kölner Staatsanwaltschaft. Olearius hat die Vorwürfe stets zurückgewiesen.

Cum-ex-Geschäfte: Prozess gegen Christian Olearius von Hamburger Warburg-Bank

Die Staatsanwaltschaft sieht den Hamburger als eine treibende Kraft hinter den illegalen Geschäften. Als langjähriger Chef der Hamburger Warburg-Bank soll Olearius maßgeblich daran beteiligt gewesen sein, so der Anklagevorwurf, sich „detailliert“ mit Cum-ex-Strategien befasst und entsprechende Geschäfte auch initiiert und abgesegnet haben. Insbesondere soll er für die Unterzeichnung von Steuererklärungen, die zur Rückerstattung nicht gezahlter Kapitalertragssteuern führten, zuständig gewesen sein.

Olearius sei einer der Initiatoren gewesen. „Der Angeklagte war darüber informiert und steuerte maßgeblich“, sagt Staatsanwältin Kerkering. Er sei in Krisensituationen eingebunden gewesen, um Risiken abzuwenden, und ihm sei bekannt gewesen, dass das Cum-Ex-Geschäftsmodell auf der Anrechnung beziehungsweise Erstattung von Steuern beruhte, die gar nicht gezahlt worden waren: „Ihm war bewusst, dass es sich um unzutreffende Angaben handelte.“

Die Staatsanwältin betont, dass das Geschäftsmodell „auf der betrügerischen Erlangung von Steuergeldern basiert“. Bedenken eines Fachmanns zur Rechtmäßigkeit im Jahr 2010 blieben bei Olearius der Anklage zufolge ohne Reaktion – er habe zugelassen, dass Bedenken vom Tisch gewischt worden seien und es weitergegangen sei.

Was ist Cum-Ex? Steuerbetrug in Milliardenhöhe durch Abzocke

Hinter dem Cum-ex-Skandal steht das womöglich umfassendste System der Steuerhinterziehung in der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Der Staat wurde um Milliarden geprellt. Bei dem Steuerbetrug schoben verschiedene Finanzakteure Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividendenanspruch hin und her.

Ziel dieses Verwirrspiels war, dass der Fiskus Steuern erstattete, die gar nicht gezahlt worden waren. Die Hochphase dieser Geschäftspraxis lag in den Jahren 2006 bis 2011. Der Staat wurde um Milliarden geprellt. Lange war unklar, ob das nur dreiste Abzocke unter Ausnutzung einer Gesetzeslücke oder ob es von Anfang an eine Straftat war. Dass es Letzteres war, entschied der Bundesgerichtshof 2021.

Name von Olaf Scholz taucht 27-mal in Cum-ex-Anklageschrift auf

Seine Brisanz erhält dieser spezielle Fall durch die Verbindung zur Politik. Olearius hatte sich 2016 mehrfach mit dem damaligen Hamburger Bürgermeister und heutigen Kanzler Olaf Scholz (SPD) getroffen, um eine Rückforderung der Steuerersparnisse zu verhindern. Scholz bestreitet eine Einflussnahme. In der Anklage gegen Olearius wird Scholz als Zeuge 27-mal erwähnt.

Olearius soll versucht haben, mit falschen Angaben eine Steuernachzahlung zu verhindern – und sich eben zu diesem Zweck mehrfach an Scholz gewandt. Scholz hat persönliche Treffen mit dem Warburg-Banker bestätigt, sagte jedoch, er habe keine konkrete Erinnerung mehr an den Inhalt der Gespräche. Er habe zu keiner Zeit Einfluss auf das Verfahren geübt, betonte der Bundeskanzler immer wieder.

Olaf Scholz bei Prozess um Warburg-Banker in Cum-ex-Skandal wieder Thema

Dennoch sind die Wertungen der Kölner Ankläger für Scholz unangenehm: Olearius habe damals versucht, abseits des vorgeschriebenen Verfahrens rechtswidrige Steuererstattungen in dreistelliger Mil­lionenhöhe zu behalten. Die Gespräche mit Scholz hätten Druck auf die Finanzbehörde erzeugen sollen, sind die Ankläger überzeugt. Es sei Olearius darum gegangen, Geld vor dem Fiskus zu retten. Die Inhalte dieser Gespräche versucht seit geraumer Zeit ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft zu ergründen.

Olearius selbst sieht sich von anderen Finanzakteuren getäuscht. Er habe dem Staat nie schaden wollen. Seine Anwälte, darunter der Ex-Politiker Peter Gauweiler, kündigten an, sich am Mittwoch vor Gericht zu den Vorwürfen einzulassen.

„Bundeskanzler Scholz sitzt symbolisch mit auf der Anklagebank“

Auch der ehemalige Linken-Politiker und Cum-ex-Aufklärer Fabio de Masi sitzt an diesem Montag im Bonner Verhandlungssaal. Schon im Vorfeld nannte er den Prozess „wichtig für den wehrhaften Rechtsstaat. Der Bundeskanzler sitzt mit Herrn Olearius symbolisch mit auf der Anklagebank.“ De Masi, ehemaliger Bundestagsabgeordneter, der im September 2022 aus der Linkspartei austrat, fordert, dass auch Scholz vor Gericht angehört wird. Er ist überzeugt: „Alle Beteiligten wussten, dass Cum-Ex kriminell ist.“ Zwei Ex-Warburg-Führungskräfte erhielten wegen Cum-Ex mehrjährige Haftstrafen.

„Cum-ex-Geschäfte sind schwerste organisierte Kriminalität. Diese Wirtschaftsstraftaten setzen illegale Absprachen zwischen den beteiligten Akteuren voraus und erfolgten somit nicht aus Unkenntnis“, erklärte de Masi. „Die komplexen Transaktionen erzeugen ohne den Griff in die Staatskasse Verluste. Der Bundesgerichtshof hat daher unmissverständlich festgestellt, dass eine Gesetzeslücke nie existierte. Die Beantragung von Erstattungen der Kapitalertragssteuer, die nie gezahlt wurden, war bereits dem Wesen nach Betrug.“

Cum-ex-Geschäfte: Bisher kein Beleg für Einflussnahme von Scholz

„Herr Olearius sollte Einsicht und Reue zeigen“, empfahl de Masi. Auch wenn es im Prozess in Bonn nicht unmittelbar um die politische Dimension des Cum-ex-Skandals geht, ist es in seinen Augen „relevant, dass Herr Olearius Einfluss auf Politiker wie Olaf Scholz und Johannes Kahrs nahm. Denn daran wird deutlich, dass den Bankiers und der Politik bewusst war, dass auf legalem Behördenweg für die Bank nichts mehr zu erreichen war“.

Dem Untersuchungsausschuss ist es allerdings bisher nicht gelungen, einen Beleg für eine Intervention von Scholz zu erbringen. Bisher halten weder die Richter noch die Staatsanwaltschaft es für erforderlich, dass er als Zeuge im Olearius-Prozess auftritt.

Olearius gehört zum „Who is Who des größten Steuerbetrugs der Bundesrepublik“

Als die Staatsanwälte am Montag die Anklage verlesen, fallen die Namen der zentrale beteiligten Finanzakteure, darunter den bereits zu zwei Haftstrafen verurteilten Steueranwalt und „Mister Cum-Ex“ Hanno Berger. Aus Sicht der Staatsanwälte reiht sich Olearius nahtlos ein in das „Who is Who“ des größten Steuerbetrugs der Bundesrepublik.

Der galt lange als Vorzeige-Hamburger. 1986 hatte Max Warburg den Juristen aus dem Vorstand der Norddeutschen Landesbank an die Spitze der Privatbank M.M. Warburg geholt, eine Hamburger Institution seit Jahrhunderten. Unter der Leitung von Olearius wuchs das Bankhaus, das das Geld vieler vermögender Hamburger verwaltet, kontinuierlich. Zur wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte kam politisches Engagement: Er verhandelte auf Bitten des damaligen Bürgermeisters Henning Voscherau (SPD) ab 1988 für die Stadt den Kauf von 41.000 Wohnungen aus dem gescheiterten Unternehmen Neue Heimat; er rettete das Hamburger Stahlwerk; er sammelte Spenden für den Bau der Elbphilharmonie und schmiedete 2009 das Investoren-Konsortium „Albert Ballin“ zur Rettung der Reederei Hapag-Lloyd.

Cum-ex-Geschäfte: Warburg-Banker drohen bis zu zehn Jahre Haft

Olearius nutzte damals seine Kontakte in die Politik und spannte der Bonner Anklageschrift zufolge den SPD-Politiker Johannes Kahrs und den ehemaligen Hamburger Innensenator Alfons Pawelczyk für seine Zwecke ein. Bei den Treffen mit Scholz. „ging es darum, akut drohende Steuerrückzahlungsbescheide mit Druck auf Entscheidungsträger zu verhindern“, sagte Staatsanwalt Pagenkemper. „Er suchte mehrfach das direkte Gespräch mit Scholz, was zum Aufbau politschen Drucks in der Finanzbehörde führen sollte.“ In einem Schreiben, das er Scholz übergab, habe Olearius falsche Angaben gemacht, um den tatsächlichen Sachverhalt zu verschleiern.

Nun drohen ihm im Falle einer Verurteilung bis zu zehn Jahre Gefängnis, auch wenn sämtliche Gutschriften aus Cum-ex-Geschäften zurückgezahlt wurden. Weil es sich um ein Strafverfahren handelt, muss der Angeklagte den gesamten Prozess über vor Ort sein. Bislang sind insgesamt 28 Verhandlungstage terminiert – vorerst bis zum 22. März 2024.