Hamburg. Im Hamburger Untersuchungsausschuss zur Cum-Ex-Affäre offenbart der Kanzler wenig Neues. Die Opposition glaubt ihm nicht.
Der schwere Lederstuhl vorn rechts, ausgerechnet. Mehr als sieben Jahre war dieser Ort auf der Senatsbank im Plenarsaal der Hamburgischen Bürgerschaft der „Stammplatz“ von Olaf Scholz als Erster Bürgermeister. Bevor er 2011 seinen Senat ernannte, saß der Sozialdemokrat mal ganz allein dort, sehr demonstrativ. „König Olaf“ nannten ihn einige Medien wegen seiner Machtfülle.
Heute ist das anders. Seit der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) zur Cum-Ex-Affäre um die Warburg-Bank in diesem Saal tagt, müssen auf dem Stuhl vorn rechts die Zeugen Platz nehmen. An diesem Freitag heißt der Zeuge Olaf Scholz. Es ist eine Rückkehr, auf die der heutige Bundeskanzler sicher gern verzichtet hätte – auch wenn er gleich nach seiner Ankunft um 14.02 Uhr grienend betont, wie sehr er sich freue, mal wieder in Hamburg zu sein und auf diesem Stuhl Platz nehmen zu dürfen.
Cum-Ex-Affäre: E-Mail-Postfächer von Scholz durchleuchtet
Vor 15 Monaten, damals noch als Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat, hatte er dem PUA schon einmal Rede und Antwort gestanden und sich dabei weitgehend auf Erinnerungslücken berufen. Wie zuvor schon bei Befragungen im Bundestag. Wirklich abgekauft hat ihm kaum jemand, dass ausgerechnet dieser detailversessene Politprofi sich an gleich drei Treffen in den Jahren 2016 und 2017, bei denen einflussreiche Bankiers ihn als Bürgermeister in einer äußerst brisanten Angelegenheit aufgesucht hatten, überhaupt nicht erinnert. Das verfolgt und belastet ihn bis heute.
Doch seitdem ist noch einiges hinzugekommen. Es gab Durchsuchungen in Hamburg. Die E-Mail-Postfächer von Scholz und Peter Tschentscher, seinem damaligen Finanzsenator und Nachfolger als Bürgermeister, wurden von Ermittlern durchleuchtet, diese stutzten über eine E-Mail seiner Büroleiterin, die Informationen für den Untersuchungsausschuss vorab „einsortieren“ wollte. Und sie fanden mehr als 200.000 Euro in einem Schließfach von Johannes Kahrs – jenem damaligen SPD-Bundestagsabgeordneten, der zusammen mit dem Ex-Innensenator Alfons Pawelczyk (SPD) die Termine für die Bankiers bei Scholz eingefädelt hatte.
Cum-Ex-Affäre: Scholz liest vorbereitetes Statement vor
Wie würde der Kanzler darauf reagieren? Um es kurz zu machen: wie bisher. Knapp 25 Minuten liest Scholz mit leiser Stimme ein Statement vor, das weitgehend dem vom April 2021 entspricht. Er brandmarkt Steuerhinterziehung als „schwere Straftaten“, gegen die er immer „einen hartnäckigen Kampf“ geführt habe, und betont sofort: „Ich habe auf das Steuerverfahren Warburg keinen Einfluss genommen.“ Überhaupt habe es „keine Beeinflussung des Steuerverfahrens durch die Politik gegeben“.
Als Zeuge lobt er die Arbeit des Ausschusses: Durch sie sei deutlich geworden, dass die „Mutmaßungen und Unterstellungen“, die seit zwei Jahren in der Welt seien, „jeglicher Grundlage entbehren“. Aktiv spricht er die drei Treffen im Hamburger Rathaus an, an die er aber „keine Erinnerung“ habe. Sicher ist er sich aber, dass es „keine Vorzugsbehandlung von Herrn Olearius und Herrn Warburg“ gegeben habe. Dies betreffe auch andere Bankiers, die er ebenfalls regelmäßig getroffen habe.
Cum-Ex-Affäre: Scholz verweist auf Tagebücher
Dann geht Scholz doch noch etwas in die Offensive und verweist auf die umfangreiche Berichterstattung über die Olearius-Tagebücher: „Da war nichts. Es findet sich nicht der kleinste Hinweis, dass ich Zusagen gemacht habe.“ Länglich zitiert er aus Zeitungsberichten über entlastende Zeugenaussagen. Dass der zunächst zuständige Kölner Oberstaatsanwalt – anders als seine Nachfolgerin – „völlig d’accord“ mit dem Vorgehen der Hamburger Finanzverwaltung gewesen sei. Dass der Hansestadt kein finanzieller Schaden entstanden sei, weil Warburg nach einem Gerichtsurteil alle Forderungen beglichen habe. Dass diverse Zeugen ausgesagt hätten, sie seien nicht beeinflusst worden. Er hege, so Scholz abschließend, daher „die leise Hoffnung, dass diese Mutmaßungen und Unterstellungen langsam aufhören“.
Das dürfte ein frommer Wunsch bleiben. In der anschließenden Befragung piesacken ihn die Abgeordneten der Opposition, in Teilen auch jene der in Hamburg mitregierenden Grünen, mit Nachfragen und spitzen Bemerkungen zu den alten und neu bekannt gewordenen Vorwürfen. Allerdings gelingt es ihnen kaum, den Kanzler in Bedrängnis zu bringen. Scholz bleibt stoisch bei seiner Linie, dass er sich an die Treffen und Vorgänge nicht erinnere und bügelt damit auch viele Nachfragen ab.
Cum-Ex-Affäre: Scholz kritisiert Seelmaecker
Mitunter wird es daher kiebig. „Schlicht unglaubwürdig“ sei es doch, dass der Kanzler überhaupt keine Erinnerung mehr an die Treffen habe, kritisiert Richard Seelmaecker (CDU). Als dieser kurz darauf eine Frage etwas umständlich vorträgt, kanzelt Scholz den Juristen ab, dass „nicht mal ein Referendar“ damit durchkommen würde.
„Ihre Art der Nichterinnerung ist eine Quelle für Spekulationen“, stellt Norbert Hackbusch (Linke) fest. Er versucht, Scholz mit der Sitzung des Bundestagsfinanzausschusses im Juli 2020 zu konfrontieren, in der dieser doch eine vage Erinnerung an ein Treffen mit den Warburg-Chefs offenbart haben soll. Doch der Arbeitsstab des Untersuchungsausschusses bremst ihn mit dem Hinweis aus, dass das Protokoll dieser Sitzung „Verschlusssache sei“ und nur der Bundestag das ändern könne. Ohnehin sagt Scholz auch dazu, „konkret“ erinnere er sich nicht.
Cum-Ex-Affäre: Befragung hat Unterhaltungswert
Mitunter hat die Befragung Unterhaltungswert. So fragt Götz Wiese (CDU), ob Scholz die Aussage des früheren Hamburger Finanzsenators Wolfgang Peiner (CDU) teile, dass die Verwaltung nicht mehr frei entscheiden könne, wenn sie wisse, dass die Politik eingebunden ist. Das lasse sich „so nicht erhärten“, befindet Scholz. „Warum nicht?“, hakt Wiese nach. Dazu müsse er sich nicht äußern, so der Kanzler. Wiese: „Ich bitte Sie darum.“ Scholz: „Ich will nicht.“ So geht das über Stunden – ohne dass die Abgeordneten viel Neues erfahren.
Der Ausschuss untersucht, warum die Finanzbehörden im Jahr 2016 darauf verzichtet hatten, rund 47 Millionen Euro an erstatteten Steuern von Warburg zurückzufordern, und ob die Politik darauf Einfluss genommen hat. Im Fokus steht zudem ein zweiter Fall: Im Jahr 2017 wollte die Hamburger Steuerverwaltung eine weitere Forderung gegen Warburg über 43 Millionen Euro verjähren lassen und wehrte sich zunächst sogar gegen eine Anweisung des Bundesfinanzministeriums, das Geld einzuziehen – gab dann aber nach.
Cum-Ex-Affäre: Bankier schickte Schreiben an Tschentscher
Für den Kanzler ist der Vorgang besonders brisant, weil er in dem betreffenden Zeitraum den beiden damaligen Hauptgesellschaftern der Bank, Christian Olearius und Max Warburg, drei Mal einen Termin im Rathaus gewährt hatte. Beim zweiten Treffen übergab ihm Olearius ein Schreiben mit der Sichtweise der Bank. Einige Tage später rief Scholz den Bankier an und riet ihm, das Papier an den Finanzsenator zu schicken.
So geschah es: Tschentscher gab das Schreiben, versehen mit der „Bitte um Informationen zum Sachstand“, an die Steuerverwaltung weiter – diese kleine handschriftliche Bemerkung wertet die Opposition als politische Einflussnahme und fordert daher den Rücktritt des heutigen Bürgermeisters. Auch Tschentscher bestreitet, Einfluss auf die Verfahren genommen zu haben.
Cum-Ex-Affäre: Finanzamt ließ Forderung verjähren
Wiederum einige Tage später entschieden Finanzamt und -behörde gemeinsam, die Forderung verjähren zu lassen. Kurz darauf soll eine beteiligte Beamtin einer Kollegin eine Whatsapp-Nachricht geschickt haben: Ihr „teuflischer Plan“ sei aufgegangen. Weitere Brisanz hat der Vorgang, weil 2017 aus dem Umfeld der Bank gut 45.000 Euro an Spenden bei der Hamburger SPD eingingen – davon der Löwenanteil beim von Kahrs geführten SPD-Kreisverband Hamburg-Mitte.
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Am Mittwoch will die Bürgerschaft auf Betreiben von CDU und Linkspartei den Untersuchungsausschuss auf die Cum-Ex-Geschäfte der früheren HSH Nordbank ausweiten. Damit dürfte klar sein, dass Olaf Scholz ein weiteres Mal auf dem Lederstuhl im Rathaus Platz nehmen darf.