Hamburg. NRW-Beamte übergaben dem Untersuchungsausschuss die Datenträger. Auch ein Laptop könnte Hinweise liefern.

Das Treffen im eher unscheinbaren Raum A des Rathauses hatte den Hauch des Geheimnisvollen. Dort, wohin sich sonst Senatsmitglieder und Abgeordnete zu vertraulichen Gesprächen zurückziehen können, fand am Mittwochnachmittag eine brisante Zusammenkunft statt, während direkt nebenan die Bürgerschaftssitzung im Plenarsaal lief. Vier leitende Beamte aus dem nordrhein-westfälischen Justizministerium waren nach Hamburg gekommen, um mit den fünf Obleuten des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) zur Cum-Ex-Affäre und dessen Vorsitzenden Mathias Petersen (SPD) zu sprechen.

Ein Jahr lang hatte sich der PUA bemüht, wichtige Akten aus den Ermittlungsverfahren in der Cum-Ex-Affäre von der bundesweit federführenden Staatsanwaltschaft Köln zu bekommen – vergeblich. Die Hamburger waren drauf und dran, die Geduld zu verlieren. Zuletzt hatte Richard Seelmaecker, CDU-Obmann im Ausschuss, öffentlich mit einer Klage auf Herausgabe des Materials gegen das für Köln zuständige Justizministerium in Düsseldorf gedroht und damit Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) unter Druck gesetzt.

Cum-Ex Hamburg: NRW-Justizministerium erkennbar um Wiedergutmachung bemüht

Auslöser für die Kehrtwende in Nordrhein-Westfalen war nun offensichtlich der „Rücktritt“ des Kölner Leitenden Oberstaatsanwalts Joachim Roth. Der 63 Jahre alte Jurist, der sich zum 31. Juli in den vorzeitigen Ruhestand verabschiedet, hatte sich wegen Datenschutz- und Geheimschutzbedenken stets gegen die Herausgabe der Akten gewehrt. Roth machte den Weg frei, und Justizminister Limbach wies die Kölner Behörde an, den Wünschen der Hamburger zu entsprechen.

Dass sich vier leitende Beamte aus einem Landesministerium mit Abgeordneten des Parlaments eines anderen Bundeslandes treffen, ist im föderalen System Deutschlands ein ausgesprochen ungewöhnlicher Vorgang. Das Düsseldorfer Quartett war augenscheinlich um Wiedergutmachung des entstandenen Vertrauensverlustes bemüht. Gleich mehrfach baten die Beamten um Entschuldigung für die lange Verzögerung und wiesen in Richtung Köln als Ursache der Blockade.

Beamte brachten zwei USB-Sticks mit elf Gigabyte Aktenmaterial mit

Die Düsseldorfer betonten bei Kaltgetränken in Raum A so eindringlich die Bereitschaft zu vollständiger Kooperation und Transparenz, dass die PUA-Obleute geradezu verblüfft waren. Und die Beamten kamen nicht mit leeren Händen. Wie eine Geste des guten Willens wirkte es, dass sie den Obleuten zwei USB-Sticks mit insgesamt elf Gigabyte Material überreichten.

Darauf sind, so jedenfalls die Hoffnung, Dokumente zum aktuellen Ermittlungsstand in den Cum-Ex-Verfahren gegen die Warburg-Bank sowie den früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs, den früheren Innensenator Alfons Pawelczyk (SPD) sowie die Hamburger Finanzbeamtin Daniela P.

Das Kölner Material kann nun tatsächlich zum Kern des PUA führen und Erkenntnislücken füllen. Der Ausschuss untersucht, warum die Hamburger Finanzbehörden 2016 darauf verzichtet hatten, rund 47 Millionen Euro an Steuern von der Warburg-Bank zurückzufordern – obwohl das Finanzamt für Großunternehmen das zunächst vorhatte. Warburg-Mitinhaber Christian Olearius hatte sich angesichts der drohenden Rückforderung an Kahrs, der damals noch im Bundestag saß, und Pawelczyk gewandt – so schildert er es in seinen Tagebüchern, die die Staatsanwaltschaft beschlagnahmt hatte.

45.000 Euro an Spenden flossen aus dem Umfeld der Warburg-Bank an die SPD

Demnach kam es im Herbst 2016 zu Treffen der Warburg-Inhaber mit dem damaligen Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) – möglicherweise auf Vermittlung von Kahrs und Pawelczyk. Kurz darauf entschieden Finanzamt und Finanzbehörde gemeinsam, die Steuern nicht zurückzufordern. Später wurde diese Entscheidung korrigiert. 2017 gingen dann 45.500 Euro an Spenden aus dem Umfeld der Bank bei der Hamburger SPD ein – mit 38.000 Euro der Löwenanteil beim damals von Kahrs geführten SPD-Kreisverband Hamburg-Mitte.

Scholz und der damalige Finanzsenator und heutige Erste Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) bestreiten jede Einflussnahme auf die Entscheidungen der Finanzämter im Fall Warburg-Bank. Kahrs und Pawelczyk schweigen mit Blick auf die gegen sie bei der Kölner Staatsanwaltschaft laufenden Ermittlungsverfahren.

Seelmaecker (CDU): „Es gibt erdrückende Indizien, aber noch keinen Beweis“

„Es gibt erdrückende Indizien, die dafür sprechen, dass es eine politische Einflussnahme gegeben hat, auch wenn wir bislang keine smoking gun, also keinen unmittelbaren Beweis, gefunden haben“, sagt CDU-Obmann Seelmaecker, der es für möglich hält, dass das Kölner Material die Wende bringt und die „smoking gun“ gefunden wird. Seelmaecker erhofft sich aus dem Material auch Erkenntnisse über Art und Umfang der Lobbytätigkeit von Kahrs und Pawelczyk für die Warburg-Bank.

„Es stimmt, wir haben viele Indizien, die gegen Olaf Scholz’ und Peter Tschentschers Aussagen sprechen, aber keine Beweise“, sagt Linken-Obmann Norbert Hackbusch, der aber skeptischer ist als Seelmaecker. „Ich erwarte nicht, dass sehr viel Neues auf den USB-Sticks ist“, dämpfte SPD-Obmann Milan Pein, Parteifreund von Scholz und Tschentscher, die Erwartungen.

PUA-Vorsitzender Petersen rechnet nicht mit brisanten neuen Erkenntnissen

„Wir wissen nicht, was auf den Sticks ist. Es können Sachen sein, die wir schon kennen, und Sachen, die wir nicht kennen“, sagt der PUA-Vorsitzende Mathias Petersen und fügt hinzu: „Sehr viel Brisantes erwarten wir nicht.“ Der SPD-Mann sehr pragmatisch: Bislang sei alles Wichtige aus den Kölner Akten an die Medien durchgestochen worden. Da sei es unwahrscheinlich, dass es in diesem Fall anders sein solle. Laut Petersen wird der PUA-Arbeitsstab das Material sichten und für die Abgeordneten eine Übersicht erstellen.

Außerdem wiesen die Düsseldorfer Emissäre im Rathaus darauf hin, dass es auch noch umfangreiches Aktenmaterial zu den Ermittlungsverfahren gebe, die im Zusammenhang mit der früheren HSH Nordbank stehen. Die Bank hatte sich ebenfalls an Cum-Ex-Deals beteiligt, allerdings die Machenschaften bereits 2013 eingeräumt und die Kanzlei Clifford Chance mit der Untersuchung beauftragt. Nachdem die Hamburger Staatsanwaltschaft keinen Anlass für strafrechtliche Ermittlungen sah, übernahmen die Kölner Kollegen den Fall 2019. Bei einer Razzia hatte die Behörde im Grunde das komplette Bank-Archiv mitgenommen.

Sichtung von 100.000 Aktenkartons gleicht Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen

Die Düsseldorfer Beamten berichteten nun am Mittwoch von rund 100.000 (!) Umzugskartons, in denen die HSH-Akten lagerten. Angeblich soll das Papierkonvolut in der Nähe Hamburgs gelagert werden. Immerhin: Eine grobe Übersicht über das Aktenmaterial bekamen die PUA-Abgeordneten schon. Die Düsseldorfer sollen zudem die Anregung gegeben haben, der PUA könne eine externe Ermittlungsperson mit der Sichtung des buchstäblich endlosen Materials beauftragen, was der sprichwörtlichen Stecknadel im Heuhaufen gleichkommt.

Der Bundestag hatte zum Beispiel beim PUA zu den NSU-Morden einen Sonderermittler eingesetzt, der unter anderen die Erkenntnislage zu den Mordfällen in den Ländern erkunden sollte. „Wir müssen in einem ersten Schritt klären, ob es eine juristische Grundlage für einen Sonderermittler gibt, und in einem zweiten Schritt brauchen wir ein besseres Akteninhaltsverzeichnis“, sagt der Grünen-Obmann Farid Müller.

Einsetzung eines Sonderermittlers für die HSH-Nordbank-Akten ist umstritten

Doch beim Koalitionspartner der Grünen gibt es für die Einsetzung eines externen Akten-Durchleuchters wenig Bereitschaft. „Ein Sonderermittler wird es nicht sein. Das sieht unser PUA-Gesetz anders als das entsprechende Bundesgesetz nicht vor“, sagt SPD-Obmann Pein. Dafür gebe es in Hamburg regelhaft bei jedem PUA einen Arbeitsstab.

„Wonach suchen wir eigentlich bei den Akten der HSH Nordbank? Wir müssen erst einmal sehen, welche Vorschläge die Opposition dazu hat“, sagt der PUA-Vorsitzende Petersen. Die Erweiterung des PUA-Auftrages über den Warburg-Komplex hinaus auf die HSH Nordbank war lange sehr umstritten. Vor knapp einem Jahr hatten die Abgeordneten jedoch einen entsprechenden Beschluss gefasst. Vertreter von Rot-Grün hatten in dem Wunsch der Opposition vor allem den Versuch gesehen, die Arbeit des PUA bis nahe an die Bürgerschaftswahlen Anfang 2025 auszudehnen.

Linken-Obmann Hackbusch: „Wir wollen uns nicht mit Akten zuschütten“

„Ich hoffe, dass wir im September mit dem Zwischenbericht zu den bisherigen Verhandlungen fertig sind, danach geht es mit dem HSH-Thema weiter“, sagt Petersen. Auch der PUA-Vorsitzende sieht die Einsetzung eines Sonderermittlers als unnötig an: „Wenn es erforderlich ist, können auch ein oder zwei Mitarbeiter des Arbeitsstabs nach Köln fahren.“

Angesichts der Fülle des HSH-Materials dürften die Ermittler bei der Razzia praktisch das gesamte Bankarchiv mitgenommen haben. Das würde den kompletten Schriftwechsel zwischen der Bank und ihren Kunden einschließen.

„Das meiste davon wird uns gar nicht interessieren. Wir wollen uns auch nicht zuschütten mit Akten und dürfen kein bürokratisches Monster schaffen“, warnt Linken-Obmann Hackbusch. Es gehe schlicht darum zu kontrollieren, inwieweit die Finanzbehörde anders gehandelt habe als im Fall der Warburg-Bank.

Cum-Ex: Kölner Staatsanwaltschaft hat Laptop von Ex-SPD-Politiker Johannes Kahrs

Auch Seelmaecker verspricht sich augenscheinlich nicht allzu viel von den HSH-Nordbank-Akten und spricht sogar von einer „Nebelkerze“, die von wichtigeren Vorgängen ablenken solle. Der CDU-Obmann richtet sein Augenmerk längst auf die Asservate, die die Kölner Staatsanwaltschaft zudem noch in ihren Beständen hat. Da ist zum Beispiel der Laptop von Ex-SPD-Politiker Johannes Kahrs. Aus dem E-Mail-Verkehr auf dessen Festplatte ließen sich unter Umständen weitere Details zu seinen Aktivitäten rund um die Warburg-Bank rekonstruieren.

„Einige sind ganz gierig darauf, den Laptop zu bekommen“, sagt Milan Pein, der nicht davon ausgeht, dass dort neues Material zum Fall Warburg zu finden ist. Vielleicht gehe es ja auch darum, bei dem schillernden Ex-Politiker Kahrs Skandalöses und die SPD Belastendes zu finden, das gar nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem PUA-Auftrag steht. Schließlich sei bald Wahlkampf.

Doch ob den PUA-Abgeordneten ungehinderte Einsicht in alle privaten E-Mails von Kahrs überhaupt zusteht oder unter Geheimschutz fällt, was nicht vom PUA-Auftrag gedeckt ist, ist unklar. Seelmaecker meint ja, Petersen bezweifelt das. Der nächste Streit im Ausschuss ist programmiert.