Hamburg. Dave Stewart, Shaggy und Max Giesinger begeisterten 10.000 Fans in der Barclays Arena. Für einen Moment glaubten sie sich in Wacken.
- Seit 30 Jahren singen bei der „Night of The Proms“ Popstars mit klassischer Orchesterbegleitung
- Bereits 40 Shows der Reihe waren in der Hamburger Barclays Arena zu erleben.
- Dieses Jahr spielten Eurythmics, Max Giesinger, Louis Philippson, Cutting Crew, Shaggy und Starship mit dem Antwerp Philharmonic Orchestra.
Die zweite Dezemberhälfte beginnt und damit die Zeit der traditionellen Jahresabschlusskonzerte in Hamburg, von Torfrock in der Sporthalle bis zu Mambo Kurt im Logo. Und natürlich die „Night of the Proms“ am Freitag und Sonnabend in der fast ausverkauften Barclays Arena. Da gibt es immer das ganz große Tamtam mit vielen Stars, Orchester und Chor, Pophits und zeitlose Klassikmelodien im schnellen Wechsel.
Seit 30 Jahren touren die „Proms“ durch Deutschland, und allein in Hamburg gab es seit 2002 bislang 40 Shows, wie Moderator Stefan Frech vorrechnet. Nicht wenige der gut 10.000 Besucherinnen und Besucher im Saal sind im Prinzip Dauerkartenbesitzer, traditionell kaufen sie die Tickets für das nächste Jahr gleich nach Konzertende an extra aufgebauten Kartenverkaufsständen.
„Night of the Proms“: 10.000 Fans tanzen Walzer in der Barclays Arena
Und dieses Jahr dürften die wenigsten die Investition bereuen, denn das Programm ist so abwechslungsreich wie prominent besetzt, es wird in vielerlei Hinsicht mächtig aufgefahren. Schon das Antwerp Philharmonic Orchestra und der Chor Fine Fleur sowie die Backbone Band in Rockbesetzung passen kaum auf die große Bühne, und die musikalische Leiterin Alexandra Arrieche wird eine Nackenmassage am Ende des dreistündigen Programms brauchen: Es gibt viel im Blick zu behalten.
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Aber schnell ist auch festzustellen, dass die „Night of the Proms“ unter dem Dirigat von Arrieche einiges an Dynamik dazugewonnen hat. Vor zehn Jahren etwa, als noch das Orchester Il Novecento unter Robert Groslot aufspielte, wurden die begleiteten Popstars wie Katie Melua oder Morten Harket noch ordentlich eingeseift. Das Antwerp Philharmonic Orchestra hingegen ist auf Zack, auch wenn nach der Ouvertüre ein Walzer-Medley im Revier von André Rieu wildert. Den Fans gefällt es, die haben sich gerade erst hingesetzt und springen schon wieder in die Gänge zwischen den Blöcken, um im Dreivierteltakt Pirouetten zu drehen.
Klassik trifft Pop: Nach Louis Philippson am Klavier übernimmt Cutting Crew
Sacken lassen kann man sich aber nur in die Sitze. Die Dramaturgie ist stets zügig, ein Griff in die Hit-Pralinenkiste. Jung-Pianist Louis Philippson, mit 21 Jahren bereits Social-Media-Phänomen, ZDF-„Toggo“-Moderator, Blogger und Entertainer, ist der Star von morgen, der im kommenden April den Kleinen Saal der Elbphilharmonie ausverkauft, aber bereits in der großen Arena mit Tschaikowsky, Beethoven-Neuinterpretationen und der Eigenkomposition „Supernova“ mitreißt.
Nick van Eede von Cutting Crew hingegen war eher gestern erfolgreich, wie er bei seinem Auftritt scherzt. Vor 20 Jahren war er bereits Gast bei den „Proms“ und versprach, bis zu seiner nächsten Einladung zwei weitere Welthits zu schreiben. Daraus wurde nichts, aber dem Publikum reichen auch die 40 Jahre alten Hymnen „Died In Your Arms Tonight“ und „I‘ve Been In Love Before“, wilde Gitarrensolos und Orchesterpomp.
„Night of the Proms“ in der Barclays Arena: „Damit wären wir bereit für Wacken“
Mit Verdis „Dies Irae“ wird es sogar für Klassikverhältnisse richtig „hardcore“, wie Stefan Frech bilanziert, der als Moderator durch den Abend führt: „Damit wären wir bereit für Wacken.“ Das klingt jetzt ambitionierter, als es ist, denn auf der berühmten Metalwiese spielten bereits diverse Bands von Rage über Dimmu Borgir bis U.D.O. mit Orchesterbegleitung.
Der Hamburger Sänger Max Giesinger hingegen, der sich von der Mönckebergstraße in die Clubs und Hallen mit „80 Millionen“ Auftritten hochgearbeitet hat, muss sich noch an die riesige Truppe hinter ihm gewöhnen. Die erste Strophe von „Wenn sie tanzt“ hängt im Tempo hinterher, aber schnell fangen sich alle und der Saal nimmt Tanzen wie schon beim Walzer-Medley wörtlich. Giesinger setzt sich sogar kurz bei „Menschen“ an die Tasten, bevor der Flügel wieder im Bühnenboden versenkt wird. Ein geschickter Aufbau, den Mickey Thomas von den 80er-Helden Starship passend beschreibt: „We built this city on Rock and Roll.“
Barclays Arena: Erst „Fluch der Karibik“, dann Reggae mit Shaggy
Damit ist die erste Hälfte nach knapp 90 Minuten rum, schon jetzt ist die Ohrwurm- und Evergreen-Dichte enorm. Hans Zimmers Actionmotiv aus „Fluch der Karibik“ (als typisches, nicht totzukriegendes Filmmusik-Getröte und Einstiegshilfe in Orchestermusik schon ein Klischee) rüttelt an den in der Pause gekauften Popcorntüten. Der totale und doch karibische Kontrast zum Bombast ist „Boombastic“ danach: Jamaikas Reggae- und Dancehall-Star Shaggy ist nach 20 Jahren wieder bei den „Proms“ und lässt „Hey Sexy Lady“ zu pausbackigen Bläser-Fanfaren los.
Mit „Wilhelm Tell“ biegt das Antwerp Philharmonic Orchestra nach einem Duett von Max Giesinger und Nick van Eede auf die Zielgerade ein, und der Chor Fine Fleur stellt die Stimmen auf die Tonart „Engel“, denn die finalen Höhepunkte gehören Dave Stewart und seinen Eurythmics. Sängerin Annie Lennox begleitet ihn seit 2009 nur noch für ausgewählte Termine wie Benefizkonzerte, aber wie bereits im Juli im Stadtpark macht ihre australische Vertretung Vanessa Amorosi auch keine schlechte Figur am Mikro.
„Here Comes The Rain Again“, „There Must Be An Angel“ und zu guter Letzt natürlich „Sweet Dreams“ wünschen dem Publikum süße Träume nach der Heimfahrt. Vorher werden natürlich noch Karten für den 5. und 6. Dezember 2025 gekauft. Nach der letzten „Night of the Proms“ ist schließlich vor der nächsten „Night of the Proms“.
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