Hamburg. Event in Hamburg schüttelte die musikalische Welt von Klassik bis Pop beherzt durch. Warum das Publikum plötzlich zum Star wurde.

Gerade im Winter sind dekorative Schneekugeln wieder hoch im Kurs. Je doller die kleine Welt geschüttelt wird, desto zauberhafter umwirbeln unzählige Flocken die Landschaft. Im Falle der jährlichen Konzertsause Night of the Proms mengt sich in diesen magischen Mix zudem reichlich Glitzer.

Denn kaum ein Live-Event schüttelt die musikalische Welt von Klassik bis Pop derart beherzt und glamourös durch wie das seit 1985 tourende Vorweihnachtsspektakel. Die dreistündige Show in der Barclays Arena ist ein mit exzellentem Kitsch-Know-how inszeniertes Traditionshappening. Und weiß doch immer wieder zu überraschen.

Night of the Proms in Hamburg – überwältigender Wumms und Opulenz

Und damit ist keineswegs der Bahn-Streik gemeint, der am Freitag, dem ersten von zwei Proms-Abenden in Hamburg, für Verspätungen im Publikum sorgt. Die Gastgeber sind rücksichtsvoll und fangen eine Viertelstunde später an.

Die Ouvertüre macht Staus und umständliche Busverbindungen schnell vergessen. Die brasilianische Dirigentin Alexandra Arrieche, die im Proms-Kontext ehrenvoll „Maestra“ genannt wird, liefert gemeinsam mit dem Antwerp Philharmonic Orchestra genau das, weshalb die Menschen gekommen sind: überwältigenden Wumms und eskapistische Opulenz, die einen vom ersten Takt an aus dem Alltag hinauskatapultieren. Das Publikum: geschüttelt und gerührt.

Night of the Proms 2023: Cellist Nathan Chan sorgt für bejubelte Soli

Die Maestra ist seit Jahren Herz und Hingucker der Proms. Diesmal in schwarzer Korsage und mit weitem Rüschenrock, der später beim französischen „Can Can‟ noch schwungvoll zum Einsatz kommen wird. Kluge Leute wissen ja längst, dass sich wahres Können und Wow-Effekte nicht ausschließen. Es muss also nicht immer bierernst puristisch sein. Es darf gerne auch mal glühweinselig leuchten.

Night of the Proms in Hamburg – Publikum im Walzer-Rausch

Im munteren Schneekugeltreiben der Proms hat die dänische Sängerin Aura Dione das Thema Weihnachten mit Sternchen umgesetzt. Strahlenkranz auf dem Haar. Und ihr rot-goldenes Kleid läuft nach unten in einer Art Lametta aus. Ein singender, schwingender Christbaumschmuck. Dezenz ist Schwäche. Und Paillette ist Proms.

Diones eingängige Popsongs machen Laune. Sie besingt die Freiheit und die Freundschaft, läuft zu „Geronimo“ ins Publikum hinein, hängt sich impulsiv hinein in ihre Performance.

Während die letzten verbindenden TV-Lagerfeuer erloschen sind, sind die Proms ein Echt-Erlebnis für alle Generationen – auch wenn die Älteren doch in der Überzahl sind. Besonders zeigt sich der kollektive Proms-Spirit beim Walzer-Tanz. Das Publikum ist der Star, wenn Ehepaare, Freundinnen, Opa und Enkelin sowie Einzeltänzerinnen in Scheinwerferkegeln zwischen den Stuhlreihen kreisen. Ein einfaches Glück im Dreivierteltakt.

Barclays Arena: Proms-Chor Fine Fleur bietet zart fühlendes Highlight

Und von der Strauss‘schen Drehseligkeit geht’s direkt mitten hinein in die aktuelle Popkultur. Wie Moderator Stefan Frech zu Recht betont, ist der diesjährige Kinokassenknüller „Barbie“ vermeintlich leichte Kost, aber letztlich doch tiefgründig. Das zeigt sich unter anderem in dem Song „What was I made for?“ von Billie Eilish, den der Proms-Chor Fine Fleur an der Bühnenrampe kongenial anstimmt. Ein zart fühlendes Highlight.

Die Night of the Proms widmet sich dem Mainstream damals und heute. Alles schneit ineinander, bis alles bepuderzuckert ist. Der Brite James Morrison beglückt an der Akustikgitarre mit seelenvollem Gesang und Radiohits wie „You Give Me Something“.

Dann geht es kurz klatschend und johlend in die Welt des Moulin Rouge, bevor im fließenden Übergang die hiesigen Synthie-Pop-Ikonen Camouflage ins Rampenlicht treten. Sänger Marcus Meyn sieht in seinem grau-schwarzen Lässiglook an markanter schwarzer Brille so aus, als komme er gerade vom Dayjob als Architekt. Die alten Wave-Bewegungen hat er noch drauf und tanzt entspannt expressionistisch.

Night of the Proms: Sängerin Anastacia begeistert mit Popkrachern

Vor allem aber intoniert er gemeinsam mit Keyboarder und Sänger Heiko Maile die Hits „Love Is A Shield“ und „The Great Commandment“ mit sonorer Intensität. Das kommt vor allem mit Orchester richtig gut und ist ein famoser Vorgeschmack auf die Tour zum 40. Bandjubiläum im kommenden Jahr.

Von der Schnee- zur Discokugel wird die Arena mit dem Auftritt von Sängerin Anastacia. Bestens aufgelegt aktiviert sie mit Popkrachern wie „I‘m outta love“ den Tanzboden. Und mit einer englischen Interpretation von Udo Lindenbergs „Cello“ – begleitet von Nathan Chan – sorgt sie auch für extra lokalpatriotischen Budenzauber. Statt Nuschelrock gibt es bei ihr eine starke Volumenversion mit viel Soul und dunkel-rauchigem Schub.

Night of the Proms Hamburg: Finale mit den Rockern von Toto

Die Proms sind immer dann am tollsten, wenn die Sounds unerwartet durcheinander wehen. Etwa, wenn James Morrison eine locker-leichte Variante von Coolios „Gangsta‘s paradise“ klampft und rappt, während Chan dazu Cello spielt. Und von Dvořáks „Aus der neuen Welt“ mit Star-Wars-mäßig beleuchteten Geigenbögen laufen die Proms schließlich schnurstracks ins Finale ein – mit den Rockern von Toto. Beziehungsweise mit dem einzigen Originalmitglied Steve Luckather an Gitarre und Gesang.

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Das weiße Haar wild, um den Hals eine Peace-Kette. Die Insignien des Genres stimmen – bis hin zu den erzählerisch-exaltierten Gitarrensoli bei Überhits wie „Rosanna“. Stimmlich flankiert wird er von Joseph Williams, Sohn von niemand Geringerem als Filmkomponistenlegende John Williams.

Gekonnt transportiert der Junior den schwelgerischen Druck, den epische Nummern wie „Africa“ benötigen. Und zum Schluss singen alle Proms-Stars zusammen das schmissige „Hold The Line“. Im Publikum ein Schwofen und Schwelgen. Ein schönes Schütteln.