Hamburg. Eine Woche nach Sir John Eliot Gardiners umstrittenem Comeback dirigierte Christophe Rousset dessen Weihnachtsprogramm in der Elbphilharmonie.

Auch nach fast acht Jahren kann die Elbphilharmonie noch mit speziellen Premieren aufwarten: In diesem Konzert fehlten große An- und Abführungszeichen bei den Namen von Orchester und Chor. DIE English Baroque Soloists und DER Monteverdi Choir, seit Jahrzehnten weltberühmt herausragend, waren nur neun Monate nach ihrem letzten Auftritt wieder da? Fast. Sehr fast.

Gerade mal sechs Orchestermitglieder und ein Chorist aus der jetzigen Besetzung hatten beim Konzert im März mitgewirkt – alle anderen waren neu in die zwei traditionsreichen Alte-Musik-Markenartikel einbestellt und eingemeindet worden. Nur 7 aus 49, diese Trefferquote ist eine Runde Lotto spielen mit der Frage, ob man genau die bekommt, die auf der Eintrittskarte stehen und ob es dann auch noch genau so klingt. Alle anderen waren dem Ensemble-Gründer Sir John Eliot Gardiner ins Exil gefolgt, der vor einigen Monaten vom Management gegangen worden war, nachdem er 2023 einen Sänger geschlagen hatte. Komplizierte Vorgeschichte, das alles, und es wurde noch verworrener: Genau eine Woche vor diesem Scheinauftritt hatte Gardiner das nahezu identische Programm mit „seiner“ Ensemble-Neuerfindung bereits in der Elbphilharmonie dirigiert, weil es ja noch „sein“ Konzept war. Jetzt, in der Rückrunde, stand der Franzose Christophe Rousset als Gardiners Nachfolger dort auf dem Podest.

Und machte sehr vieles sehr anders.

Gardiner vs. Rousset: barocker Schlagabtausch in der Elbphilharmonie

Das fing schon damit an, dass Rousset das weihnachtliche Sortiment aus Charpentier und Bach leicht umdekoriert hatte. Die überschaubar anspruchsvolle, aber sehr wirkungsvolle Heilige-Nacht-„Messe de minuit“ umrahmte er mit einigen orchestrierten Weihnachtsmelodien aus jener Zeit, ebenfalls aus Charpentiers Werkstatt. Die zwei kirchenkalendarisch passenden Bach-Kantaten („Schwingt freudig euch empor“ und „Unser Mund sei voll Lachens“) wurden zum Spätbarock-Block nach der Pause gebündelt, anstatt wie bei Gardiner lobpreisender Anbeginn- und Ausklang mit Goldkante sein zu sollen.

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Weitaus größere eigene Akzente setzte Rousset allerdings durch die Art und Weise des Umgangs mit dem Material. Wo der Brite Gardiner sehr klar und sehr durchhörbar vor allem Bachs Musik buchstäblich offenlegte und lehrbuchhaft ins Konkrete auffächerte, setzte der Franzose Rousset von Anfang an auf sanfte Überwältigung, auf Charme und Eleganz. Grob vereinfacht: auf Herz statt Hirn. Auch wenn keines der Stücke nur ansatzweise für weltliches Musiktheater gedacht oder geschrieben war, mit anderem Text und anderer Bedeutung hätte Roussets genießerischer, dramatisch angespitzter Barock-Stil gut zur einen oder anderen Oper von Rameau oder Händel gepasst.

Dieses Konzert war eine fundierte zweite Meinung

Die Musik blieb nie auf der Stelle stehen, um ihre Nachricht gottesfürchtig zu deklamieren, sie tänzelte lieber, flirtete fast mit dem Publikum, war weicher gefedert, sinnlicher, opulenter. Das sorgte einerseits für eine andere Art des Ankommens in ihrer Ästhetik, andererseits aber gingen dabei viele Details in diesem größeren Bausch und Bogen verloren. Was per se nichts Schlechtes oder stilistisch Verkehrtes sein muss. Wertfrei bilanziert, zieht man das Hauen und Stänkern im Vorfeld dieses unschönen Dirigentenduells ab: eine fundierte zweite Meinung. Nie verkehrt in der Kunstbetrachtung.

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Und natürlich, denn Rousset hat sich als Gründer seines „Les Talens Lyriques“-Spezialisten-Ensembles längst einen guten Namen erdirigiert, hatte auch er neben dem handverlesenen Instrumentalpersonal hochklassige Vokalsolistinnen und -solisten zu bieten, die sich für ihre Arien und Rezitative kurz aus dem Chor-Verbund herauslösten: Hilary Cronin und Rebecca Legget sangen ihr „Nun komm, der Heiden Heiland“-Duett mit ganz anders großartiger Emphase als ihre Kolleginnen sieben Tage zuvor. Nicht nur nach Rom führen sehr viele Wege, auch zu Bach, wenn es nur um Musik gegangen wäre. Doch so einfach war es hier ja nie gewesen.

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