Hamburg. In der Elbphilharmonie wurde die Doku „Dmitri Schostakowitsch: Die Bratschensonate“ gezeigt. Tabea Zimmermann spielte danach das Stück.
- Die Bratschensonate ist das letzte Stück, das Schostakowitsch vor seinm Tod 1975 schrieb
- Ein Dokumentarfilm aus der Sowjet-Zeit ließ Leben und Werke dieses Komponisten Revue passieren
- Tabea Zimmermann war für dieses Spätwerk die ideale Interpretin
Es ist ein Kaleidoskop historischer Aufnahmen, das oft nur mit Andeutungen die vielen Höhenflüge und Fast-Abstürze eines Künstlerlebens erzählt: Der knabenhafte Schostakowitsch, optisch noch eine Streber-Version des jungen John Lennon, als Mozart-Nachfolge-Genie gefeiert. Sowjetische Propaganda-Filme von Paraden auf dem Roten Platz. Die Schrecken des Weltkriegs, patriotische Aufrufe, wie auch der von Schostakowitsch selbst, nun „Alles für die Front“ zu geben, die Belagerung von Leningrad.
Die zwei Versionen des Finales der Fünften Sinfonie: bedrohlich langsam vom Orchester-Zuchtmeister Mrawinski dirigiert, rasant triumphierend vom blutjungen Bernstein. Die Stalin-Ära, in der man in einem Moment mit Staats-Preis-Lametta behängt werden konnte, um wenig später mit mehr als einem Bein im Straflager zu stehen. Der Dokumentarfilm „Dmitri Schostakowitsch: Die Bratschensonate“ kam 1981 natürlich nicht in irgendwelche Moskauer Kinos, sondern zunächst jahrelang, sicher verheimlicht, in eine KGB-Schublade, weil er auch diesen Irrsinn von dessen Lebensjahrzehnten nachzeichnet.
Die Kombination aus Film und Livemusik in dieser derart eindringlichen Form findet sich leider nur selten im Elbphilharmonie-Angebot. Im Kleinen Saal wurde aus dem klug gemischten Doppel eine Lektion in Zeit- und Musikgeschichte. Diese Würdigung endet mit dem Blick auf Schostakowitschs schlichten Grabstein, auf den sein Vier-Noten-Monogramm D-Es-C-H eingraviert wurde, und dem rührend freundschaftlichen Mitschnitt eines Telefonats mit dem Geiger David Oistrach.
Schostakowitschs Leben, im Film und mit erschütternder Musik nacherzählt
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Eine ideale Hinführung zum zweiten Teil dieses Abends, zu jener Bratschensonate Opus 147, dem allerletzten Werk, das der schwerstkranke Schostakowitsch 1975 noch zu Papier bringen konnte. Tabea Zimmermann spielte, wie nicht anders von ihr zu erwarten, dieses spröde, erschütternde, karge, gegen den Tod anschreiende Werk nicht nur – sie durchlitt es. Mit aller Macht, trotz aller Ohnmacht gegen das Unausweichliche.
In einem Moment noch raunte ihre Bratsche erschöpft vor sich hin, im nächsten füllte sie den Raum mit einer enormen Lautstärke und Kraft. Mit der Pianistin Lilya Zilberstein hatte sie eine Begleiterin neben sich am Flügel, die das Nervengeflecht dieser Musik verstand und gestaltete. Man fiel von einem Extrem ins andere, wieder und wieder, und konnte sich am Ende nur noch wundern, über die ungebrochene Kraft eines Einzelnen.
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