Hamburg. Aszure Barton hat am 8. Dezember Premiere an der Staatsoper mit „Slow Burn“. Ein Gespräch übers Verlassen der Komfortzone und den Tod ihres Hundes
Es ist ein sonniger Probentag im Ballettzentrum Hamburg. Zwei Paare tanzen nebeneinander. Silvia Azzoni und Charlotte Kragh werden von Artem Prokopchuk und Daniele Bonelli gehoben, herumgewirbelt, sogar in einer Position längs mit dem Kopf nach unten auf dem Rücken gehalten, bevor sie wieder auf den Boden gleiten. Sanfte, melancholische Klänge des US-Trompeters und Komponisten Ambrose Akinmusire tönen dazu aus der Musikanlage.
Die kanadische Choreografin Aszure Barton schaut zu, greift mit sanften Worten ein, fügt auf der Bühne eine Armgeste hinzu. Die Probe verlangt den Tanzenden alles an Ausdruck und Technik ab. Die Stimmung ist hochkonzentriert. Im Anschluss Treffen mit einer sehr entspannten Aszure Barton in der Bibliothek.
Aszure Barton an der Staatsoper Hamburg: Ein Jahr Vorbereitung auf Premiere beim Hamburg Ballett
Frau Barton, was haben Sie empfunden, als Demis Volpi, der neue Ballettchef, Ihnen die erste Kreation seiner Intendanz angeboten hat?
Aszure Barton: Ich war und bin sehr dankbar. Mein Arbeitsprozess im Studio ist ständig im Wandel und das kann für Tänzerinnen und Tänzer, die es gewohnt sind, ein festes Repertoire zu lernen, anstrengend sein. Ich habe mich ein Jahr lang vorbereitet, damit ich hier im Prozess frei sein kann. Das ist notwendig, um zu einer Tiefe zu kommen. Einige Gruppenszenen gab es schon, aber der Großteil der Sprache, einschließlich des Duetts aus der Probe wurde hier entwickelt.
Ballettkompanien in aller Welt laden Sie ein, weil sie einen sicheren Erfolg erhoffen. 2019 haben Sie gesagt, Sie möchten diesen Kreislauf durchbrechen und den Dingen in der Arbeit tiefer auf den Grund gehen. Wie hat sich Ihr kreativer Prozess seitdem gewandelt?
Ballett Hamburg: „Slow Burn“ feiert am 8. Dezember Premiere an der Staatsoper in Hamburg
Ich fühle mich heute so viel freier. Ich fühle mich nicht mehr so gefangen in den institutionellen Systemen, kümmere mich weniger darum, was andere denken. Kreieren ist für mich eine Praxis des Sterbens. Im Zentrum meiner Arbeit steht das Loslassen. Wenn ich eine erfahrene Tänzerin wie Silvia Azzoni erlebe, die viel weiser ist als ich, beobachte ich eine Freiheit, die es ihr erlaubt, entspannt im Moment zu sein. Das haben viele jüngere Tänzerinnen noch nicht.
Wie kam der Choreografie-Titel „Slow Burn“ zustande?
Mein kreativer Partner Ambrose Akinmusire und ich sprechen oft darüber, wie wichtig Geduld im Prozess ist. Als mich das Team von Demis Volpi darüber informierte, dass der Abend den Titel „Slow Burn“ tragen würde, war das ein Glücksfall. Dieses Konzept der langsamen Energieentwicklung ist ein zentraler Bestandteil unserer Zusammenarbeit.
Wie sind Sie beide, die ja doch aus unterschiedlichen künstlerischen Welten, dem Tanz und dem Jazz, kommen, einander eigentlich begegnet?
Während der Pandemie wurde ich mit einer meiner größten Ängste konfrontiert, dem Verlust meines engen Begleiters, meines Hundes. Ich hielt ihn im Arm, als er ging. Und dann entdeckte ich, wie bereichernd diese Erfahrung war. Es öffnete eine Furchtlosigkeit in mir, die ich vorher nicht kannte. Ich war schon immer ein großer Jazz-Fan, vor allem liebte ich Sängerinnen. Durch einen befreundeten Musiker lernte ich die Klänge von Ambrose Akinmusire kennen, und durch seine Musik konnte ich mich auf einmal für die Trauer öffnen. Wir trafen uns bald darauf und hatten sofort diese Verbindung, dieses unausgesprochene Wissen, in die gleiche Richtung zu gehen.
Er ist Trompeter und Komponist. Hat er eine Verbindung zum Tanz?
Ich denke, er ist im Herzen Tänzer. Er sieht Musik als Bewegung und ich höre Bewegung als Musik. Wir sind beide visuelle Komponisten mehr als alles andere.
Choreografin Aszure Barton: „Frauen werden in unserer Gesellschaft häufig übersehen, gerade Mütter“
In der Probe war bereits zu sehen, dass bei „Slow Burn“ die Frauen im Zentrum stehen... Die Männer sind eher am Rand…
Ambrose und ich haben großen Respekt vor den klugen Frauen in unserem Leben. Frauen werden in unserer Gesellschaft häufig übersehen, gerade Mütter. Mir ist es wichtig, dass Frauen im Ballett gestärkt werden, weil sie durch das historisch gewachsene Repertoire oft festgelegte Rollenstereotype darstellen. Sie neigen dazu, sich für alles zu entschuldigen – nicht nur im Ballett – und ich versuche, das auch bei mir selbst loszuwerden. Ich möchte einen Raum schaffen, in dem Frauen gesehen werden. In Vorbereitung auf meine Arbeit hier habe ich Zitate und Liedtexte gelesen und gesammelt, die mich inspiriert haben, und eine abstrahierte Version an Ambrose geschickt. Sie bilden die Grundlage für die Musik.
Sie haben in Hamburg bislang mit „Where There’s Form“ (2019) und „AA∣AB:Bend“ (2023) – ebenfalls mit Ambrose Akinmusire – zwei Abende auf Kampnagel entwickelt. Wie unterscheidet sich die Arbeit an einer Produktion auf Kampnagel von jener beim Hamburg Ballett?
Auf Kampnagel arbeite ich mit meiner eigenen Kompanie, und je mehr Zeit ich habe, desto mehr kreative Freiheit entsteht; ich kann Dinge komplett verwerfen und neu anfangen. Hier beim Hamburg Ballett kommt das Vergnügen, wenn die Tanzenden Vertrauen entwickeln. Das ist das tollste Gefühl.
Wie erleben Sie die Tänzerinnen und Tänzer des Hamburg Balletts, die ja mit der neuen Intendanz nach dem Abschied von John Neumeier eine gravierende Veränderung durchleben?
Jeder Übergang ist mit Herausforderungen verbunden, vor allem nach einer so langen Zeit – für einige mehr als für andere. Aber es ist auch zauberhaft, weil die Arbeit mit ihnen zeigt, dass der einzige Weg zum Wachstum und zur Freiheit jenseits der Komfortzone liegt. Sie waren sehr offen für diesen neuen Prozess und haben Neuland betreten. Ich spüre, dass sie jetzt mit mir und meinem Team auf der Reise sind.
„Slow Burn“-Premiere in Hamburg: Aszure Bartons große Wertschätzung für Choreograf William Forsythe
Ihre „Slow Burn“-Uraufführung ist mit William Forsythes Pandemie-Stück „Blake Works V (The Barre Projekt)“ in einem Tanzabend verbunden. Wie empfinden Sie das?
Großartig! Es gab schon einige Programme, die uns vereint haben. Ich hatte nie einen offiziellen Mentor, aber als ich William Forsythe vor einigen Jahren begegnete, war er wahnsinnig wertschätzend und sprach Worte, die ich nie vergessen werde.
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Was tun Sie in Ihrer Freizeit in Hamburg. Gehen Sie Tanzen?
In der vergangenen Woche habe ich mein Zimmer fast fünf Tage lang nicht verlassen (lacht). Es ist einfach so viel zu tun und ich arbeite sehr obsessiv und eher langsam. Aber ich gehe spazieren. Ich liebe Hamburg so sehr. Es ist meine absolute Lieblingsstadt in Deutschland.
„Slow Burn“ Premiere 8.12., 18 Uhr, Vorstellungen 10., 11., 13., 18., 19.12.2024, 7., 10., 11.01.2025, jeweils 19.30 Uhr Staatsoper, Karten unter T. 35 68 68; www.hamburgballett.de
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