Hamburg. Demis Volpi ist mitten in der Vorbereitung für seine Eröffnung an der Staatsoper. Jetzt reagiert er auf Kritik – und plant Großes.
Im Ballettzentrum ist nach der Sommerpause wieder Leben eingekehrt. Tänzerinnen und Tänzer in wärmenden Schuhen flitzen die Treppen hoch und runter. In den Gängen stehen noch heimatlose Möbel. An einem Raum erkennt man einen Mauerdurchbruch. Noch fehlt die Tür. Die Stimmung ist fröhlich und vorfreudig, in einem der Säle erklingt aus der Musikanlage Richard Strauss.
„Die Musik ist wie eine Klangwolke“, sagt Choreograf Demis Volpi. Kritisch schaut er dem jungen Tänzer Jack Bruce zu, wie er seinen Körper sanft verbiegt, wie von einer Welle durchzuckt, ein Bein nach hinten ausstreckt und die Luft schnell mit den Armen zerschneidet. Alexandr Trusch versucht, die Abläufe sofort ins Gedächtnis zu bekommen. Das Fließende, Organische wirkt bei dem technisch versierten Ersten Solisten mühelos und harmonisch – wenn auch ungewohnt.
Aber es sind neue Zeiten angebrochen beim Hamburg Ballett. Im August hat Demis Volpi die Intendanz übernommen. Nun probt ein Duett aus seiner Choreografie „The thing with feathers“, die er am 28. September zur großen Saisoneröffnung als Teil eines vierteiligen Abends präsentiert. Auch darüber wird zu reden sein. Das ehemalige Büro John Neumeiers, nun Wirkungsort Demis Volpis, ist bis auf einen Schreibtisch noch vollkommen nackt. Ein Gespräch über Neuanfänge, Veränderungen am Ballettzentrum – und das Bundesjugendballett.
Sie haben im Sommer einige Veränderungen am Ballettzentrum vorgenommen. Welche?
Demis Volpi: Viele Büros haben eine andere Funktion erhalten. Die Nutzung des Hauses verändert sich dadurch, dass wir neue Bereiche haben, Kommunikation und Dramaturgie sind künftig getrennt, es ist mir wichtig, dass die Entwicklung von Stücken unabhängig von Erfolgsdruck stattfinden kann. Den Bereich des digitalen Contents haben wir erweitert. Außerdem gibt es eine neue Position für Tanzvermittlung.
Neuer Ballettchef Demis Volpi: „Die ganze Welt schaut gerade nach Hamburg“
Der Umzug des Bundesjugendballetts ans Ernst Deutsch Theater hat für einige Unruhe in der Stadt gesorgt. John Neumeier hat verkündet, dass er um den nun fehlenden Austausch im Ballett-Zentrum mit dem Hamburg Ballett fürchtet. Warum wurde das notwendig?
Die räumliche Veränderung stellt meiner Meinung nach eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen aller Beteiligten dar. Die Tänzerinnen und Tänzer haben ja immer noch ihre Garderoben hier im Ballettzentrum und in der Staatsoper – die neuen Büros für das Team in der Staatsoper sind erheblich besser als vorher. Es ist eine wirklich autonome Zentrale in bester Lage entstanden mit 60 Quadratmeter zusätzlichem Raum. Die Synergien können nicht mehr im Alltag stattfinden, da muss ich John Neumeier recht geben. Dieser Mikrokosmos des Ballettzentrums ist natürlich etwas Besonderes. Im Idealfall wäre es so, dass das Bundesjugendballett hier arbeitet, aber wir haben für das gesamte Hamburg Ballett leider nur vier Säle zur Verfügung, die alle belegt sind, weil wir jetzt mehrteilige Ballettabende und parallel laufende Produktionen haben.
Räumlich ist das Bundesjugendballett ja immer noch bei uns an der Staatsoper angesiedelt, und wir kümmern uns darum, dass es ihm weiterhin gut geht. Trotzdem wäre es wünschenswert, dass es hier wäre. Auch um seine Mission in die Zukunft denken zu können. Das betrifft auch den Bereich Tanzvermittlung und ganz im Allgemeinen, wie wir unser Haus öffnen. Doch dazu müsste man eventuell über eine Erweiterung des Ballettzentrums nachdenken. In Düsseldorf hatten wir beispielsweise eine Studiobühne. Dort gab es einmal die Woche öffentliches Training mit Zuschauerinnen und Zuschauern, mixed-abled Tanzunterricht und öffentliche Proben, um nur ein paar der vielen Formate zu nennen, die wir dadurch ermöglichen konnten. In Düsseldorf war der Mehrwert für die Stadtgesellschaft und für uns als Compagnie enorm.
Mit „The Times Are Racing“ steht nun die Eröffnungspremiere Ihrer Intendanz an, ein mehrteiliger Abend mit Arbeiten von Pina Bausch, Hans van Manen, Justin Peck und Ihnen. Wie kam die Zusammenstellung zustande?
Es sind vier kleine Universen, die gerade gleichzeitig in mehreren Ballettsälen entstehen. Als John Neumeier nach Hamburg kam, hat Pina Bausch vor 51 Jahren in Wuppertal ihre Compagnie gegründet und Tanzgeschichte geschrieben. Da fand ich es organisch und spannend, ihre damalige Perspektive auf den Tanz zu zeigen und aus diesem Blickwinkel den Abend zu beginnen. Alle vier Stücke sind ein Schritt in eine andere Richtung, haben aber im Kern auch etwas Verbindendes.
Wie nähert sich die Compagnie dem Tanztheater von Pina Bausch anlässlich der Rekonstruktion des 1974 uraufgeführten „Adagios“ aus „Adagio – Fünf Lieder von Gustav Mahler“?
Jo Ann Endicott, die selbst in der ersten Generation des Tanztheaters Wuppertal mitwirkte, studiert es für uns sein. Das ist ein sehr bewegender Prozess und eine große Ehre. Es ist ein frühes, sehr tänzerisches und damit zugängliches Stück.
Wie muss man sich in „Variations for Two Couples“ von Hans van Manen die Verbindung von Neoklassik und Standardtanz vorstellen?
Hans van Manens Arbeit ist von einem Minimalismus geprägt, der alles reduziert und den Tanz in seiner pursten Form zeigt. Dadurch ist die Interpretationsmöglichkeit paradoxerweise enorm. Die Tänzerinnen und Tänzer müssen eine Figur werden, der Einfachheit, dem Unverschnörkelten vertrauen und es zulassen. Ich glaube, das passt für diese Compagnie.
Hamburgs Ballettdirektor Demis Volpi: „Es gibt eine Art Körpergedächtnis“
Was fasziniert Sie an dem Gedicht „Hope is the thing with feathers“ von Emily Dickinson, das ja Pate stand für Ihre Choreografie „The thing with feathers“?
Das Gedicht kenne ich schon sehr lange, aber mich interessiert eigentlich die Tragik dieser Figur, die zu Lebzeiten nie ein Gedicht veröffentlicht gesehen hat. Ausgangspunkt für meine Choreografie war die Suche nach der Leere im Tanz, nach dem Nichts. Die Verwendung der Musik von Richard Strauss erschien mir sinnvoll, weil sie uns sehr viel Raum gibt und trotzdem eine Trauer, eine Nostalgie, eine Sehnsucht nach einer anderen Zeit offenbart. Während wir in der Kreation der Choreografie diesen Emotionen und dieser Leere nachgespürt haben, entdeckten wir als eine Antwort eine Freude am Tanz, und es entstand ein Gefühl von Hoffnung. Dickinson beschreibt sie als einen Vogel, der in uns immer weiterlebt. Das fand ich als Bild für den Tanz wunderschön.
Die Probe hat ja schon ein ungewohntes Bewegungsvokabular offenbart, das das Spektrum eines Ersten Solisten wie Alexandr Trusch erweitert, aber auch herausfordert. Wie kann eine solche Choreografie gelingen?
Man muss etwas loslassen, das sich vertraut anfühlt. In jeder Hinsicht. Es gibt eine Art Körpergedächtnis, und das zu durchbrechen und weiterzudenken ist eine sehr schöne Aufgabe.
Demis Volpi über Trainingsbedingungen: „Wir haben für das gesamte Hamburg Ballett leider nur vier Säle“
Justin Peck dürfte mit „The Times Are Racing” die risikofreudigste Arbeit des Abends werden. Warum lohnt die Begegnung mit dem Hauschoreografen des New York City Ballets?
Justin Peck ist ein Choreograf meiner Generation. Er ist mit Jerome Robbins und George Balanchine und der Sprache der Neoklassik groß geworden und setzt sich sehr stark mit dem Vokabular des Balletts auseinander. Es gelingt ihm, Ballette zu schaffen, die ein sehr heutiges, junges, frisches, dynamisches Gefühl vermitteln.
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Wie weit sind die Vorbereitungen für die Tanztriennale gediehen, die im kommenden Jahr erstmals stattfinden soll und an der ja das Hamburg Ballett, Kampnagel und K3, das Zentrum für Choreografie, beteiligt sein werden?
Das Auswahlverfahren für die künstlerische Leitung läuft und liegt bei der Kulturstiftung des Bundes. Ich hoffe natürlich, dass es jemand wird, der in der Lage ist, die freie Szene gut zu kennen und zu verstehen, aber auch die Strukturen, in denen wir als Ballettcompagnie arbeiten. Es geht ja darum, die zwei Teile derselben Welt – nicht zwei Welten – zusammenzubringen. Das ist die enorme Chance, die uns die Triennale schenkt. Mit Amelie Deuflhard und Kerstin Evert habe ich tolle Partnerinnen, die mit Offenheit, Lust und Interesse an die Sache herangehen.
Wo steht die Tanzstadt Hamburg gerade in Ihren Augen?
Die ganze Welt schaut gerade nach Hamburg. Ich habe zum Antritt Nachrichten mit Glückwünschen von Südamerika bis Südostasien erhalten. Und ich glaube, die Tanztriennale wird uns die Möglichkeit geben, früher Dinge auszuprobieren, die ansonsten vielleicht länger gebraucht hätten.
„The Times Are Racing“ Premiere (Restkarten) 28.9., 19 Uhr, Staatsoper, Karten für weitere Vorstellungen unter T. 35 68 68, www.hamburgballett.de