Hamburg. Das Nordwind Festival eröffnet die norwegische Choreografin Elle Sofe Sara mit samischer Kultur. Erst einmal aber wird es sehr, sehr kalt.

Kalt. Das Publikum bildet einen Kreis auf der Piazza vor Kampnagel, innerhalb dessen sieben Performerinnen schreiten, schwarze Röcke, schwarze Handschuhe, rote Kappen. Sie schreiten, sie tanzen, nach einer Weile beginnen sie, durch ein Megafon zu singen, und ihre schwarzen, schweren Stiefel klopfen einen suggestiven, Rhythmus dazu. Während das Publikum friert. Polarkreis-Theater.

Nach zehn Minuten Kälte verlagert sich Elle Sofe Saras „Vástádus Eana – The Answer is Land“ ins Theater, das von Elin Mellberg in einen höhlenartigen Raum verwandelt wurde, schwach beleuchtet, mit seltsamen Gebilden, die teils an Bäume erinnern, teils an Wurzeln, teils an organische Objekte, die nicht wirklich bespielt werden, aber die Bewegungen der Darstellerinnen leiten. Weiterhin tönt fremdartiger Yoik-Gesang durch die Reihen, elektrisch verstärkt, aber nicht mehr durch die Megafone verzerrt.

Polarkreis-Theater in Hamburg: Das Publikum muss auf Kampnagel ganz schön frieren

Man ist außen vor, und gleichzeitig zieht einen das Geschehen in seinen Bann: Hier passiert etwas, das sich der klaren Deutung verweigert, aber man spürt Veränderungen, Variationen. Aus dem szenischen Konzert, als das „Vástádus Eana“ begonnen hatte, schälen sich Bewegungen, nach einer Weile raumgreifender, expressiver Tanz, und am Ende zieht sich die Aktion wieder zurück, in langsam leiser werdende Gesangsharmonien, in endgültig verlöschendes Licht.

„Vástádus Eana“ bezieht sich auf die samische Kultur, auf die indigene Bevölkerung im Norden Fennoskandinaviens, die jahrhundertelang von den russischen, finnischen, schwedischen und norwegischen Mehrheitsgesellschaften unterdrückt wurde. In den vergangenen Jahren schärfte sich das Bewusstsein für diese spezielle Form des Kolonialismus: So wurde der nordische Pavillon bei der Kunstbiennale von Venedig 2022 als „Sámi-Pavillon“ bespielt, und in Hamburg zeigten voriges Jahr das MARKK und das Kunsthaus Ausstellungen zu diesem Komplex.

Im Bereich der Darstellenden Künste eröffnet die norwegische Choreografin Elle Sofe Sara das „Nordwind“-Festival auf Kampnagel mit einem Blick auf die samische Kultur, mit Yoiks, mit der traditionellen, symbolisch aufgeladenen Kleidung.

Mehr Kultur in Hamburg

Zentrales Element von „Vástádus Eana“ ist die Beziehung zu Natur und Landschaft für die samische Gesellschaft, das vermittelt sich nicht zuletzt durch die Kälteerfahrung des Einstiegs. Schließlich verausgabt sich eine Tänzerin, bis sie von ihren Kolleginnen aufgefangen wird, berührt, getröstet. Und das ist dann ein politisch lesbares Bild, das über den reinen Ethno-Charakter hinausweist und den Bezug zum „Nordwind“-Motto „New Allies“ schafft: Es geht hier auch um Solidarität.

Vástádus Eana – The Answer is Land noch einmal am 5. Dezember, „Nordwind“-Festival bis 15. Dezember, Kampnagel, Jarrestraße 20, Tickets unter 27094949, www.kampnagel.de

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