Hamburg. Choreograf William Forsythe zeigt auf Kampnagel sein Programm „A Quiet Evening of Dance“, mit stillem Humor.

Ein „stiller Tanzabend“? Nicht ganz: Ein Vogel singt. Hübsch. Aber eben keine absolute Stille, sondern eine leise Irritation, die die Ohren dafür schärft, wie still es in den Momenten ist, in denen wirklich nichts zu hören ist. Dass noch vor dem Beginn Vogelzwitschern auf der Kampnagel-Bühne zu hören ist, ist der so perfekte wie hintergründige Einstieg in William Forsythes „A Quiet Evening of Dance“: ein winziges Detail, das das, was man erwartet, gleichzeitig bestätigt und in Frage stellt.

Eigentlich hatte man von Forsythe keine neue Choreografie erwartet. 2015 gab der Tanz-Erneuerer die Leitungsposition am Frankfurter Ballett auf und war in seine US-Heimat zurückgekehrt, nicht zuletzt, weil seine Compagnie in Frankfurt immer weniger die gebührende Wertschätzung erfuhr. In den USA konzentrierte sich der Endsechziger auf Lehre und Forschung, als Choreograf schien er sich zur Ruhe gesetzt zu haben – bis er voriges Jahr am Londoner Saddler’s Wells überraschend „A Quiet Evening of Dance“ uraufführte, in Zusammenarbeit mit sieben früheren Weggefährten. Die aktuelle Aufführungsserie auf Kampnagel ist so das erste künstlerische Lebenszeichen Forsythes im deutschsprachigen Raum seit seinem Rückzug aus Hessen.

Zwei Tänzer ackern, stöhnen und keuchen auf der Bühne

Der Abend beginnt für diesen Choreografen überraschend konventionell. Parvaneh Scharafali und Ander Zabala tanzen unter dem Titel „Prologue“ ein mehr oder weniger klassisches Duett im schwarzen Dress mit weißen Ganzarmhandschuhen (Kostüme: Dorothee Merg und Forsythe selbst) – ein extrem formalistischer und gleichzeitig irgendwie kecker Einstieg. Man weiß nicht so recht: Ist dieses Zugeständnis an die Konvention ernst gemeint, oder steckt da eine Ironie dahinter, die sich erst entfalten muss? Zumindest die Körperlichkeit des Tanzes lässt den Verdacht ins Leere laufen, dass Forsythe sich in den USA zum Vertreter bloßer Schönheit entwickelt haben könnte: Keine ätherischen Luftwesen schweben über die Bühne, stattdessen ackern zwei Tänzer, stöhnen, keuchen. Und stellen so klar: Was hier passiert, ist Arbeit, kein Ästhetizismus.

Der zweite Teil „Catalogue“ lässt dann endgültig keinen Zweifel daran, dass es hier nicht um schöne Bewegung geht. Jill Johnson und Christopher Roman analysieren ihre Körper mit minimalistischen Bewegungen, und, gut, die beiden sind nicht mehr die Jüngsten, vielleicht ist ja Minimalismus etwas, das auch der alternde Körper mitmacht? Doch kaum hat man sich versehen, verwandeln sich die diagonalen Gesten in fließende Bewegung, wird mit einem Schlag doch wieder Tanz aus dem Gezeigten, eindeutig Ballett sogar. Mit „A Quiet Evening of Dance“ scheint Forsythe zurückzukehren zum Ballett, nachdem er den Tanz viele Jahre an seine Grenzen geführt hat. Aber diese Rückkehr ist eine analytisch fundierte. Es folgt noch eine Ensemblepassage zu einem Klavierstück Morton Feldmans sowie ein kurzes, von stillem Humor durchzogenes Duett mit Brigel Gjoka und Riley Watts, ein Waldspaziergang quasi, inklusive des zurückgekehrten Vogelgezwitschers.

Und nach der Pause wird noch einmal alles auf Null gestellt. Auf dem Tanzboden sind jetzt Linien zu erkennen, ein Notationssystem vielleicht, in das der Tanz fortan eingefügt ist. Und es ertönt: Jean-Philippe Rameaus „Hippolyte et Aricie“, Barockklänge zur Choreografie eines Künstlers, der doch immer ein expliziter Vertreter des Zeitgenössischen war! Vorsicht: Getanzt wird zwar tatsächlich weiter Ballett, aber die betont nonchalanten Kostüme konterkarieren den Tanz gleich wieder. Und plötzlich schlendert Rauf Yasit auf die Bühne, setzt ein paar Breakdance-Akzente und geht wieder ab. Ein Spaß.

In Deutschland fehlt ein Choreograf wie Forsythe

Tatsächlich ist der Abend nicht zuletzt: ein großer Witz. Aber es ist eben ein Witz, der sich nicht über sein Ziel lustig macht, sondern der nur durch die tänzerische Qualität der Performer, nur durch das analytische Wissen des Choreografen überhaupt zündet. Und vielleicht merkt man spätestens an dieser Stelle, was der ersten Tanzliga im deutschsprachigen Raum fehlt, seit Forsythe nicht mehr da ist: Humor. Das Zwitschern eines Vögelchens während ansonsten absoluter Stille.