Hamburg. Philippe Herreweghe führte das Orchestre des Champs-Élysées manchmal gehetzt durch Beethovens Neunte. Womit das Orchester dennoch überzeugte.

Kein Komponist hatte es bis 1824 gewagt einen Sinfonie-Satz mit fast kakophonischen Klängen zu beginnen. Die Hörer von Beethovens 9. Sinfonie bei der Uraufführung werden beim Anfang des Finalsatzes wohl kaum ihren Ohren getraut haben. Da scheint die Musik das ganze Leid und Unglück über den Zustand der Welt herauszuschreien. Das klang beim Elbphilharmonie-Gastspiel des Orchestre des Champs-Élysées wirklich kraftvoll. Dirigent Philippe Herreweghe ließ Pauken und große Trommel wie Kanonendonner knallen, es ging durch Mark und Bein. Ein eindrücklicher Moment.

Schade nur, dass Herreweghe es an diesem Abend sonst öfter etwas eilig hatte. Die beruhigende Streicher-Melodie, die Beethoven auf sein inszeniertes musikalisches Chaos folgen lässt, wurde viel zu schnell heruntergespielt. Und als dann später im Finalsatz der Solo-Bariton sein „O Freunde, nicht diese Töne!“ aus Schillers „Ode an die Freude“ anstimmt und für „angenehmere“ und „freudenvollere“ Töne plädiert, wirkte auch das wieder gehetzt.

Elbphilharmonie: Schade, dass der Dirigent es öfter etwas zu eilig hatte

Eröffnet wurde das pausenlose Konzert mit Hanns Eislers spröder Chor a cappella-Komposition „Gegen den Krieg“, Text: Bertolt Brecht. Pessimistische, klassenkämpferische Agitation wird da musikalisiert und die Doppelbödigkeit der Politik entlarvt (Wenn die Ob’ren von Frieden reden, weiß das gemeine Volk, dass es Krieg gibt). Ein vom Collegium Vocale Gent gekonnt gesungener Kontrast zu Beethovens utopischem Appell zur Völkerverständigung (Alle Menschen werden Brüder).

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Die drei instrumentalen Sätze bis zum großen pazifistischen Chor-Jubel-Finale in Beethovens Sinfonie nahm Herreweghe durchweg zügig und energetisch. Einige ruhigere Übergänge und klarer ausgefeilte Motive wären vorstellbar gewesen. Auch mehr Magie beim suchenden Anfang der Sinfonie mit den leeren Quintklängen der Hörner. Und das „Adagio molto e cantabile“ wurde weniger Ruhepol der Sinfonie, sondern eher ein schnelleres Andante. Spannend war der Klang des Orchestre des Champs-Élyées, das auf Originalinstrumenten spielt. Die Farben jeder Instrumentengruppe sind viel charakteristischer und unterscheidbarer als bei modernen Instrumenten. Viele Passagen dieses oft gespielten Klassikers waren neu und in anderem Licht zu hören. Faszinierend.

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