Hamburg. Alles andere als das übliche Geburtstags-Paket: Das NDR Elbphilharmonie Orchester und Robin Ticciati gratulierten zum 200. Geburtstag.
- Robin Ticciati dirigierte die vorletzte vollendete Sinfonie Bruckners
- Das NDR Vokalensemble sang einige Bruckner-Motetten in der Elbphilharmonie
- Ergänzt wurde das Programm durch Orgelimprovisationen auf der Klais-Orgel
Man wird nur einmal im Leben 200, selbst als tiefgläubiger Katholik, der Anton Bruckner war. Also durfte es bei der Planung für dieses NDR-Konzert etwas sehr Besonderes, um nicht zu sagen: Abseitiges sein. Während ihm gerade alle Welt mit einer der gängigen Sinfonien gratuliert, holte man stattdessen einige seiner Motetten aus der Nische. Damit es richtig speziell wurde, legte man noch kurze, choralartige Aequale-Sätze für jeweils drei Posaunen aus dem Werkverzeichnis drauf, die wohl nur selten, aber dann gern bei Begräbnisfeiern gespielt wurden.
Und obwohl – oder gerade weil? – Bruckner ein sensationell improvisierender Organist gewesen war, rundete der NDR-Organist Thomas Cornelius diese Ansammlung von Sammlerstücken mit zwei sehr eigenen Improvisationen auf der Klais-Orgel ab. All das also, bevor der Gastdirigent Robin Ticciati die viel populärere Siebente in der Elbphilharmonie dirigierte und damit im Großen fortführte, was komponistenhandschriftlich im Kleineren herauslesbar war: das demütige Streben zum Ewigen.
Zum Bruckner-Jubiläum in der Elbphilharmonie: Raritäten neben der Sinfonie im Großen Saal
Das NDR Vokalensemble, überschaubare 30 Köpfe groß, wurde im Großen Saal von Klaas Stok durch dieses Repertoire stilkundig und auf Präzision geeicht geleitet. Doch eine Motette ohne jeden weichzeichnenden Sakralbau-Nachhall als Heiligenschein wirkt, da kann sie noch so schön choreografiert sein, in der analytisch trennscharfen Elbphilharmonie-Akustik leicht fehlplatziert. Schon das einleitende „Locus iste“ wirkte wie ein penibel ausgebreiteter Bauplan, der vor allem Strukturen offenlegte. So ging es weiter. Dafür kann der Chor nichts, doch der Eindruck, es fehle ästhetisch etwas Entscheidendes, der blieb in dieser profanen, entschieden unkathedralen Umgebung.
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Interessant und heutig wurde es in Cornelius‘ beiden „Reflections“, weil er einerseits effektvoll das Raumklang-Volumen der Orgel für diesen Blick zurück nutzte, andererseits durch die chromatische Verschraubung von Motiven mit Ausflügen ins Zwischentönige wagte, kombiniert mit einigen der vielen Klangfarben und -Effekte, die dieses Instrument ermöglicht.
Dieses Glück im Umgang mit dem Material und seinen Ausdeutungen war Ticciati nicht durchgängig vergönnt. Während seiner Zeit als DSO-Chefdirigent in Berlin hat er offenbar immer wieder Bruckner erden wollen, ihm die Pathos-Kruste nehmen wollen, das Gottgegebene. So klang es auch hier.
Was beim Bruckner-Jubiläum in der Elbphilharmonie etwas zu kurz kam
Ticciati baute die vier Sätze nicht Abschnitt für Abschnitt klar getrennt aufeinander auf, er schloss die Fugen zwischen den Themenblöcken durch Ausklingen und Einschwingen. Das Scherzo mit seiner straffen Rhythmik litt deswegen an Unentschlossenheit.
Dass dabei hin und wieder die eine oder andere empfindliche Blech-Solo-Stelle nur knapp an der Ideallinie vorbei gelang, kann passieren. Extrem und drastisch, frontalkatholisch geradezu wurde er dabei selten, die Weihrauch-Dosis war jedenfalls deutlich gedrosselt.
Bruckner, der herzensgut aussingende Melodiker, durfte nach vorne treten, auch mal schön. Der kleine, feine, vieles entscheidende Unterschied aber zwischen Steigungen und Steigerungen, der kam bei diesem Diskussionsbeitrag zum Bruckner-Jubiläum vielleicht doch etwas zu kurz.
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