Hamburg. Die Geigerin María Dueñas buchstabiert oft, die Wiener Symphoniker engagieren sich mäßig. An der Dirigentin Marie Jacquot liegt’s nicht.
Wer „Wien“ als Motto für ein Konzertprogramm kürt, kann auch gleich „klassische Musik“ sagen. Schließlich ist die Habsburgermetropole in dieser Disziplin seit Jahrhunderten Welthauptstadt. Wahnsinnig originell ist es also nicht, dass die Wiener Symphoniker und ihre Erste Gastdirigentin Marie Jacquot mit drei Werken in die Elbphilharmonie gekommen sind, die, wer hätte das gedacht, alle dort geschrieben wurden. Der kluge Michael Becker, der auch diesen Abend der ProArte-Reihe „Faszination Klassik“ moderiert, gibt dem Publikum trotzdem noch Erhellendes mit.
Elbphilharmonie: Bei María Dueñas kann sich Beethoven ganz schön ziehen
Etwa, dass der Auszug aus dem langsamen Satz der Siebten Bruckner, mit dem die Blechbläser den Abend eröffnen, gleich eine doppelte Trauermusik ist. Bruckner war fast fertig mit der Komposition des Satzes, als er die Nachricht vom Tod des verehrten Wagner erhielt. Kurzerhand fügte er einen leisen Choral an, zu spielen von Hörnern und Wagner-Tuben. Als Bruckner 1896 gestorben war, bearbeitete sein Schüler Ferdinand Löwe für die Trauerfeier diesen Choral für Blechbläser.
Der Taschen-Bruckner ist schön kurz, aber für die Beteiligten in seiner scheinbaren Schlichtheit und raffinierten Harmonik eine Herausforderung. Der Anfang gelingt den Wagner-Tuben betörend weich und homogen, die Horngruppe fällt dagegen klanglich auseinander. Jacquot spannt einen großen musikalischen Bogen auf, der seine Wirkung nicht verfehlt, auch wenn hier mal einer kiekst oder dort beim Leiserwerden die Intonation verrutscht.
Die Wiener Symphoniker folgen der Dirigentin Marie Jacquot längst nicht in alle Details
Als Solistin hat das Orchester die blutjunge Geigerin María Dueñas mitgebracht, deren Karriere selbst nach Maßstäben der an sensationellen Entdeckungen nicht armen Klassik-Branche überraschend steil verläuft. Schon als 18-Jährige eroberte sie mit der Natürlichkeit und Innigkeit ihres Spiels umstandslos Ohren und Herzen. Inzwischen ist sie Exklusivkünstlerin der Deutschen Grammophon. Wie bereits im vergangenen März spielt sie das Violinkonzert von Beethoven.
Dessen Gedankentiefe und Klarheit machen das Werk zu einem der Prüfsteine schlechthin für Geigerinnen und Geiger, und lang ist es obendrein. Diese Länge zieht sich ziemlich bei Dueñas. Es klingt einfach buchstabiert, was sie da macht. In schnellen Passagen dehnt sie einzelne Töne, ohne sich um deren Rolle im Gefüge zu kümmern. Dass sie bei Trillern erst einmal ein Vibrato veranstalten muss, klingt eher nach Masche als nach Konzept. Seekrank könnte man werden beim Zusehen, weil sie den Bogen so oft in Gegenrichtung der musikalischen Gewichtung führt. So löblich es ist, dass sie ihre eigenen Kadenzen geschrieben hat, formt sich beim Hören im Kopf doch die Frage: Kann diese hinreißend Begabte vielleicht erst mal noch ein paar Jahre in Ruhe reifen?
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Zwiespältig auch Arnold Schönbergs Orchesterbearbeitung des g-Moll-Klavierquartetts von Brahms. Schönbergs Kunstfertigkeit, aber auch seine Chuzpe, das grandiose Quartett unter die Lupe des 20. Jahrhunderts zu legen, kann man nur bewundern. Jacquot führt die Ihren so straff wie differenziert durch die hochverdichtete Partitur, allein das Orchester folgt ihr längst nicht in alle Details. Dick und zu laut klingt es und allenfalls nach mittlerer persönlicher Beteiligung. Erfüllung hört sich anders an. Wie schade.
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