Hamburg. Soll die Stadt Hamburg ein neues Opernhaus bauen? Noch wichtiger ist aber nach wie vor die unerklärte Frage: Warum sollte sie das wollen?
- Der Mäzen Klaus-Michael Kühne möchte einen Opern-Neubau in der HafenCity realisieren und mitfinanzieren
- Rathaus und Kulturbehörde verhandeln seit langem darüber
- Was bislang fehlt: Gute Gründe, warum dieses Projekt die Stadtgesellschaft begeistern sollte
Es waren ganz andere Zeiten, damals. Um die Jahrtausendwende herum wurde die Stadt Hamburg von ihrem sich plötzlich Bahn brechenden Ehrgeiz überrascht, für die Kultur Großes schaffen zu wollen. Historisches geradezu. Endlich einmal wirklich raus aus der Pfeffersack-Klischee-Ecke. Und wenn so etwas in Bewegung kommt, kann kein Vergleich zu kleindimensioniert sein. „Gab es einen Bedarf für Beethovens Neunte oder für Coca-Cola?“
Fast ein Vierteljahrhundert ist vergangen, seit der Dirigent Christoph von Dohnányi – als Bürgermeister-Bruder mit den Lernschwierigkeiten von Instanzen vertraut – bei einer Experten-Anhörung im Hamburger Rathaus diese rhetorisch geniale Gegenfrage an diejenigen in der Politik-Verwaltung stellte, die kulturell weitgehend ahnungslos waren. Man hatte wissen wollen, warum diese Stadt unbedingt ein neues, sicher nicht günstiges Konzerthaus namens Elbphilharmonie benötigen würde.
Ein neues Opernhaus für Hamburg: So wird das nichts?
Der Rest ist bekannt, inzwischen weltweit. Und nur ganz leicht verändert wird seit Monaten (mal mehr, mal weniger klar) eine ähnlich smarte Anschlussfrage NICHT gestellt. Unwiderstehlich, mitreißend beantwortet als Plädoyer für die Kulturlandschaft der nächsten Jahrzehnte wird sie noch viel weniger: Braucht Hamburg ein neues Opernhaus? Drastischer formuliert: Echt jetzt, muss das denn wirklich sein, genügt euch die irreteure Elbphilharmonie nicht?
Falls es, warum auch immer, tatsächlich so sein sollte und muss: Warum soll die derzeitige Stadtgesellschaft diese Vorstellung begeistern, für viel Geld einen Versuch einer Wiederholung des elbphilharmonischen Wunders auf die Spur zu setzen? Koste es dann womöglich wieder, was immer es solle? Die Nicht-Antworten fielen bislang so unterschiedlich wie unentschlossen aus. Klaus-Michael Kühne, ein Ideen- und auch der wichtigste private Millionengeber dieses Projekts, meinte stets: Unbedingt! Am besten gestern, denn das bauliche Elend an der Dammtorstraße sei nicht mehr mitanzusehen, und außerdem, das künstlerische Niveau … Mal so, mal so, aber eindeutig nicht im vorzeigbaren Spitzenfeld. Eine schicke neue Vorzeige-Immobilie müsse her, dann fände sich der Rest. Und der Glanz.
Kent Nagano? Höchstens ein ideeller Paten-Großonkel
Die 2025 aus dem Amt scheidende Opern-Chefetage hielt sich beim öffentlich wahrnehmbaren Drängen und Träumen sehr zurück, weil beides sie ja nicht mehr betrifft. Generalmusikdirektor Kent Nagano wäre höchstens ein ideeller Paten-Großonkel, der irgendwann einmal tiefgründig über die mindestens soziologische, wenn nicht gar moralische Bedeutung von Kultur und Oper philosophiert haben wird. Die Nachfolge-Chefs an der Dammtorstraße, mehr als eine Generation jünger, müssen sich erst einleben, im Alltagsgeschäft bewähren und Publikum davon überzeugen, dass sie keine verjährten Museumswächter sind. Dabei auch noch die Vision eines Neubaus nach vorn schieben, für neue inhaltliche Möglichkeiten eines solchen State-of-the-Art-Hauses werben?
Die Kulturbehörde gibt bislang die Stimme der wohlwollend nickenden Vernunft. Salomonisch mitredend, aber bloß kein falsches Wort zur Unzeit verlieren. Schön wär’s schon, sicher doch, zu viel Kultur kann man ja nie haben. Aber bloß kein Risiko zulasten der Stadt bei den Bau- und den Betriebskosten. Ebenso bloß kein übereiltes „Yes, we can!“ ohne Wenn und Aber, das einem später bei Problemen auf die Füße fallen könnte. Das scheint die vorrangige Devise von Carsten Brosda zu sein, der ansonsten redenlang geschmeidig liebliche Visionen formulieren kann. Bis über beide Senatoren-Ohren verknallt sein in eine Idee, das klänge wohl anders.
Kürzlich erst wirkte es bei Kühne in einem Abendblatt-Interview fast so, als wäre der Sekt für die Grundsteinlegung schon kalt gelegt: Die Einstellung der Stadt zur Oper sei positiv, „die Oper kann realisiert werden, wir benötigen nur noch eine abschließende Rollenverteilung.“ „Nur noch“? Der Einspruch vom Kultursenator kam prompt.
„Wir gucken, weil wir beide Lust darauf haben, so etwas zu entwickeln. Aber ob das gelingt, müssen wir miteinander noch herausfinden“, sagte Brosda dem NDR. „Das ist etwas, was noch genauso offen ist, wie es auch in den Jahren zuvor offen war. Wenn wir dazu kommen, dass er sich zu einer solchen mäzenatischen Geste durchringen kann, ist das eine großartige Geschichte. Aber ob wir eine Modalität finden, in der das gelingt, ist eine offene Frage.“ Nach jedem vermeintlichen Schritt vorwärts folgen also etwa anderthalb Schritte zurück – oder bestenfalls seitwärts.
Klaus-Michael Kühne: „Ich bin im Großen großzügig, im Kleinen kleinlich“
Und das Rathaus, die Stadtregierung, der öffentlich eher bedingt für Kultur brennende Erste Bürgermeister? Soll hinter geschlossenen Türen intensives Armdrücken mit Kühne um Finanz-Fragen und steuerliche Spezialwünsche veranstalten lassen, wird einem zugetragen. „Ich bin im Großen großzügig, im Kleinen kleinlich“, hatte Kühne dem „Spiegel“ 2022 für ein Porträt in den Notizblock verraten.
Man habe sich bereits in Skandinavien Vorbilder angesehen und umgehört, hieß es einmal vage, um anzudeuten, wohin die Reise ins noch Ungewisse stilistisch gehen könnte. Sowohl das von Henning Larsen entworfene Opernhaus in Kopenhagen (2005) als auch Oslos Snøhetta-Unikat (2008) sind fotogene signature buildings direkt am jeweiligen Wasser, unterscheiden sich aber stark in ihren Entstehungsgeschichten und noch stärker ihren finanziellen Rahmenbedingungen.
Die Hamburger Politik will die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen
In Hamburg will die Politik – so richtig wie verständlich – um jeden Preis vermeiden, sich beim Bau auf jeden Preis einlassen zu müssen, wie es in der Frühphase der Elbphilharmonie der Fall gewesen war, bis Bürgermeister Olaf Scholz und seine Kultursenatorin Barbara Kisseler energisch das Happy End einfädelten. Und dann ist da ja noch dieses andere sehr hohe Gebäude mit „Elb-“ im Namen. Und ganz schlechtem Karma. Bevor tatsächlich eine gesichtswahrende Lösung für den Elbtower-Rohling gefunden ist, den man sich durch den Immobilien-Glücksspieler René Benko eingehandelt hat, sollte man nicht damit rechnen, dass in dessen Nachbarschaft schon gleich der nächste potenzielle Krisenherd installiert wird.
Grundsätzlich überraschend ist dieses Drucksen nur sehr bedingt. In Hamburgs Kulturgeschichte ging noch nie etwas radikal voran ohne Privatpersonen mit Vision, Charisma und Herzblut, die sich trotzig und zugleich optimistisch dafür hergaben, Entscheidungs- und Bedenkenträger über weite Strecken zum Jagen zu tragen. Bei der bestens endenden Gängeviertel-Besetzung vor 15 Jahren kam Leben in die Bruchbuden, nachdem sich der Maler Daniel Richter als Schirmherr öffentlich über die ignorante Politik aufspulte. Die Elbphilharmonie wäre ohne ihre Initiatoren Jana Marko und Alexander Gérard ein Traum geblieben und nicht einer geworden.
Anders als bei der Elbphilharmonie fehlt ein erstes, Fantasien anregendes Bild
Jetzt aber, beim Thema Staatsoper 2.0? Fehlanzeige. Niemand zu sehen. Keine Mäzene aus den Villenvierteln, die den Senat mit mehreren Millionenspenden hintereinander als Anzahlung auf diesen Traum verbindlich lächelnd zum Handeln nötigen könnten. Niemand zu hören. Niemand in offenen Briefen zu lesen. Weder prominent noch leidenschaftlich – abgesehen von Kühne selbst, der bislang in selbst gewählten Abständen wissen ließ, wie er es gern und tunlichst bald hätte.
Ebenso fehlt, anders als damals bei der Elbphilharmonie, ein erstes, Fantasien anregendes Bild, eine Reibungsfläche für Diskurse, Streit und Jubelschreie. Bislang gibt es nur, wie bei einer Schatzsuche aus einem Piraten-Bilderbuch, ein symbolisches Kreuz auf dem Hamburger HafenCity-Stadtplan: Genau hier, an der Baakenhafen-Westspitze mittig zwischen Elbphilharmonie und Elbtower, soll sie stehen, womöglich, irgendwann, diese neue Staatsoper. In Sichtweite zum jüngsten Wahrzeichen der selbst ernannten Kulturmetropole. Sydney, gewissermaßen, nur doppelt. Was für ein Erfolgsdruck wäre das. Aber eben auch: Was für eine historische Chance wäre es – gäbe es tatsächlich auch ein passend großes, klar umrissenes Ziel, das über die Idee einer beherrschbaren Baustelle hinausreicht.
Auch in der hiesigen Kulturlandschaft selbst, die nach den Nierentreffern der Corona-Jahre noch nicht wieder auf den Beinen ist und miteinander ums Geld ringt, mag niemand für diese Idee und ihre Folgekosten laut und deutlich werden, um Schwung in die klemmende Angelegenheit zu bringen. Alle warten ab, niemand prescht vorneweg, weder begeistert noch begeisternd. Wenn Musikclubs das Aus droht, ist es schwer, gleichzeitig über dreistellige Millionenbeträge für ein Opernhaus zu diskutieren.
Neues Opernhaus für Hamburg? Andere Städte, mitunter ähnliche Probleme
Kühne feierte in diesem Sommer seinen 87. Geburtstag, er wird absehbar nicht ewig als Größt-Mäzen dieses Projekts zur Verfügung stehen. Oder er wird vorher die Lust an diesem Kultur-Denkmal verlieren und sich wieder einzig um seine erstklassigen Renditen und einen zweitklassigen Hamburger Fußballclub kümmern. Fördermittel des in der Schweiz lebenden Milliardärs gehen dann eben weiter in die Elbphilharmonie, an Prestige-Adressen wie die Salzburger Festspiele, die Oper in Zürich oder das Lucerne Festival.
Die Ausgangslage macht einen Leidenschaftsschub auch nicht gerade einfach. Vielen gilt das Hochkulturgut Oper als noch elitärer, noch kostenfressender als die auch schon vermeintlich abgehobene Klassik, für die man damals die Elbphilharmonie wahr werden ließ und eine Preisexplosion und Verspätung nach der anderen durchlitt. Damals wurde eine Leerstelle mit einer Neuerfindung gefüllt – was etwas ganz anderes ist, als ein veraltetes Haus, das seinen Dienst noch tut, durch einen funktionsgleichen Neubau abzulösen.
Opernneubau in Hamburg? Lage ist verfahren und uninspiriert
Andere Städte, mitunter ähnliche Probleme: In München steht in Bälde eine Sanierung des Opernhauses an, aktuell blamiert sich die Landesregierung mit ihrem Geeiere zum Neubau eines Konzerthauses, das inzwischen schon zum Konzertsaal kleingedacht wurde, 100 Prozent der Qualität für 50 Prozent der Kosten ist die putzige Devise der CSU. Stuttgart muss ebenfalls seine Oper sanieren und ahnt, dass das kein Schnäppchen wird, Nürnberg geht es nicht groß besser.
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Die Komische Oper in Berlin macht bereits Probleme. Die Sanierung von Oper und Schauspiel in Köln ist ein Fass ohne Boden, immer neue Blamagen, Klüngel vom Feinsten, kein Ende in Sicht. Ausgerechnet der ewige Rivale Düsseldorf zeigt, dass es auch klappen kann: Aus René Benkos Signa-Insolvenzmasse hat man sich kurzfristig für nicht viel mehr als einen Apfel und ein Ei ein Filetgrundstück für den Opern-Neubau gesichert, der davor an einer anderen Adresse geplant war.
So verfahren, so uninspiriert ist die Opernneubau-Frage-Lage jetzt also in Hamburg, kurz vor Beginn der Staatsopern-Saison. In der ersten Neuinszenierung wird dort in Orffs „Carmina Burana“ in „O Fortuna“ der Wankelmut des Glücks besungen. Wie passend. Ein barocker Vorfahr des Gebäudes an der Dammtorstraße war die Bürgeroper am Gänsemarkt. Eine erhitzte Forderung der damaligen Musiktheater-Fans an ihre Obrigkeit lautete „Gebt Oper oder wir sterben!“ Momentan, so scheint es, würde es in dieser Parole noch nicht einmal für ein lauwarmes Fragezeichen reichen.